Temüjin hat große Pläne. Als Herrscher eines kleinen Fleckchens Weideland in der östlichsten Steppe der Mongolei hat er eigentlich nichts zu beklagen. Er hat eine beträchtliche Herde an Pferden, genug Reiterei für eine kleine Schar aus Bogenschützen und Steppenreitern, und sein Blutsbruder Jamukha hat sich ihm verschworen und verwaltet einige weitere kleine Gebiete im Nordosten für ihn. Zu einer anderen Zeit und in einer anderen Gesellschaftsform könnte man Temüjin einen Herzog nennen, doch hier in der nomadischen Steppe hat das wenig Bedeutung. Denn ohne festen feudalen Herrschaftssitz und festgelegte Grenzen kann Temüjin, Untergebene oder nicht, nur eine sehr begrenzte Anzahl an Gebieten dauerhaft und selbstständig kontrollieren.
Immerhin: Temüjin hat die prächtigste Yurte unter all den mongolischen Stammesführern, das vollste Winterlager und damit die meiste Reiterei. Deswegen schmiedet Temüjin einen Plan: Die Kernlande der mongolischen Steppe kontrolliert er selbst, indem er durch ein Bündnis mit den Mergid-Mongolen im Norden und die Unterwerfung der Clans im Westen zum eponymen Volksanführer wird, zum Häuptling der Mongolen. Die anderen nomadischen Stämme, in ihrer Lebensführung den Mongolen zwar ähnlich, kulturell jedoch unterschiedlich, hält er durch Überfälle und Tributforderungen an sich gebunden: Gold und Pferde fließen zu Temüjins Yurte, entweder als Schutzzahlungen oder aus Raubbeute. Seine Herde wächst, damit auch seine Meute kriegserfahrener Reiter. Belagerungswaffen braucht es hier in der Steppe nicht, stattdessen hat Temüjin eine Reiterstaffel aus Brandschatzern aufgestellt, die jedes Zelt zu Asche verbrennen können.
Mit Tributären von Sibirien bis nach Zentralasien hinein hat Temüjin ein beachtliches Hoheitsgebiet an sich gebunden, doch sein Einfluss ist dünn und die Randgebiete sind im Wesentlichen die Zuggebiete souveräner Stämme oder Siedlungsgebiete einiger weniger niedergelassener Clans, die immer nur dann seinem Willen folgen, wenn seine Reiterei gerade in der Nähe ist. Würde Temüjin jetzt sterben, die gesamte Mongolei würde sich gegen seinen Nachfolger erheben und zurück in die alte Struktur der unabhängigen Stämme verfallen. Doch Temüjin ist jung, sein Blutsbruder ein ebenso guter General wie er, und beide ziehen gerne an der Spitze ihrer Armeen direkt gegen den Feind. Ohnehin ist Temüjins Nachfolge gesichert, sein Sohn gut ausgebildet und seine Vasallen sind durch Androhungen oder Geschenke in Reihe gebracht, den Nachfolger anzuerkennen, sollte es zum Äußersten kommen. Zu diesem Zeitpunkt weiß Temüjin noch nicht, dass sein Sohn und Erbe Jedi eigentlich einer heißen Nacht zwischen seiner Frau und seinem Blutsbruder entsprungen ist.
