Moin! Heiko hier.
Ihr kennt ja sicher alle den Landwirtschafts Simulator. Angeblich spielt ihn keiner, alle lachen drüber und trotzdem taucht er regelmäßig in den Verkaufscharts auf. Quasi die BILD-Zeitung unter den PC-Spielen. Tatsächlich habe ich aber ein paar Kunden, die ihn doch spielen und obendrein noch dazu stehen. Bauern allesamt. Klingt komisch, oder? Wer will schon nach Feierabend zur Entspannung genau das machen, was er schon den ganzen Tag auf der Arbeit gemacht hat, nech? Ist aber so. Und die lieben das Ding geradezu. Also beschloss ich, das selber mal auszuprobieren. Irgendwas musste da ja dran sein.
Natürlich will ich nicht Treckerfahren und Mais ernten. Wo denkt Ihr hin! Ich finde Schlepper und Erntemaschinen zwar von Berufswegen ganz interessant, aber das ganze Drumherum, also die Bewirtschaftung eines Hofes, reizt mich so gar nicht. Ich meine eher dieses „Bauer spielt Bauernhof-Simulation“-Ding. Ich hatte nämlich auf Steam irgendwann mal diesen KFZ-Werkstatt Simulator 2014 gesehen. Seinerzeit dachte ich nur „Jau, is klar! Nach der Arbeit spiele ich am liebsten Arbeit …“ und schüttelte mit dem Kopf, aber wenn wirklich so viele Bauern auf den Landwirtschafts Simulator stehen, muss man das ja mal wenigstens ausprobiert haben, nech. Also: Gesucht, bezahlt, runtergeladen, fertig. Das Experiment konnte beginnen.
Im Startmenü entscheide ich mich natürlich sofort für die „Karriere“ und lande in einer amerikanisch wirkenden Hinterhofschrauberbude. Sieht in etwa so aus wie die Löcher, in denen sich Vin Diesel und die anderen Furious-Honks zum Asi-Karren-Tunen treffen. Mein eigenes Auto würde ich hier auf jeden Fall nicht zur Reparatur abgeben, aber das nur nebenbei. Später soll man im Karriere-Modus angeblich größere, professionellere Werkstätten bekommen können (so viel sei schon mal verraten: Ich hielt es nicht so lange mit dem Spiel aus, um das überprüfen zu können …). Die grafische Präsentation ist gar nicht mal so schlecht. Sieht in etwa aus wie ein Rennspiel von vor fünf Jahren. Die Karren sind allesamt Fantasie-Autos. Für Original-Lizenzen war beim Entwickler wohl kein Geld da. Gleiches gilt auch für alle Ersatzteile, wie zum Beispiel Batterien, Felgen oder Abgasanlagen. Finde ich jetzt aber nicht so gravierend. Was ich viel merkwürdiger finde, sind viele technische Details bzw. deren Nichtvorhandensein. Die meisten Wagen haben beispielsweise nicht einmal eine Tankklappe. Und wenn man unter die Haube sieht, findet man bei einem Wagen, der laut Auftragszettel Baujahr 2011 ist, einen Vergaser statt einer Einspritzanlage. Sorry, aber ein Vergaser in einem Mittelklassewagen von 2011? Das ist in etwa so, als hätte eine 747 im Microsoft Flight Simulator Propeller statt Düsentriebwerke, nech. Da hat jemand wirklich seine Hausaufgaben nicht gemacht. Aber erstmal weiter im Text …
Am Anfang gibt es ein paar Tutorial-Tipps, die sich eher an Leute richten, die schon froh sind, wenn sie bei einem Auto die Tür zum Einsteigen finden. Die ersten Aufträge sind dementsprechend auch recht simpel: Bremsbeläge erneuern, Ölfilter wechseln und solche Sachen. Schon hier fallen dem Fachmann diverse Schnitzer auf: Schrauben werden durch einen Mausklick gelöst bzw. angezogen. Eine Anzugsreihenfolge oder zu beachtende Drehmomente gibt es nicht. Wenn unser Azubi Justin das so machen würde, bekäme er jedes Mal einen Schlag in den Nacken. Beim Ölfilterwechsel wechselt man einfach den Filter. Öl ablassen und wieder auffüllen muss man dabei ebenso wenig, wie die Sauerei beseitigen, die man bei diesem Vorgehen in der Werkstatt veranstalten würde. Wenn man ausnahmsweise mal ein Teil repariert, anstatt es nur auszutauschen (was zugegebenermaßen sehr realistisch ist), geht man einfach zur Werkbank, klickt „Reparieren“ und – Puff! – ist es repariert. Man sieht von der Reparatur oder dem Innenleben der Teile nix.
