Moin! Heiko hier.
Vorgestern hatte unser Justin seine Freisprechung. Ich erinnere mich noch gut an den schüchternen Bengel, der bei uns vor vier Jahren sein Berufspraktikum gemacht hat und von meinem Gesellen Gerd nach Strich und Faden verarscht wurde: Eine Tüte Zündfunken vom Lager holen, den Drehmoment Schlüssel auf Sommerzeit umstellen, neuen Wuchtsand im Baumarkt kaufen, das volle Programm. Und jetzt ist der Jung fertiger Kfz-Mechatroniker. Hat die Prüfung sogar mit Gut bestanden! Macht einen ja schon etwas stolz, nech?
Ich bin natürlich mitgegangen. Das machen längst nicht alle Chefs, aber ich sehe das als Selbstverständlichkeit. Außerdem gibt’s da immer Freibier. Und man trifft Kollegen. Ich saß fast den ganzen Abend mit Günther und Thomas zusammen, mit denen ich damals auf der Meisterschule war. Als die dann irgendwann aufbrachen („Ich muss morgen Früh um halb acht schon wieder die Bude aufmachen …“), setzte ich mich noch mal kurz zu Justin und seinen Kumpels aus der Berufsschule rüber.
„Na, Jungs, wie fühlt sich die Freiheit an?“, fragte ich. „Geht so“, meinte Alex. „Bin jetzt erstmal arbeitslos. Und ohne Kohle ist auch nicht so viel mit Freiheit.“ – „Und wie sieht’s bei dir aus?“, fragte ich Ersin. Sein Vater hat einen Gebrauchtwagenhandel in Lingen. „Du steigst doch bestimmt bei deinem Alten ein, oder?“ – „Vielleicht später. Ich hänge erst noch den Automobilkaufmann dran. Schrauben ist nicht so wirklich mein Ding. Verkaufen schon eher.“ – „Mal ’ne Frage:“, warf Timo dazwischen, „Warum heißt das hier eigentlich „Freisprechung“? So ganz genau weiß das anscheinend keiner hier am Tisch.“ – „Der Begriff ist noch von Anno Tobak aus den Zünften.“, erklärte ich, „Ganz früher wurde man von seinen Eltern in eine Handwerkslehre gegeben und war für die Zeit auch quasi Adoptivkind der Meisterfamilie. Und mit Abschluss der Lehre wurde man dann gleichzeitig auch ins Erwachsenenleben entlassen. In die Freiheit eben.“ – „Entlassen aus der Sklaverei“, lachte Justin. – „Du kannst dich doch nicht beschweren, Justin. Sonst hättest du wohl kaum mein Übernahmeangebot akzeptiert, nech?“ – „Nein, bloß Spaß, Chef“, grinste er.
Nachdem Alex eine weitere Runde Bier und Kurze organisiert hatte, meinte Timo: „Ich bin von Krause auch übernommen worden. Aber das bloße Geld sehe ich jetzt nicht so als Ticket zur Freiheit. Da war mir der Führerschein und der erste eigene Wagen schon wichtiger. Das ist hier auf dem Land wirklich ein Stück Freiheit.“ Ersin nickte. „Und die erste eigene Wohnung!“, sagte er. „Das ist für mich auch der große Haken an meiner zweiten Ausbildung: Noch weiter zuhause wohnen.“ – „Och,“ sagte Justin, „ich bleibe erst noch zuhause. Meine Alten sind eigentlich ganz cool. Wenn Steffi mit ihrer Ausbildung fertig ist, ziehen wir vielleicht zusammen, aber das dauert noch.“ – „Pass bloß auf, dass du nicht wie Gerd endest. Der wohnt mit über 40 noch bei seiner Mutter!“, gab ich mit ernster Miene zu bedenken. – „Um Gottes Willen. Aber Gerds große Freiheit sind ja die Computerspiele. Wenn man ihn so reden hört, erlebt er sonst nicht viel.“ antwortete Justin. Gelächter am Tisch. Ja, der Gerd ist echt das fleischgewordene Klischee des Hardcore-Videospielers. Nur dass er nicht im Keller seiner Mutter wohnt, sondern in einer ganz netten Junggesellenbude unterm Dach. Und eigentlich ist er auch ganz zufrieden mit seinem Leben. Das sagte ich auch den Jungs. Freiheit ist immer ein Stück weit persönliches Empfinden. Man ist immer so frei, wie man sich fühlt. Es muss nicht immer das dicke Geld, das eigene Haus oder der Porsche vor der Tür sein. Oft reicht eine kleine Tür, durch die man den Alltag für eine Zeit lang verlassen kann. Wie zum Beispiel Videospiele.
