Das 2015 erschienene DiRT Rally war ein Meilenstein für Codemasters, die sich nach Abstechern in Richtung X Games und Gymkhana in den vorherigen DiRT-Teilen nun wieder ganz auf die klassische Rallye konzentrierten. Sie wagten sich weiter in Richtung ernsthafte Simulation als selbst zu den besten Zeiten von Colin McRae Rally und vor allem: Sie gönnten DiRT Rally eine mehrmonatige Early-Access-Phase, was zu einer auf Herz und Nieren durchgetesteten Release-Version führte. Codemasters brachte es damit 2016 zum ersten Mal seit Jahren wieder auf schwarze Zahlen.
Es war auch ein Meilenstein für die Spieler: Nach mehrjähriger Durststrecke im Rallye-Genre erschien die Early-Access-Fassung ohne Vorankündigung, war sofort spielbar. Sie wuchs in den kommenden Monaten zum bisher besten Rallye-Spiel Codemasters’. Und auch wenn für so manchen eingefleischten Rallye-Fan, hinter Lenkrad und Pedalen, das gute, alte Richard Burns Rally von 2004 noch immer unerreicht war, für mich Controllerkind an der PS4 war DiRT Rally das beste Rallye-Spiel aller Zeiten.
DiRT Rally 2.0 – das Punktnull soll an Colin McRae Rally 2.0 erinnern – tritt also ein schweres Erbe an. Das merkt man ihm auf der Strecke, also dort, wo es drauf ankommt, aber nicht an: Es überholt seinen Vorgänger scheinbar mühelos, vermittelt zum Beispiel ein besseres Gefühl für das Gewicht das Wagens. Das macht die Vorbereitung auf Kurven einerseits einfacher und das Verhalten der Autos besser nachvollziehbar, andererseits muss man Richtungsänderungen und Gewichtsverlagerungen auch früher anmoderieren als bisher. Neu ist die Streckenabnutzung: Wenn man auf Schotterstrecken als letzter Fahrer antritt, ist die Piste schon ziemlich durchgepflügt.
Die ebenfalls neue Reifenabnutzung sehe ich eher zwiespältig: Die unterschiedlichen Sets fühlen sich durchaus differenziert an und sind eine Bereicherung für das Spiel, trotzdem ist die Reifenauswahl zwischen den Rennen im Moment keine interessante Entscheidung. Bei Regen oder Schnee zieht man halt die entsprechende Bereifung auf. Ansonsten hat man die Wahl zwischen weichem, mittlerem und hartem Gummi. Letzterer soll sich langsamer abnutzen, hat aber weniger Grip. Wie schnell genau sich die Reifen abnutzen, lässt das Auswahlmenü ungeklärt und empfiehlt unabhängig von der Strecke eigentlich immer die mittlere Variante. Wenn man nicht übermäßig häufig Kontakt mit der Streckenbegrenzung hat, fährt man weich aber wegen des besseren Grips meist am besten.
Grafisch hat Codemasters vor allem das Beleuchtungssystem aufgebohrt, was das Spiel deutlich attraktiver macht. Die Fahrbahn wurde optisch schon wegen der eben angesprochenen Streckenabnutzung generalüberholt. Pfützen und Eis auf Asphalt sehen nun sehr ansehnlich aus. Die übrigen grafischen Verbesserungen sind eher dezent, Wettereffekte wie Regen und Schnee sind ihrer Zeit aber noch immer hinterher.
Das Problem mit dem neuen Beleuchtungssystem ist allerdings, dass es mich beim Spielen in manchen Situationen gewaltig behindert. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass Codemasters bei Grafiktrends oft übertreibt. Farbfilter, besonders gern in blau, braun oder gelb (weshalb man im Englischen abschätzig vom „piss filter“ spricht), funktionieren in vielen Spielen durchaus. Deus Ex: Human Revolution war zum Beispiel stark gefiltert und ich habe das im Nachfolger tatsächlich vermisst. Doch 2007 hat Codemasters Colin McRae DiRT in braune Farbmatsche verwandelt, mit abgedunkelten Bildschirmecken, in der selbst saftige Wiesen und grüne Wälder nicht ohne massiven Braunstich auskamen. In den späteren Serienteilen wurde der Farbfilter langsam reduziert. Ich war so froh, dass in DiRT Rally nichts mehr davon zu sehen war!
