Dass der Markt für Casual Games groß ist, war für mich schon länger kein Geheimnis mehr: Euphorische Erfolgsmeldungen aus der Branche kann man beinahe täglich lesen, es existieren viele auf diesen Markt spezialisierte Publikationen sowie ein eigener Verband, der die Interessen der Entwickler und Verleger von Flash-, Browser- und Download-Spielen vertritt. Von Zeit zu Zeit staunt man darüber, dass extrem simpel gestrickte Titel wie “FarmVille” ein zweistelliges Millionenpublikum finden, dass Facebook und iPhone sich wie aus dem Nichts zu ernstzunehmenden Spiele-Plattformen gewandelt haben und, vielleicht zum ersten Mal seit dem Aufkommen von Konsolen mit 3D-Grafik, glaubhaft als das nächste große Ding gehandelt werden.
All dies war Grund genug für mich, vor ein paar Wochen in Hamburg die “Casual Connect Europe”-Konferenz zu besuchen, um mir selbst ein Bild von diesem neuen Eldorado der Games-Branche zu machen. Von Erfolg gekrönt war mein Unterfangen jedoch leider nicht. Das liegt daran, dass ich, nicht in der Lage, über meinen eigenen Schatten zu springen, ausschließlich Vorträge über die etwas unglücklich betitelten Boy-Games angehört habe, anstatt etwas über echte Casual Games. Davon werde ich allerdings erst im zweiten Teil des Eintrags berichten. Zu meiner Verteidigung möchte ich allerdings noch anmerken, dass ich nur am Donnerstag Zeit hatte und von den omnipräsenten Business-Themen verstehe ich eh nichts.
Zunächst jedoch soll es um zwei Momente gehen, die mir die Augen geöffnet und schlagartig klar gemacht haben, wie groß der von uns Powergamern oft als belanglos abgetane Casual-Markt tatsächlich ist: Während der Mittagspause saß ich mit drei Personen aus drei verschiedenen Staaten zusammen, die in Unternehmen beschäftigt waren, die sich jeweils mit einem völlig anderen Aspekt der Spiele-Produktion, von der Entwicklung über die Lizensierung von Middleware bis zur Veröffentlichung auf großen Web-Portalen, beschäftigen und augenscheinlich eine Menge Geld damit verdienen.
Das andere erwähnenswerte Ereignis war mein Besuch beim Stand von Bigpoint. Das Unternehmen, dessen Werbemaßnahmen effektiv niemand entkommen kann, da sie auf allen Kanälen senden, konnte jüngst die Registrierung des einhundertmillionsten Spielers verzeichnen. Vermutlich sind nicht wenige Karteileichen darunter, doch die großen, entsprechend beworbenen Titel wie “Seafight” & Co sollen jeweils eine gute Million regelmäßiger Spieler anziehen, erfuhr ich. Bei solchen Zahlen wird vermutlich so mancher Anbieter sogenannter AAA-Titel grün vor Neid werden. Bigpoint, deren Erfolg sich auch in der Beschäftigung von gut 300 Angestellten in Hamburg, New York und im Silicon Valley bemerkbar macht, ruhrn sich dennoch nicht auf ihren Lorbeeren aus. Das Unternehmen wildert engagiert sich bereits unter dem BiPoGames-Label in einem Markt, der mir persönlich sehr am Herzen liegt – dem der kurzweiligen Flash-Spiele. Auch wird es nicht bei den eher einfach gestrickten Browser-MMOs mit dem Charme einer Excel-Tabelle bleiben. Die nächste große Veröffentlichung, ein “Grand Theft Auto” alles andere als unähnlicher Titel, wird die Unity-Engine und das dazugehörige Browser-Plugin verwenden und in Echtzeit und dreidimensional präsentiert werden. Ganz besonders erfreut zu erfahren hat mich die Nachricht, dass das von mir sehr geschätzte “Jump Jupiter” mit Bigpoint nun endlich einen Publisher gefunden hat – damit dürfte die Zukunft des Multiplayer-Jump’n’Runs, in dem man mittlerweile auch den Level-Editor verwenden kann, vorerst gesichert sein.