„Eskapismus!“, warf Timo mit erhobenem Schlaumeierfinger in die Runde. – „Richtig, Herr Doktor. Und bevor wir hier weiter über Gerd und sein zugegebenermaßen trauriges Junggesellenleben ablästern: Wer von euch spielt denn überhaupt keine Videospiele?“ Ersin hob als Einziger die Hand. „Es sei denn, Handy-Sp…“ – „Nein, diese lächerlichen Handy-Spiele zählen natürlich nicht!“, unterbrach ich ihn mitten im Satz. „Zur Strafe holst du die nächste Runde.“ – Ersin erhob sich widerwillig und sichtlich genervt. „Was wollt ihr denn haben?“ – „Ersin, Ersin, Ersin.“ sagte ich kopfschüttelnd. „Deine Familie ist nun schon in der dritten Generation hier und du weißt immer noch nicht, was man im Emsland trinkt? Bier und Korn natürlich!“ – Er rollte mit den Augen, musste dann aber auch lachen. – „Und was zockt ihr so?“, wandte ich mich an die anderen als Ersin in Richtung Theke verschwunden war.
Alex stand auf Rennspiele der Marke Forza und Co., wie sich das für einen anständigen Autoschrauber-Proll gehört. „Geile und teure Karren fahren, die man in echt nie in die Finger bekommen wird“, war sein Argument. Timo erzählte, er würde am liebsten Rollenspiele wie WoW, Guild Wars oder Skyrim spielen. „Hauptsächlich wegen der Entscheidungsfreiheit, auch wenn sie natürlich immer mehr oder weniger eingeschränkt ist“, wie er meinte. Und Justin wollte sich auf kein Genre festlegen, gab aber zu, eher auf die dicken AAA-Titel zu stehen: „Ich mag meine Spiele eben eher mit Hochglanzgrafik, Monstersound und filmreifer Inszenierung.“, was Timo mit einem „Ach, du alte Grafikhure.“ kommentierte. – „Naja, irgendwer muss die jährlich erscheinende Grütze ohne Hirn und Verstand von EA- und Activision ja kaufen, nech?“, stichelte ich.
„Was haltet ihr eigentlich von Open-World-Spielen?“, versuchte Justin das Thema eilig zu wechseln. „Die bieten doch mit Abstand die größte Freiheit beim Spielen.“ – „Kein Spiel ohne Regeln. Videospiele und absolute Freiheit sind ein Widerspruch in sich!“, antwortete Timo. – „Und was ist mit Minecraft? Is zwar nich mein Ding, aber das bietet doch wirklich absolute Freiheit.“ – „Dann bau da doch mal was Rundes, du Genie! Auch Minecraft hat seine Regeln und Grenzen“, konterte Timo. „Die eigentliche Freiheit bei Videospielen ist der Eskapismus, die Alltagsflucht. Alles andere ist absolut zweitrangig. Basta!“ – „Aber bei GTA V kannst du doch wirklich alles …“, setzte Justin an.
Gerade als es begann, etwas lauter am Tisch zu werden, kam Ersin endlich mit einem Tablett wieder. „Sorry, hat etwas länger gedauert, aber der Wirt musste erst noch was suchen.“ – Ich erhob mein Glas und prostete den Jungs zu: „Auf die Freiheit! Haut wech! … Heh? Was is das denn für’n fieser Korn?“ – „Das ist Raki. Mit den besten Empfehlungen vom Bosporus-Emsländer“, sagte Ersin trocken. – „E-kel-haft! Ich hol gleich nochmal fünf!“, erwiderte ich grinsend.
Tja, so war das am Freitag. Und Morgen ist schon Justins erster Arbeitstag als Geselle. Hach, wie schnell sie groß werden …
Munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne “Heikos Garage” in der WASD. Dieser Text wurde im August 2015 für die 8. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema “Freiheit und Computerspiele” geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
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