Es gibt aber einen neuen Trend: HDR! Bei Codemasters war man offenbar entschlossen, DiRT Rallye 2.0 in jeder Sekunde nach HDR aussehen zu lassen, selbst auf meinem guten, alten Panasonic-Plasma-Fernseher, der von HDR noch keine Ahnung hat. Kontrast und Farbsättigung sind gegenüber dem Vorgänger massiv aufgedreht. In der Motorhauben-Ansicht, in der ich am liebsten spiele, ist oft der Himmel im Hintergrund so hell, dass die eigentliche Straße im Braunschwarz untergeht. Es gibt so viele Lensflare-Effekte, als wäre J.J. Abrams für den Look des Spiels verantwortlich gewesen. Bei Nachtfahrten überstrahlt das Scheinwerferlicht gerne mal, da gehen dann Details im Weiß unter. So verrückt das klingt: Manchmal bin ich ganz froh, wenn ich durch einen kleinen Unfall einen Scheinwerfer verliere, weil man bei weniger Licht die Strecke direkt vor dem Fahrzeug besser erkennt. Besonders weit strahlt das Scheinwerferlicht nie. Obwohl teils ganze Batterien an zusätzlichen Scheinwerfern auf die Motorhauben geschraubt sind, habe ich den Eindruck, dass selbst handelsübliches Fernlicht eigentlich weiter in die Ferne reichen müsste als hier gezeigt.
Tagsüber hilft es, in die Cockpit-Ansicht zu schalten. Das ist offenbar die einzige Ansicht, in der man DiRT Rally 2.0 wirklich spielen soll. Dort gibt es keinen Lensflare und die Fahrbahn ist erstaunlicherweise immer gut erkennbar, weil sie nie so stark abgedunkelt oder aufgehellt wird wie in den Außenansichten. Ich schalte also oft zwischen Motorhaube und Cockpit hin und her, weil ich die eine lieber mag und die andere so viel weniger anstrengend finde. Leider habe ich keine große Hoffnung, dass Codemasters an meinem größten Kritikpunkt an DR2 noch etwas ändern wird. Das Beleuchtungssystem wurde bereits gepatcht, aber nur, um zu dunkle Streckenabschnitte im eh schon brauchbaren Cockpitmodus weiter aufzuhellen.
Auch bei der Auswahl der Wetterbedingungen auf der Strecke gibt man sich meines Erachtens zu viel Mühe, das tolle, neue Beleuchtungssystem in Szene zu setzen. Im Mein-Team-Modus, der wie im ersten Teil aus dem Singleplayer-Karrieremodus sowie täglichen, wöchentlichen und monatlichen Online-Herausforderungen besteht, waren Nacht- oder Regenrennen bei Release so häufig, dass ich mich oft nach ganz normalen Wertungsprüfungen bei Tag sehnte, einfach, um die Strecke zur Abwechslung mal gut erkennen zu können. Beliebt auch: Rennen bei Dämmerung, bei denen man von der untergehenden Sonne geblendet wird. Lensflares!
Die Häufigkeit von Rennen bei Nacht und Regen wurde per Patch inzwischen zurückgefahren, liegt aber immer noch deutlich über der in DiRT Rally.
Schwer nachvollziehbar ist, dass man für besagten Mein-Team-Modus nun dauerhaft online sein muss. Überwiegend geht es hier um die Singleplayer-Karriere. Auch bei den Online-Herausforderungen werden schlicht am Ende die Zeiten verglichen: Man sieht die anderen Spieler nicht auf der Strecke. Codemasters schiebt natürlich den Schutz vor Cheatern vor, aber der Hauptgrund für den Onlinezwang dürfte der Kopierschutz sein. Dass der RaceNet-Service auch zwei Monate nach Release noch holprig läuft und besonders an den Wochenenden gerne mal etwas länger zum Laden braucht und sich zeitweise sogar außerstande sah, den Spielfortschritt abzuspeichern, macht ihn zu einer schwer zu schluckenden Kröte.
Ein paar Funktionen hat man natürlich eingebaut, die ohne die Onlinebindung keinen Sinn ergeben würden: Während man in DR1 in der Garage seine Autos übersichtlich nach Fahrzeugklasse sortiert vorfand und auch leicht sehen konnte, welche Wagen einem noch fehlen, sind in DR2 Garage und Händler getrennt. Der Händler hat keineswegs immer alle Fahrzeuge im Angebot, dafür aber oft auch Wagen, die man schon besitzt. Das Angebot wechselt alle paar Minuten. Ehrlich, ich sehe hier für den Spieler keinen einzigen Vorteil gegenüber der alten Methode. Im Gegenteil: Als Sammler finde ich die fehlende Übersicht und die sinnlose Zeitverschwendung beim Warten auf einen KI-Händler nervig.