Nun soll es jedoch endlich um Games for Gamers gehen: Auf der “Casual Connect” waren einige Entwickler mehr oder minder bekannter Spiele anwesend und haben ein paar unterhaltsame und interessante Anekdoten zum Besten gegeben, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Den Anfang machte Reece Millidge, Entwickler von “Icycle”, einem kurzen Flash-Spiel über einen Mann, der in ferner Zukunft, mitten in der nächsten Eiszeit, in einer Zeitkapsel aufwacht. Diese Person muss man, im Adamskostüm und auf einem quietschenden Kinderfahrrad mit Rücktrittbremse, durch eine gefrorene menschenleere Welt dirigieren, ihr dabei helfen, gefrorene Seifenblasen einzusammeln und sie davor bewahren, gegen messerscharfe Eiszapfen zu fahren. Es gab überraschenderweise bitterböse Beschwerden nach der Veröffentlichung: Zu diesem Zeitpunkt völlig gerechtfertigte Klagen über den Schwierigkeitsgrad und das Jammern einiger Matschbirnen, die die Nacktheit als anstößig oder “gay” betrachteten. In der ersten Version des Spiels waren noch keine Checkpoints vorhanden, was dazu führte, dass nur ein Bruchteil der Spieler überhaupt das Ende des ersten Levels zu Gesicht bekamen. Mir ging es da nicht anders und so schrieb ich “Icycle” schnell als uninteressant ab. Vollkommen zu Unrecht, denn das Spiel ist schön animiert (kein Wunder, ist Millidge doch verantwortlich für Oscar-nominierte Kurzfilme und Werbespots) und gespickt mit Referenzen an großartige Kunstwerke wie Hokusais “Große Welle”, Chaplins “Gold Rush” und Wile E. Coyote aus den unsterblichen “Merrie Melodies”. Auch Atomwaffen, Krieg und das Aussterben von Menschen und Tieren thematisiert “Icycle”; es stellt diese Themen jedoch nicht in den Vordergrund, sondern integriert sie geschickt, auf den ersten Blick fast unsichtbar, in die spaßigen Level.
Das neue WiiWare-Spiel (eine PC-Version ist gerade im Entstehen) der Entwickler der Original-PC-Version von “de Blob” heißt “Swords and Soldiers” und ist ein zweidimensionales Sidescrolling-Echtzeit-Strategie-Spiel (ein weiteres Indiz dafür, dass das Strategie-Genre entgegen vieler Unkenrufe alles andere als tot ist). Anstatt mit der Arbeit an einem großen Wii-Spiel, dessen Finanzierung ungewiss gewesen wäre, zu beginnen, entschied sich die Truppe um Jasper Koning, mit nur einem Programmierer einen drei Monate gereiften Flash-Prototypen weiterzuentwickeln. Die ungewöhnliche Perspektive ist allerdings nicht die einzige Besonderheit des Spiels: Es handelt sich um ein taktisches, jedoch keinesfalls um ein traditionelles RTS. Man sammelt wie gehabt Resourcen und baut Einheiten, nur direkt kontrollieren kann man diese nicht, und auch Zaubersprüche finden automatisch stets das lohnenswerteste Ziel. (Der Grund dafür ist, daß auch Spielern, die langsamer im Umgang mit der Wiimote sind, kein Nachteil entstehen soll. So weit, so “Plants vs. Zombies”). Allerdings hatte “Swords and Soldiers” während der Entwicklung mit gravierenden Problemen zu kämpfen: Es gab, wie gesagt, nur einen einzigen Programmierer, und Tools wie der Level-Editor bestanden, ohne Scheiß, allesamt aus Notepad.exe. Das Balancing des Multiplayer-Modus machte den Singleplayer-Teil unspielbar und das Spiel fiel zwei Mal durch das amerikanische Age-Rating, weil die opulenten Brüste einer abstrakten Spielfigur zu stark wackelten. Große Sorgen muss man sich trotz dieser Rückschläge aber vermutlich nicht machen, denn ganz so groß wie auf anderen Plattformen ist die Konkurrenz für casually Hardcore-Spiele auf der Wii vermutlich nicht.
“Was soll eigentlich der merkwürdige Titel dieses Beitrags?”, könnte man sich fragen. Wenn man jedoch weiß, dass die bei weitem liebste Spielfigur der Käufer des XBLA-Titels “Rocket Riot” ein pixeliges Speiseeis ist, klingt er doch plötzlich ganz plausibel, oder? Der zweidimensionale Voxel-Shooter, mit Elementen aus Titeln wie “Arkanoid” und “Mega Man” sollte anfänglich nur für Mobiltelefone erscheinen. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch an den damals schlecht entwickelten Mobilfunknetzen und deren viel zu hohen Latenzzeiten. Nachdem die Entwickler von Codeglue Gespräche mit Microsoft geführt hatten, schlossen sie schließlich 2007 einen Vertrag mit THQ. Der besondere Graphikstil mit den fetten explodierenden Klötzchen kam zumindest bei diesem Publisher gut, bei potentiellen Käufern aber nicht ganz so gut an. Okay, es wußten auch nicht viele Personen von der Veröffentlichung, hatte Microsoft doch in ihrer üblichen Pressemitteilung schlicht vergessen, “Rocket Riot” zu erwähnen. Zudem brach gerade am Release-Tag auch noch das Live-Netzwerk zusammen – schlecht für ein Spiel, das vornehmlich von Multiplayer-Matches lebt.