Ein Kunde hat Probleme beim einlegen der Gänge. Bei der entsprechenden Testfahrt muss ich, wie eigentlich jedes Mal, auf der Teststrecke Bremsen, Stoßdämpfer und Fahrwerk testen, aber das Wechseln der Gänge nicht. Es war natürlich, wie erwartet, die Kupplung (Scheibe und Ausrücklager waren platt). Also bestelle ich am Werkstattrechner die entsprechenden Neuteile: 500 € allein für eine neue Kupplungsscheibe im Einkauf? Alter, das sind ja Apothekenpreise…! Aber noch lustiger war der Ausbau des Getriebes (um an die Kupplung zu kommen): Ich habe etwa 10 Minuten versucht, das Getriebe von unten (Fahrzeug auf der Bühne) auszubauen. So wie man das eben macht. Erfolglos. Musste dann feststellen, dass das Programm der Meinung ist, dass man das Getriebe von oben, also durch die Motorhaube ausbauen solle. Wie soll das gehen? Wer denkt sich sowas aus? Vermutlich der Mann, der in aktuellen Fahrzeugen immer noch Vergaser verbaut …
Nächster Fall: Die Batterie wird nicht mehr geladen. Muss die Lichtmaschine sein. Ich kann sie aber nicht testen, wie man es eigentlich machen würde, sondern nur ausbauen und blind reparieren bzw. austauschen. Die leere Batterie kann ich danach auch nicht laden, sondern nur reparieren oder austauschen. Wie auch immer diese „Batterie-Reparatur“ wohl von statten geht, es muss auf jeden Fall Gold oder Platin im Spiel sein, denn sie kostet 170 €. Hey, aber immer noch besser als dem Kunden eine neue Batterie einzubauen, denn die kostet im Einkauf 350 Ocken. Meine Fresse …
Generell die Kosten im Spiel: Wenn ich solche Wucherpreise hätte, hätte ich genau Null Kunden in der Werkstatt. „Ausgeschlagene Lenkung? – Kein Problem! Erledigen wir noch am gleichen Tag. Macht dann 3000 Euro, bitte!“ Mann, Mann, Mann. Ein klein wenig Realismus kann man von einem Programm, das sich selbst „Simulator“ schimpft doch wohl erwarten, oder? Zumal es im Karriere-Modus ja sogar einen kleinen Wirtschaftsteil enthält, bei dem man möglichst Gewinn macht, um irgendwann aus Vin Diesels Tuning-Butze ausziehen zu können …
Auch der Einsatz von Diagnosegeräten ist total merkwürdig. Die Lichtmaschine im gerade geschilderten Fall konnte ich nicht überprüfen, obwohl das eigentlich das korrekte Vorgehen wäre, aber dafür kommt dann ein anderes Mal ein Kunde mit dem Auftrag, ich solle seine OBD-Schnittstelle auf hinterlegte Fehler auslesen. Einfach so. Nee, is klar. Kommt bei uns in der Werkstatt quasi täglich vor: „Guten Tach! Meine Karre läuft super. Hatte nur Langeweile und dachte, Sie könnten mal meinen Fehlerspeicher auslesen. Kann ja nicht schaden, oder?!“ – „Kein Problem. Machen wa. Soll’s sonst noch was sein? Wir hätten diese Woche als Aktion noch Jägermeister- und Onkelz-Aufkleber da. Unser Justin macht sie Ihnen kostenlos und fast ganz ohne Luftblasen an die Heckscheibe. Oder vielleicht noch ein Duftbäumchen? Wir haben gerade die Duftnoten „Fangfrischer Seelachs“ und „Harzer Roller“ im Sonderangebot!“
Und diese bescheuerte Teststrecke, auf der man die immer gleiche Probefahrt macht, egal was der Kunde für ein Problem schildert, egal um was für ein Fahrzeug es sich handelt. Ich mein, wäre schon klasse, wenn man so eine Teststrecke wirklich hätte. Aber ich müsste garantiert auch jedes Mal vor einer Testfahrt erst die ganzen Dorf-Koten mit ihren tiefergelegten Polos und Twingos verscheuchen, weil so ein Parcours natürlich besser als jeder Supermarktparkplatz ist, wenn man mit seiner Prolo-Kiste herumschocken will.