Noch in einer weiteren Hinsicht hat RaceNet dazugelernt: Die Bestenlisten zu den einzelnen Rennabschnitten sind nun plattformübergreifend. Ich würde mir allerdings noch weitere Filterkriterien wünschen. Wie schlage ich mich zum Beispiel im Vergleich zu anderen Gamepad-Nutzern, die Lenkradfahrer also außen vorgelassen? Momentan kann man das nicht sehen.
Bei den Rallye-Locations geht mir das Recycling zu weit. Wir erinnern uns: DiRT Rally startete mit Monaco, Wales und Griechenland in den Early Access, später kamen Deutschland, Schweden und Finnland noch hinzu. Über Strecken-DLC für DR1 hätte ich mich sehr gefreut, stattdessen erschien ein paar Jahre später DiRT 4. Das bot eine Rallye-Fahrschule und ein einsteigerfreundlicheres Fahrmodell sowie zufallsgenerierte Strecken. Wales und Schweden kehrten zurück, neu hinzu kamen Australien, Spanien und Michigan. DR2 nun hat wieder von Hand gebaute Strecken, die sich an realen Rallye-Streckenabschnitten orientieren. Neu sind Polen, Neuseeland und Argentinien, während Australien und Spanien aus dem Vorgänger zurückkehrten. New England ist so ein Mittelding: Wie Fans herausgefunden haben, liegen die Strecken-Vorbilder in der Nähe der realen DirtFish Rally School, die in DiRT 4 ihren virtuellen Gastauftritt hatte. Mit anderen Worten: Hätte ich DiRT 4 ausgelassen, hätte ich gar nicht so viel verpasst.
Natürlich handelt es sich um neu gebaute Streckenabschnitte, dreistes Copy-&-Paste will ich hier niemandem vorwerfen, aber das generelle Flair ist dem aus DiRT 4 sehr ähnlich. Die Locations haben sich für mein Gefühl im ersten Teil auch deutlicher voneinander unterschieden als in DR2. Eine Schnee-Strecke fehlte zum Release des zweiten Teils zum Beispiel völlig. Dieses Manko wurde erst mit Season 1 der Deluxe Edition behoben, in der Monte Carlo, Schweden und Deutschland aus DR1 zurückkehrten. Aber mit exakt denselben Strecken wie im Vorgänger! Grafisch aufpoliert, na klar. Die Fahrphysik auf Schnee und Eis fühlt sich auch deutlich glaubhafter an, wovon gerade Monte Carlo absolut profitiert. Kauft man die Strecken allein, ohne Season Pass oder Deluxe Edition, sind sie mit 3,49€ auch fair bepreist. Kennt man die Vorgänger nicht, sollte man sich das anschauen. Ändert aber nichts daran, dass die Veteranen nun schon mehr als die Hälfte des Contents von DiRT Rally 2.0 aus früheren Spielen kennen.
Die Rallye-Fahrschule feiert übrigens keine Rückkehr. Während DR1 immerhin ein paar Erklärvideos für den Einstieg bereithielt, DiRT 4 die ausgewachsene DirtFish Rally School, hilft man Einsteigern in DR2 mit nichts außer ein paar Fahrhilfen. Das macht nicht den Eindruck eines ernsthaften Versuchs, den Spielerkreis über die bereits bestehende Fanbasis hinaus zu vergrößern. Denn noch immer schenkt einem DiRT Rally nichts.
Der Einstieg ist auch im zweiten Teil für Ungeübte bockschwer. Die grundsätzliche Herausforderung ist da erstmal, nicht mit einem Totalschaden am Baum zu enden, sondern überhaupt halbwegs sauber das Ziel zu erreichen. Aber man lernt mit jeder Runde dazu, verbessert Stück für Stück seine Zeiten. Das Glücksgefühl, wenn man eine Kurve, bei der man schon zweimal durch den Zaun hindurch die Klippe hinunter geflogen ist, im dritten Anlauf ohne Schaden nimmt und in weiteren Anläufen dann den Bremspunkt noch besser erwischt, den Gewichtstransfer besser hinbekommt, schneller aus der Kurve wieder herauskommt und damit, Zehntelsekunde um Zehntelsekunde, seine Zeiten verbessert, ist unbeschreiblich. Ich kenne kaum ein Spiel, das so konstant für’s Dranbleiben, für’s Durchbeißen und Dazulernen belohnt. Die gewonnenen Zehntelsekunden summieren sich schließlich zu Minuten, auf die ganze Strecke gerechnet. Dann über die Piste zu fliegen, auf der man anfangs nur im Schneckentempo klarkam, ist einfach großartig.
