Am siebten Tag erschuf Gott den Himmel und die Erde, davor zockte er Warcraft 3. Ungefähr 2.000 Jahre später erscheint eine Neuauflage des himmlischen Strategiespiels. Kann das tatsächlich funktionieren? Die Antwort lautet: „Fick dich“. Woher kommt nur dieser Hass, ausgerechnet auf Warcraft 3? Eine Recherche von POLYNEUX ONLINE.
Für das Erbrochene entschuldigten wir uns. Keine unserer Thesen bewahrheitete sich, und die finale Konfrontation verlief ungewollt ruppig, aber da kann der Hoteldirektor nix für und der Teppich erst recht nicht. Wir deckten etwas auf, das nicht zu verstehen war – und womöglich doch alles erklärte.
Diese Geschichte ist es wert, von Anfang an erzählt zu werden.
Eine vergoldete Schabe bleibt eine Schabe. Ich weiß nicht mehr, ob dieses Zitat von Jesus stammt oder Thomas Gottschalk, doch es tut Wahrheit kund. Bleibt ein altes Spiel nach der Aufpolierung noch immer ein altes Spiel, und falls ja, wie spät ist es eigentlich? Fragen, die man sich aktuell stellen muss. Schreien muss man sie, mit Ausrufezeichen in der Größe eines DIN-A4-Blatts zur Sicherung von Beweisen im Rahmen einer Ermittlung von Hatespeech. Denn: Warcraft 3 Reforged ist ein Desaster. Eine Katastrophe. Ein Unfall auf einer Autobahn, die drei Tage lang gesperrt ist, weil die Rettungsgassenverweigerer sehr, sehr laut rufen müssen. Verschiedenes. In erster Linie Böses rufen die. Mit Ausrufezeichen.
Und mit Recht! Schließlich hat kein Spiel auf der Plattform Metacritic eine schlechtere User-Bewertung als Warcraft 3 Reforged. Wer das Spiel dort rezensiert, faucht seinen Kommentar Hand in Hand mit seinem unentdeckten Magengeschwür. Das bloße Lesen der User-Beiträge wird dem Ärger nicht gerecht, schreien muss man es, zischen und grollen und kreischen, und während das Investigativ-Team von POLYNEUX ONLINE den ersten Besuch der Polizei wegen vermeintlicher Ruhestörung – es sollte nicht der letzte sein – höflich, aber auch verwundert über sich ergehen lässt, wissen wir nach unserer geblökten Leserunde Bescheid, wo wir anfangen müssen: in der Hölle. Um zu analysieren, warum eines der besten Strategiespiele aller Zeiten plötzlich so verhasst ist, müssen wir an die Quelle der Wut, zu dem schlimmsten Auswuchs der Menschheit seit Erfindung der Atombombe: dem Gamer.
Die Vorwürfe an das Studio „Blizzard Entertainment“ verheddern sich leicht im Mundschaum aufgeregter Gaming-Stuhl-Quäker. Von einer Grafik in Zwischensequenzen ist die Rede, die nicht an die im Vorfeld gezeigte Qualität heranreicht. Viele User bescheinigen der Remaster-Version einen miserablen Zustand hinsichtlich der sogenannten Performance. Das Spiel soll ruckeln. Nicht zu verwechseln mit „nuckeln“, wobei hier sicherlich Verbindungen bestehen zwischen den einzelnen Themenbereichen.
Immer wieder heißt es: Blizzard ist nicht mehr Blizzard. Ja gut, könnte man meinen, da hat’s der Klimawandel mal wieder geschafft, der alte, heiße Knilch. Doch dahinter steckt mehr: Das Studio scheint – nach Meinung der, urgsh: „Gamer“ – oft in Fettnäpfchen zu treten. Ob mit der Ankündigung einer mobilen Diablo-Version oder den durchschnittlichen Erweiterungen für World of Warcraft – bergab geht es, wie oft zu lesen ist.