Also reitet Temüjin weiter an der Spitze seiner Horde nach Westen. Die Yurte reist mit, auch wenn Temüjin mittlerweile begonnen hat, einige feste Bauten im Winterlager im Karakorum errichten zu lassen, darunter ein eindrucksvolles Lustschloss zum Empfang der Untergebenen. Auf dem Weg des Häuptlings schließen sich ihm einige Tributäre in Ehrfurcht und Schrecken dauerhaft an, Bataillone seiner Reiter bleiben als Garnisonen zurück. Temüjin herrscht längst über ganz Chakassien, doch sich als König in Sibirien ausrufen zu lassen, kommt ihm nicht in den Sinn. Denn längst unterwerfen sich ihm links und rechts die nestorianisch-christlichen Stämme Westchinas, treten – wenn auch oft nur zum Schein – Temüjins Hofreligion Tengri bei und treten mit einer Idee an ihn heran: Um ihre gewohnte hierarchische Gesellschaftsordnung beizubehalten und dem stärksten Mongolen aller Zeiten Rechnung zu tragen, rufen die Stämme Temüjin zum “Herrscher aller Mongolen” aus. Das entspricht einer Art Kaiser mit Befugnis über den gesamten Kulturkreis. Dass weder alle Mongolen bisher von ihrem Glück wissen noch die anderen nomadischen Großstämme, die Kimeken oder die zentralisiert und nahezu imperial regierten Kara Kithai im Süden das sonderlich toll finden werden, ist Temüjin einerlei. Mit dem Anspruch auf das Großhäuptlingstum bringt der jetzige Kahn alle Mongolen unter sich zusammen und assimiliert ganz nebenbei die turkischen Stämme an den Rändern seines Reichs. Temüjin der Große, nennen sie ihn, und mit seinen 80.000 Pferden und 25.000 Reitern kann ihm niemand standhalten. Mit der gesamten östlichen Steppe unter sich vereint richtet er seinen Blick nun nach Westen, in die Steppe der Kimeken, deren vereinzelte Stämme und Khans eine unsichere Föderation gegen den herannahenden Feind gebildet haben.
Im Süden beäugen die Kara Kithai misstrauisch den Emporkömmling aus der sibirischen Kälte. Bisher waren sie die nomadische Großmacht Asiens, in ihrem Reichtum an Herden nur herausgefordert von den Kumanen im Westen, die schon fast europäisiert nach und nach ins feudale System übergehen wie vor ihnen die Ungaren. Doch die Horden der Kithai reiben sich immer stärker an den tajikischen Groß-Shahs des heutigen Persiens und Afghanistan auf. Solange das Gleichgewicht der mongolischen und kumanischen Stämme und der Kara Kithai gewahrt bleibt, können drei Großreiche, ja sogar vier Lebensmodelle bestehen: Die plündernden, unsteten Reiter Temüjins mit ihrer Kriegswirtschaft, das Weidevolk der Kithai, die halbniedergelassenen Kumanen und dazwischen die lose Förderation aus Kleinstämmen der Kimeken, die sich im Verteidigungsfall gegen alle drei großen Mächte zusammenschließen.
Inzwischen brodelt es an Temüjins Hof jedoch. Seinen Schwurbruder hat er mit seiner Frau in den Fellen erwischt, unter Tränen beichtet sie ihm, dass sein Erbe eigentlich der Sohn seines vermeintlich besten Freundes ist. Einen beträchtlichen Teil seines politischen Kapitals muss Temüjin der Große nun aufwenden, um seine Nachfolge zu regeln. Denn Yesügei, sein zweitgeborener Sohn, trägt zwar unzweifelhaft die Gesichtszüge des Khans, ist aber leider auch dem Haschisch verfallen und lange kein so guter Anführer wie der nun enterbte Bruder. Temüjin geht auf die 50 Jahre zu, und wenn er jetzt sterben sollte, steht sein Reich erneut vor dem Aus: Yesügei mag vielleicht in der Lage sein, die östlichen Kernlande unter seiner Kontrolle zu halten, aber als Kaiser aller Mongolen würden ihn vielleicht gerade die Hälfte der Stämme anerkennen. Also reitet Temüjin weiter nach Westen. Solange er Stamm um Stamm unterwirft und die Herden nach Hause schickt, kann niemand seinen Anspruch auf die gesamte Steppe in Zweifel ziehen. Nach dem Niederschlagen der Kimeken-Förderation ruft er sich endlich zum Khan aller Khans aus. Die Kithai müssen reagieren, den Emporkömmling eliminieren. In Temüjins letzter Amtshandlung reitet er in die Winterhauptstadt des besiegten Feindes ein. Danach nennt ihn keiner mehr Temüjin. Er ist Ghengis Khan. Ihm gehört die Welt. Und in Ostrom klappern längst die Zähne der Bürokraten vor Angst. Denn anders als die Kumanen lässt sich der Mongolenherrscher nicht mit feudalen Besitzungen abspeisen. Falls sich Temüjin, nein, Ghengis Khan je niederlassen sollte, dann in den Marmorbauten Konstantinopels.
Khans of the Steppe ist das neueste Addon für Crusader Kings 3. Es ist sehr gut.
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