Jetzt mal im Ernst: Dass so ein KFZ-Werkstatt Simulator 2014 nicht alles hundertprozentig korrekt und realistisch abbildet, habe ich gar nicht anders erwartet. Das macht der Landwirtschafts Simulator wohl auch nicht anders, wie mir Bekannte versicherten. Aber neben den ganzen Vereinfachungen findet man hier einfach auch zu viele Dinge, die schlicht weg falsch sind. Der Landwirtschafts Simulator glänzt wohl gerade mit der extrem detailgetreuen Darstellung der Landmaschinentechnik (inklusive der Original-Hersteller-Lizenzen!). Der KFZ-Werkstatt Simulator 2014 „glänzt“ hingegen nur mit No-Name-Autos, die technisch nicht mal korrekt sind, und Arbeitsabläufen, die so in keinster Weise der Realität entsprechen. Sogar jeder jüngere Need For Speed-Teil bietet da im Auto-Tuning-Menü mehr Realismus als dieses KFZ-Dingens. Es ist bestenfalls eine Art „Simulator-Simulator“.
Als absoluter Laie kann man mit dem KFZ-Werkstatt Simulator vielleicht noch ein wenig über Autos lernen, allerdings auf einem „Ah, so sieht das also unter der Motorhaube aus! Da is ja gar kein Riesen-Hamster in einem Laufrad drin.“-Niveau oder „Ach, guck an. Die Kupplung sitzt zwischen Motor und Getriebe! Wer hätte das gedacht?“-Level. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass das der Beweggrund ist, warum Leute eventuell über den Kauf eines solchen Programms nachdenken.
Was mich massiv stört, ist, dass der Simulator einen völlig falschen Eindruck von meinem Job vermittelt. Eine rasante Testfahrt auf dem ADAC-Parcours, ein paar Schrauben lösen, ein paar Teile austauschen, fertig ist die Laube. Das kann ja echt jeder Honk. Sogar einen Schimpansen hat man in der KFZ-Werkstatt relativ schnell angelernt. Alles nur eine Frage der Bananen. Und am Ende gibt es eine völlig überzogene Rechnung für den armen Autofahrer. – „Macht dann fünf Trillionen Euro, bitte. Plus Mehrwertsteuer, versteht sich!“
Warum ich das so dramatisch finde, fragt Ihr? Das kann ich Euch gerne sagen: Wenn ich einen neuen Azubi einstellen will, melden sich ohnehin schon viel zu viele ungeeingnete Bewerber. Der Grund ist in erster Linie eine völlig falsche Vorstellung vom Beruf des KFZ-Mechatroniker. Und eine „Simulation“ wie diese, macht es nicht gerade besser, nech.
Aber egal. Wenigstens haben Gerd, mein Altgeselle, und ich ein paar Mal herzlich gelacht, als ich ihm das Teil gezeigt habe. So gesehen, habe ich mein Geld nicht komplett aus dem Fenster geworfen…
Munter bleiben!
WASD-Leser kennen Heiko schon etwas länger: In seiner Kolumne „Heikos Garage“ betrachtet er in jeder Ausgabe die Welt der Videospiele durch die Augen eines selbstständigen KFZ-Meisters, der eine freie Werkstatt irgendwo im Emsland betreibt.
4 Kommentare
http://pics.nase-bohren.de/simulator-simulator-2014.jpg
Spielen die Bauern jetzt den Landwirtschaftssimulator WEIL er die ganze Arbeit vereinfacht darstellt oder OBWOHL das so ist?
Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Die Vereinfachungen bezüglich der Bewirtschaftung eines Hofes nimmt man wohlwollend in kauf, weil es den meisten wohl eher darum geht, dass man dort Maschinen fahren kann, die man sich im Normalfall als kleiner bzw. mittelgroßer Bauer in der Realität nicht leisten kann.
Ganz witzige Geschichte: Ein Bekannter brauchte aus beruflichen Gründen 3D-Modelle von Landmaschinen (AutoCAD etc.) und hat sich logischerweise an die Hersteller (Krone, Claas, Fendt, usw.) gewandt. Diese verwiesen ihn wiederum an den Landwirtschafts Simulator, mit der Begründung, dass dessen 3D-Modelle technisch 100% korrekt und wesentlich leichter zu importieren seien …!
So um das Jahr 2006 kam auch mal ein Kollege mit dem Binnenschiffsimulator (oder war es nur der Schiffsimulator?) vom Urlaub zurück. Unser Schiffsführer, welcher ja eigentlich den ganzen Tag den Kahn über den Rhein schippert, war so begeistert, dass wir für die nächsten Tage das Ruder übernahmen, und er hinten im Steuerhaus auf dem Rechner den besagten Simulator spielte.
Auch später habe ich immer wieder Schiffsführer getroffen, welche die Simulation wirklich gut finden und diese nach Feierabend oder im Urlaub gerne spielen.
Mir persönlich sagen diese Spiele nicht viel, da höre ich lieber Podcasts und schaue mir dazu Let’s Plays vom Landwirtschaftssimulator oder Mario Card an ;)
Lukas
Schon interessant, wie viele Leute tatsächlich Bock haben, in der Freizeit eine Simulation ihres Berufes zu spielen… ;-)