Diese Argumentation lässt sich zumindest im Ansatz nachvollziehen. Auf Metacritic reihum null Punkte zu vergeben, in dem Wissen, dass da Warcraft 3, der König aller Strategiespiele thront, sorgt jedoch für Verwirrung. Unser Ziel ist klar: Ein Interview mit einem „Gamer“, der uns erklärt, wie er seine auf die PC-Wasserkühlung abgestimmte Leuchtmaus auf die Wertung Null wutzitterte.
Hier einige Beispiele, wie solche Bewertungen aussehen können:
Gar nicht so einfach, die dafür verantwortlichen Menschen zu lokalisieren. Die Metacritic-Nutzer erreichten wir nicht. Also probierten wir es auf anderen bei „Gamern“ beliebten Plattformen wie „8chan“, waren dann aber damit beschäftigt, rund ein Dutzend Anzeigen bei der Polizei zu stellen wegen Hasskommentaren und Todesdrohungen, die innerhalb von nur 16 Sekunden nach der ersten Anfrage über uns schwappten wie die gesammelten Abwässer einer mit Diablo-Spielern bewohnten Kleinstadt.
Auf vermeintlich humaneren Plattformen wie „Reddit“ führte unsere Bitte um ein Interview zu Bildern masturbierender Männer, und hiernach recherchierten wir mit Nachdruck, aber letztlich nur kurz, warum viele Lümmel so ehrverletzend hässlich sind. Die Antwort lautet, nun ja: Männer.
Wochen vergingen ohne eine Zusage. Wir analysierten in der Zwischenzeit Analysen von YouTubern und Spieleredaktionen, bis wir den Unterschied zwischen YouTubern und Spieleredaktionen nur noch im Namen feststellen konnten. DreamcastGuy schlägt GamersGlobal.
Und dann geschah es: Wir erhielten eine Antwort. Ein „Gamer“ erklärte sich für ein Interview bereit. Er wohnte sogar in der gleichen Stadt, in der unsere Redaktion sitzt (Bielefeld). Einem persönlichen Treffen stünde daher nichts im Weg, schrieb er und nutzte dabei ein Pseudonym, das mit „Sniper“ beginnt, wir aus Schutz vor den Persönlichkeitsrechten aber nicht weiter ausführen und ganz bestimmt nicht mit „rocketbohne257“ endet.
Bedingungen folgten sogleich: Einem Video-Interview würde er nur zustimmen, wenn wir in einem separaten Zimmer die Aufnahme steuern. Hinter eine transparente Wand würde er sich setzen, den Zuschauer*innen wäre somit nur ein Schatten sichtbar, nicht aber sein Gesicht. Im nachhinein müssen wir zugeben: Wie töricht von uns, das zugelassen zu haben! Sein „Team“, wie er es nannte, würde die für das Interview benötigten Materialien im anderen Hotelzimmer aufbauen, sodass kein Kontakt zwischen ihm und uns nötig sei.
Wir stimmten zu. Eine andere Möglichkeit bestünde in der Einschleusung von Redaktionsmitgliedern in oben erwähnten Foren. Die einstimmig gebrüllte Erwiderung lautete: „Halt dein Maul, Jannick.“ Ich tat, wie mir befohlen und buchte zwei Hotelzimmer. Das Hotel: drei Sterne, gelogen, nur ein Stern, aber ein Mensch mit dem Namen Harry Weinfurt vergab drei Sterne bei Google.