Der vermasselte Launch markierte das vorläufige Ende einer schlimmen Pechsträhne: Verantwortlich für die lange Entwicklungszeit war nämlich, dass man sich bei der Erstellung der 80 Einzelspieler-Levels verkalkuliert hatte und zudem ein Patch der Entwicklungsumgebung XNA ein ganzes Jahr auf sich warten ließ. Die Geschichte wurde dem Spiel im Übrigen auch erst einen Monat vor Fertigstellung hinzugefügt. So ist es nicht verwunderlich, daß nur von 8% der ohnehin spärlich gesäten Spielerinnen und Spieler den mit einem unverfrorenen Schwierigkeitsgrad ausgestatteten Titel überhaupt beendet haben. Naja, vielleicht schlägt sich der Titel ja besser, wenn, beziehungsweise falls, er irgendwann auf dem PC (eventuell via Steam) erscheint.
Zu guter Letzt geht es noch um “Machinarium”, Nachfolger im Geiste der wohl immer noch gut gehenden “Samorost”-Reihe. “Machinarium” entstand unter dem Einfluß unzähliger Faktoren. Explizit erwähnte Projektleiter Jakub Dvorsky die ungemein flache Landschaft der Niederlande und die dazu im Kontrast stehenden relativ hohen Gebäude, die beide im fertigen Spiel wiederzuerkennen sind. Wie sehr die besondere Atmosphäre Amsterdams die Entstehung von “Machinarium” genau beeinflußt hat, ist nicht bekannt, die Idee für das Spiel und erste Konzeptzeichnungen wurden aber zweifelsohne im Venedig der Hippies zu Papier gebracht. Im Verlauf der Entwicklung hat sich dann aber vieles im Spiel noch drastisch gewandelt. Der Protagonist Jakob, benannt nach “Josef Čapek”, dem Schöpfer des Begriffes “Roboter”, zum Beispiel, begann sein Leben als Teddybär. Alle Rätsel, Ideen, Charaktere und Witze wurden zu erst von Hand gezeichnet und dann in mehreren Schritten, an deren jeweiligem Ende stets das gesamte Team zusammen beratschlagte, zusammen gefügt, digitalisiert und koloriert. Übrigens musste ein rechtshändiger Künstler seine Arbeit angeblich mit links verrichten, um den etwas schmutzigen Stil der Stift-Zeichnungen beizubehalten.
In das fertige Produkt flossen insgesamt fünfzig verschiedene Logo-Entwürfe, eine ganze Stunde unterschiedlicher Animationen und ein Soundtrack, der innerhalb von zwei Jahren, mit Hilfe diverser Kult-Synthesizer, produziert wurde. “Machinarium” habe ich zwar schon vor einiger Zeit für den PC gekauft, doch bisher noch nicht einmal gespielt. So sehr ich auch den zeichnerischen Stil und das Konzept, auf langweilige Dialoge komplett zu verzichten, mag, so sehr ängstige ich mich vor ungeliebten Logikrätseln und der Benutzung des visuell ansprechenden, aber absichtlich schwer zugänglich gestalteten Hilfe-Systems. Ich überlege aber, demnächst auch noch die iPhone-Version zu kaufen und gehe das Spiel häppchenweise an, ohne den Zwang, ständig Fortschritte machen zu müssen.
3 Kommentare
Machinarium habe ich auch neulich in diesem Indie-Love Paket erstanden. Muss ich mir die Tage endlich mal zu Gemüte führen.
Ansonsten muss ich sagen, dass ich Casual Games kapiert habe, nachdem der AppStore seine Pforte geöffnet hatte.
Also ‘Sword & Soldiers’ kann ich nur empfehlen, ein wirklich tolles WiiWare Spiel mit Witz und viel Charme.
Machinarium ist mein Spiel des Jahres 2009. Erfrischend anders/neu/mitHerhblutgemacht :)