Trotzdem, der Schwierigkeitsgrad für Neueinsteiger bleibt ein Hammer. Eine Fahrschule könnte helfen, die hohe Einstiegshürde zu nehmen, auch wenn viele Rückkehrer aus den früheren Serienteilen sie nicht unbedingt bräuchten und deshalb wahrscheinlich links liegen lassen würden: Es ist schade um jeden neuen Spieler, der nach einer halben Stunde frustriert die Segel streicht.
Die Deluxe Edition versorgt DR2 über zwei Seasons von jeweils drei Monaten mit neuem Content. Wobei man “neu” in Anführungszeichen setzen könnte, denn die Strecken der ersten Season sind aus dem Vorgänger bekannt und der Inhalt der zweiten Season noch nicht angekündigt. Zusätzlich bekommt der Deluxe-Kunde Zugang zu weiteren Autos, zu besonders lohnenswerten Online-Herausforderungen und zu Bonus-Credits. Der Sinn dahinter ist mir ökonomisch nicht ganz klar. Ich dachte immer, Deluxe-Ausgaben würden vor allem bestehende Fans ansprechen. Denen liefert man aber nicht nur zusätzliche Inhalte, sondern wirft ihnen auch Credits und Autos hinterher und macht damit das Spiel leichter! Der Neueinsteiger mit der Standard-Version hat es dagegen ganz schön schwer, sich neue Wagen zu verdienen. Reparaturen sind nur beim Einstiegsauto umsonst und die Mechaniker kosten ebenfalls Geld.
Vielleicht hofft man darauf, dass sich auch der Neueinsteiger deshalb irgendwann den Deluxe-Content nachkauft. Sollte er das tun, zieht man ihn richtig ab. Originalpreis des Spiels auf der PS4: 69,99€ für das Hauptspiel, 89,99€ für die Deluxe Edition. Macht 20€ Preisunterschied. Wenn man erst einmal nur das Hauptspiel kaufte und den Deluxe-Content später nachordern will, kostet der aber stolze 26,99€. Und das ist immer noch billiger als auf dem PC! Zwar kostet das Hauptspiel auf Steam nur 49,99€ und die Deluxe Edition 67,99€, was 28€ Preisunterschied bedeutet. Für das Deluxe Upgrade verlangt man aber 29,99€! Und jetzt festhalten: Im Playstation Store war DiRT Rally 2.0 Anfang April bereits im Sonderangebot, für 44,79€ für das Hauptspiel und sagenhafte 60,29€ für die komplette Deluxe Edition. Im Humble Store auf dem PC war Anfang Mai Sale für 36,84€ beziehungsweise 50,24€. Da schrumpft der Preisunterschied auf unter 14 €. Kauft man das Spiel aktuell in seiner Deluxe-Variante, bekommt man also selbst den Inhalt der zwei Seasons schon reduziert, obwohl die zweite Season noch nicht einmal erschienen ist! Da will Codemasters niemanden diskriminieren, es dürfen sich alle verarscht fühlen: Der Day-1-Käufer der Deluxe Edition ebenso wie der Neueinsteiger, der sich vielleicht überlegt, das Deluxe Upgrade nachzukaufen, dort aber immer noch ein Preisschild von fast 30€ sieht.
Ich gehe schwer davon aus, dass es hinter diesen Zahlen ein System gibt. Ich sehe nur keins. Die Seasons schon im Preis zu reduzieren, während sie noch laufen, macht auf jeden Fall den Eindruck, als hätte sich DR2 bisher unter den Erwartungen verkauft.
Was vergessen? Ach ja, auch DiRT Rally 2.0 ist wieder das offizielle Spiel der RallyCross-Meisterschaften. In diesem Modus habe ich keine Minute verbracht. Interessiert mich nicht und ich habe auch nicht den Eindruck, dass er in der Community eine große Rolle spielen würde. An anderer Stelle hätte mir mehr Recycling durchaus gefallen, aber der Hillclimb auf Pikes Peak, eines meiner Highlights aus DR1, ist leider nicht mehr vertreten.
Unterm Strich macht DiRT Rally 2.0 mit seinen Verbesserungen am Fahrmodell auf der Strecke so viel richtig, dass es seinen Vorgänger locker ablösen könnte als “Bestes Rallye-Spiel Codemasters’ und vielleicht sogar der Welt”. Dass ich dieses Mal nicht ganz so begeistert bin und den neuesten Teil nicht so vorbehaltlos weiterempfehlen kann wie das ursprüngliche DiRT Rally, liegt überwiegend an Problemen, die der erste Teil gar nicht hatte: übertriebene, effektheischende Beleuchtung, Onlinezwang und undurchsichtiges Preismodell.
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