(Zufällig bemerkten wir den Nachnamen des Hotel-Inhabers. Er reimte sich auf Harry Weinfurt. Gefälschte Google-Bewertungen? In sozialen Netzwerken suchten wir nach seinem Namen. Bei Facebook fanden wir ihn. Ein Hund als Profilbild, umrandet von einer Deutschland-Fahne. In einem Posting droht er offen mit Gewalt. Ein lupenreiner Nazi. Offenbar arbeitet er als Bereitschaftspolizist. Die dazugehörige Reportage veröffentlichen wir demnächst im ZEIT MAGAZIN. Die Headline lautet: „NAZIS ANZEIGEN – Oder soll man es lassen?“)
Drei Wochen später warteten wir in unserem Hotelzimmer und zählten die Fußnägel, die in der Badewanne ein Doppelleben als Kartoffelchip führten. Sechs waren es, und der Vermutung, die übrigen Zehen gammelten ab und formierten sich unter dem Namen „Chris Tall“ neu, gingen wir nicht nach. Es klopfte an der Tür. Ein Freund des „Gamers“, er stellte sich mit seinem Pseudonym „GermanGamingBoy“ vor. Seine Kopfbedeckung mit dem Symbol einer Bohne warf einen Schatten auf seine darunter liegende Existenz, ein Fiebertraum von einem Menschen, irgendwo zwischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Tattoo und „Fuck you Greta“-Aufkleber am Golf 3 Baujahr 1993, Kennzeichenzahl 88.
„Nein“, antworteten wir – zufällig gemeinsam und ganz und gar nicht einstudiert – dem Polizisten, der uns wenig später fragte, ob wir die Autoreifen vom GermanGamingBoy zerstochen hätten. Hinter uns rasselten leise Hammer und Sichel.
Mit ein wenig Verspätung begann das vereinbarte Prozedere. Wir übergaben alle Geräte, die für das Video-Interview nötig waren. Nach einer halben Stunde erhielten wir das Zeichen zum Start. Uns war mulmig zumute. Unser redaktionsinterner Feelgood-Manager namens Urs sagte: „Hmpfgrl.“ Wir stimmten zu. Er gab zu Bedenken, sein Hammer und seine Sichel erwachten heute Morgen außergewöhnlich stumpf. Das sei oft ein schlechtes Zeichen. Nach frischer Luft schnappend, öffnete Urs das Fenster, und dem Zufall geschuldet sah er, wie die Freunde des Gamers unter Decken und Regenschirmen unseren Interviewpartner versteckten. Fast formlos bewegte er sich unter der Abschirmung.
Als er das Nebenzimmer erreichte, begann die Aufnahme. Zunächst gab es Probleme mit der Bildübertragung, es blieb schwarz, nichts war zu sehen, und wie wir nun, am Ende der Recherche glauben, gab es gar keine Störung. Nein, schlimmer: Wir blickten direkt in die Seele des „Gamers“.
Die ersten Worte klangen matschig, er begann seine Tirade mit übelsten Beschimpfungen, obwohl wir im Vorfeld anderes abgesprochen haben. Wir baten ihn darum, sich zu zügeln. Das Gegenteil tat er und nannte uns „Social Justice Warrior“. Einem Ritual gleich, säuselte er die Privatadressen der Redaktionsmitglieder, nur unterbrochen von einem Lachen, das widerlich zischte, dass der Nachhall einer durchschnittlichen Anne-Will-Sendung plötzlich wie rolliges Geflirte klang.
Es reichte! Was uns von ihm trennte? Seine Gamer-Freunde, die vor seinem Zimmer Wache hielten. Türen knackten, Menschen sackten, Knochen brachen, Münder schäumten, Herzen rasten, Gamer flennten. Sollen sie bis ans Ende ihrer Tage flennen!
Ins Zimmer stürmten wir, nicht bereit für das, was wir sahen. Das Equipment stand noch, die Beleuchtung, die Kamera, die transparente Wand. Doch dahinter, verflucht nochmal, dahinter zeichnete sich nicht die Form eines Menschen ab.
Bis heute konnten wir nicht klären, was genau geschah. Warum wir aus dem Hotel geflohen sind. Uns übergaben. Wir erinnern uns nur noch an eins: Unser Interviewpartner, was auch immer er war, einem Menschen glich er genau so wenig wie das Ergebnis einer brunftigen Liebe zwischen Baby Yodas Eltern und einer Kartoffel. Wir blickten hinter die Wand – war es Hysterie, das wir fühlten? Das, was da war – oder saß, lag, vegetierte? – entsprach nicht einfach der Ketzerei, der Häresie. Womöglich wurde es geerntet aus Oliver Pochers Bühnenprogramm. Was wir sahen, ergab keinen Sinn – und doch erklärte es alles.
Auf dem Stuhl erblickten wir ihn: einen sahnigen, unförmigen Kothaufen.
Und jetzt im Ernst: Warcraft 3 Reforged ist keine Lüge
Warcraft 3 Reforged ist ein Desaster. Und doch ist es kein schlechtes Spiel. Ist das überhaupt möglich? Kann Warcraft 3 Reforged mies sein, wenn hinter der überarbeiteten Fassade eines der besten Strategiespiele aller Zeiten steckt? Klar. Die Realität aber ist komplizierter.
Ja, der Reforged-Version von Warcraft 3 fehlt es an einigem. Bis heute wirbt Blizzard in Trailern mit überarbeiten Zwischensequenzen, die es nicht ins fertige Spiel schafften; ähnliches gilt für das Interface, das in der veröffentlichten Version anders als angepriesen aussieht; diverse weitere Probleme – wie fehlende Hotkey-Belegung, Ranglisten, Turniere und User-Kampagnen – sorgen für Unmut, Enttäuschung, Ärger.
Vermischt man diese Emotionen, entsteht der aktuelle User-Score von 0,6 Punkten bei Metacritic. Entsteht: Idiotie. Keines der genannten Probleme rechtfertigt eine derartige Bewertung. Selbst wenn man das eigentliche Spiel – also Warcraft 3 – ausklammert und nur die Reforged-Elemente bewertet und somit auch die überarbeiteten Grafiken, kann keine Null dabei herauskommen. Es geht hier schließlich um etwas anderes, nicht um sachliche Kritik oder einen Diskurs. Ein Denkzettel soll das sein, ein Shitstorm, der sich ganz und gar nicht gewaschen hat, der Blizzard zeigen soll, wie „echte Gamer“ inzwischen über sie denken.
Überraschend ist dieses Verhalten nicht, bedenkt man, wie so ein Sittich die Bühne der Blizzard-Messe Ende 2018 betrat und die Entwickler fragte, ob das eben angekündigte Diablo-Spiel für Smartphones ein Witz sei. Noch bevor überhaupt dreieinhalb Details zu Diablo Immortal bekannt waren, fühlten sich die Blizzard-Fanboys in ihrer Ehre gekränkt, hauptsächlich deshalb, weil eine der gamingsten Gaming-Reihen plötzlich auf jener Plattform erscheinen sollte, die von den vermeintlich unwürdigsten Gamern genutzt wird: Frauen und Kindern.
Auf diese Stufe will sich niemand stellen lassen. Wo kommen wir denn da hin, wenn der professionelle Diablo-Otto nach rund 2000 Spielstunden, aufgeteilt auf Diablo 1 bis 3, plötzlich das Feld teilen muss mit diesen – das wird ja man wohl noch sagen dürfen: Wesen, die mit Gaming nichts zu tun haben?! Das kann nur ein Witz sein, ein schlechter noch dazu, ohne Pointe, ohne Pfiff, wenn überhaupt: Dünnpfiff!
Disclaimer: Das ist keine humoristische Übertreibung. Wer sich länger als dreizehn Sekunden in einer Gaming-Community aufhält, wird zum misogynen Nazi-Gamer, der im nächsten Call of Duty doch endlich mal die Wehrmacht zocken will, Hashtag Nichtallewarenböse. In der Gemeinschaft des größten deutschsprachigen Spielemagazins ist es erlaubt, sexuelle Belästigung klein zureden, den Holocaust zu verharmlosen und Transmenschen zu beleidigen. Und unter News, die beeindruckende Zahlen von Mobile-Gaming aufzeigen, darf die PC-spielende Elite einer von Millionen Menschen genutzten Plattform ihre Daseinsberechtigung absprechen. Denn: Android- oder iOS-Spiele sind alles, aber kein Gaming.
An dem Beispiel Blizzard erkennt man die Überzeugungen vieler hauptsächlich männlicher „Gamer“. Sie sehen ihre einstige „Spieleschmiede“ bedroht von Konzepten, die sich von ihnen, den „Gamern“, entfernen, also andere Zielgruppen erschließen oder, ganz verrückt: neue Genres ausprobieren.
Als Reaktion auf die vergangenen Jahre der Blizzard-Enttäuschungen folgte nun das sogenannte Review-Bombing: Auf Plattformen, die eine Bewertung für Spiele zulassen, vergibt man die schlechteste Wertung, ob man das jeweilige Spiel nun getestet hat oder nicht. Anfällig dafür ist Metacritic ohnehin mehr als etwa Steam; bei Steam lässt sich anzeigen, wie viele Stunden der betreffende User gespielt hat, während auf Metacritic nicht mal das Alter der Accounts überprüft wird. Checkt man einige der Benutzerkonten der Warcraft-Knechter, zeigt sich, tja, dass viele von ihnen am Tag der abgegebenen Wertung erstellt wurden. Ein wie auch immer gearteter Nachweis für das tatsächliche Spielen ist übrigens ebenso nicht vorgesehen für eine Bewertung bei Metacritic.
Was man bei all der Hysterie gerne übersieht: Blizzard sprach im November 2019 über die überarbeiteten Zwischensequenzen, deren Fehlen jetzt so sehr beschrien wird. Stellt sich raus: Die Änderungen haben die Entwicklerinnen und Entwickler verworfen – und das mitgeteilt. Auch deutschsprachige Medien berichteten darüber.
Das Kernproblem von Warcraft 3 Reforged ist also weniger die (fehlende) Überarbeitung der Zwischensequenzen, sondern die damit einhergehende Kommunikation. Und die hat Blizzard tatsächlich gründlich verdaddelt. Mit Anlauf. Dass das Studio mit diesen Sequenzen noch immer in Trailern wirbt, ist dreist. Man sollte das kritisieren dürfen, ja doch. Dieses beinahe kindliche Verhalten in vielen auf Metacritic veröffentlichten Reviews ist allerdings einmal mehr der Beweis für eine geradezu unmögliche Diskussion über Marketing-Versprechen, irreführende Trailer und die Rolle der Spielepresse.
Die behauptete zum Beispiel in Form der GameStar, jedes kommende Remaster-Spiel solle sich ein Beispiel an Warcraft 3 Reforged nehmen, schöner und größer sei es, mit massiven Verbesserungen ausgestattet – freilich formuliert über ein Jahr vor Veröffentlichung des Spiels. In der Entwicklung gestrichene Elemente haben in derlei Previews nie einen Platz, sie werden selten in Betracht gezogen für die überhastete Bewertung eines unfertigen Spiels. Stattdessen lautete der Tenor: Wir wissen nicht wirklich, ob Warcraft 3 Reforged so wird, wie man es uns auf einer Marketingmesse sagt, aber ach, egal, wir behaupten einfach mal, alle künftigen Remaster-Versionen von Spielen sollten sich ein Beispiel daran nehmen.
Disclaimer: Das ist keine humoristische Übertreibung. Das ist exakt so passiert.
Wer diese Previews liest, ist nicht doof, aber doch der Gelackmeierte. Er oder sie vertraute einer Redaktion, die das Wort „abwägen“ als Synonym für „abfeiern“ hält. Und dann feiert die ordentlich, in Videos, Podcasts, Previews. Spielejournalistischer Alltag eben. Und wer profitiert davon? PR- und Werbeabteilungen diverser Studios, in diesem Fall Blizzard, die Journalistinnen und Journalisten eine Version von Warcraft-Reforged zeigten, die so nie in den Handel kam, von allen journalistischen Vertretern aber anders kommuniziert wurde – ohne jeden Zweifel an der Qualität des noch nicht fertig entwickelten Spiels.
In der Momentaufnahme kurz nach Release der Reforged-Version bog sich die Spielepresse das eigene Versagen sogar noch zurecht. In einer Plus-Kolumne der GameStar heißt es, zu dem Zeitpunkt, als ein Blizzard-Entwickler über gestrichene Features sprach, sei noch nicht die Rede von der fehlenden Überarbeitung der Zwischensequenzen gewesen. Das ist falsch. Bereits neun Tage vor dem eigentlichen Interview hat der YouTube-Kanal „Back2Warcraft“ entsprechende Infos geteilt, das Magazin 4Players berichtete darüber.
Die gleichen Redaktionen, die über das damals unfertige Reforged-Spiel jubelten, kritisierten Blizzard nach dem vermeintlichen Versagen im Zusammenhang mit der Ankündigung von Diablo Immortal. „Selber Schuld“ sei Blizzard gewesen, als Spielerinnen und Spieler ihren Unmut unter anderem darüber äußerten, bei der 2018-Ausgabe der Blizzcon eben kein Diablo 4 gesehen zu haben. Doch auch in diesem Fall kommunizierte Blizzard zuvor: Erwartet kein Diablo 4.
Verrückt, das alles. Das Review-Bombing, das Verhalten von Blizzard, die eingeschnappten Ekel-Fans, die Rolle der Presse in diesem Chaos. Hingegen wirklich supersüß fühlt sich Warcraft 3 Reforged an, wenn man mit Problemen klar kommt, sie benennen kann – und kein verbitterter Lurch ist. Als „Verarsche“ kann man gewiss einige Moves von Blizzard bezeichnen, man sollte sie kritisieren. Wie einige Spieler jedoch Portale und Plattformen mit Wutanfällen schinden und so an Bewertungen interessierten Menschen eine verkehrte Welt vortäuschen, hat nix mit Kritik zu tun.
Wie brillant Warcraft 3 noch immer ist, hat mich indes wirklich erstaunt. Mit den Nachtelfen schleichen, mit den Menschen andere Menschen killen, die Untoten-Kampagne überspringen, zufällig in spannende Mehrspieler-Gefechte stolpern, es ist geil, geil, geil. Überarbeitet und fresh sehen sie aus, die Einheiten und Charaktere, mit – mal mehr, mal weniger – guten Synchronsprechern vertont, bisschen anfällig für Lags kommt die Performance daher, schade, aber sonst bin ich zufrieden.
Würde ich fünf Punkte vergeben? Ich tendiere eher zu sechs, vielleicht fünf dreiviertel, oder auch elf, in den besten Momenten fühlt sich Warcraft 3 Reforged nach elf an, ihr kennt das, die elf halt, die ist ja sonst eher schüchtern. Und nebenbei beleidige ich alle Hanswürste, die sich für eine einzige Bewertung auf Metacritic einen Account erstellen und hanswursten.
Damit bin ich vielleicht nicht besser als diese unsägliche Gamer-Kreischerei. Aber ach, ich hatte Spaß. Und das ist doch auch mal schön.
1 Kommentar
Es gibt natürlich eine Rechnung, mit der das sehr wohl geht. Wer das alte Warcraft 3 schon besaß, bekommt nämlich auch Reforged übergestülpt, wenn er mit seinem PC nicht komplett offline bleibt. Natürlich nur in „Classic“-Grafik, die aufgrund diverser Glitches zumindest am Anfang schlechter war als das originale WC3. Dafür ist der Client nun 25 Gigabyte größer und hat diverse Online-Funktionen nicht mehr, die das Original hatte. Abgesehen davon, dass Online ohnehin schlecht funktioniert: Das erste große Tournament ist wegen Disconnects in die Hose gegangen.
Müsste mich alles gar nicht interessieren, hätte mir Blizzard nicht ein Spiel, das ich vor über einem Jahrzehnt gekauft habe, weggenommen und durch einen Speicherfresser mit schlechterer Grafik und weniger Funktionen ersetzt. Nun sage mir, wie sollte ich Reforged denn bewerten, das ich nicht einmal besitze? Ich komme auf minus 2. Um soviel verschlechtert sich durch Reforged nämlich das Spiel, das ich hier habe. Null ist von meiner Warte aus zu positiv.
Deshalb erstelle ich natürlich nicht gleich einen Metacritic-Account. Review-Bombing finde ich idiotisch.
Das könnte kaum falscher sein. Erstens sind auf der BlizzCon auch Frauen und Kinder. Zweitens sind auf der BlizzCon langjährige Blizzard-Fans (beiderlei Geschlechts), die ein Heidengeld dafür bezahlt haben, teilnehmen zu dürfen. Selbst der Livestream im Internet, den ich mir gemeinsam mit Freunden seit Jahren gebe, kostet inzwischen 39€!
Bei Blizzard sollte man sein BlizzCon-Publikum kennen. Die, die die Firma schon lange begleiten, sind natürlich vor allem PC-Spieler. Das hat einfach was mit dem bisherigen Portfolio Blizzards zu tun. Der erste Konsolen-Port für Diablo 3 wurde dort auch eher lauwarm aufgenommen. Inzwischen, mit Overwatch etc., hat sich das gewandelt, es sind mehr Konsolen-Spieler auf der BlizzCon. Dass Diablo 4 zeitgleich mit dem PC auch auf Konsolen erscheinen soll, freut die Leute heute.
Bei dem Haufen Geld, den man bezahlt, darf man, denke ich, schon ein Programm auf der BlizzCon erwarten, das einen zumindest peripher interessiert. Und Smartphone-Games interessieren dort die ganz große Mehrheit einfach nicht die Bohne. Die wollen auch keine dreieinhalb Details dazu. Deshalb hat das dort auch kaum einer probegespielt, obwohl die Möglichkeit bestand. Das hat nichts, aber überhaupt gar nichts damit zu tun, Frauen und Kinder für „unwürdige“ Spieler zu halten. Auch nicht damit, ob Immortal ein gutes Spiel wird, an dem vielleicht auch viele Leute Spaß haben werden.
Oder dass man sich in seiner „Ehre“ gekränkt fühlt. Eher um sein Geld betrogen. Das ging uns selbst bei fast 40€ zu Hause auf der Couch so. Dass Diablo 4 nicht kommen würde, war klar, aber das Gerücht eines Diablo-2-Remasters ging ja auch um. Das hätten wir abgefeiert ohne Ende. Stattdessen haben wir einen Abend und einen Haufen Geld verplempert, um die Vorstellung eines Smartphone-Spiels zu sehen. Wie muss das erst den Leuten gehen, die 200$ schon für das Messeticket bezahlt haben, von Anreise und Übernachtung ganz zu schweigen?
Ich kann nur sagen, der „Sittich“ hat uns sowas von dermaßen aus der Seele gesprochen! Und „Do you guys not have phones?“ ist zu Recht zum Meme geworden. Blizzard hätte Immortal auf irgendeiner x-beliebigen Messe vorstellen können und es wäre zu dem ganzen Aufruhr überhaupt nicht gekommen.
Kann man vielleicht nicht nachvollziehen, wenn man die Nachricht am Tag darauf in zehn Sekunden kostenlos bei Gamestar überflogen hat…
(Um das noch anzufügen: Auch wenn ich alles, was in diesem Q&A-Panel passiert ist, absolut okay und nachvollziehbar finde und es für eine Schande halte, dass Blizzard daraufhin 2019 die Q&As quasi gestrichen hat – jegliches Harassment gegenüber Wyatt Cheng oder anderen Blizzard-Angestellten ist es natürlich nicht!)