Es ist eine Geschichte, wie man sie für eine Fortsetzung von Indie Game: The Movie schreiben könnte: Über fast ein Jahrzehnt hinweg, wenn man alle Post-Release-Inhalte mitzählt sogar über mehr als eine Dekade, entwickelt Eric Barone alias ConcernedApe unter Einsatz seiner Gesundheit, seiner Psyche und des gesamten Ersparten seiner Lebenspartnerin eine Bauernhofsimulation. Das zum Lebensziel gewordene Vorhaben dabei: Einen würdigen Nachfolger für die Farmingspiele seiner Kindheit, die es in dieser Qualität schon sehr viele Jahre nicht mehr gibt, zu veröffentlichen. Ein Spiel, das alle guten Aspekte aller Spiele der Reihe Harvest Moon zusammenführt und sie um Überraschungen, Neuheiten und Wiederspielwert ergänzt. Geworden ist daraus Stardew Valley, ein Spiel, dass die Harvest-Moon-Reihe beziehungsweise Story of Seasons, wie sie seit dem Rechtestreit zwischen Marvelous und Natsume im Westen heißt, nicht nur würdigt, sondern effektiv ablöst. Das liegt zum einen an der Qualität von Stardew Valley, dessen gigantischem PR-Erfolg zum Release und der konstanten Unterstützung durch Barone mit neuen Features, neuen Romanzen und sogar Offline- und Online-Multiplayer, klar. Zum anderen ist die ehemalige Königin des Farmings aber auch selbst mit verantwortlich, denn Marvelous’ Story-of-Seasons-Teile laufen ihrer einstigen Glorie seit den Zeiten der Pixelgrafik auf GBA und NDS, mindestens aber seit den letzten eher misslungene 3DS-Teilen konstant hinterher. Von den Harvest-Moon-Titeln, die Natsume seit der Entzweiung von Marvelous im Westen auf den Markt pumpt wie eine britische Chemiefabrik Klärschlamm in die Flüsse, ganz zu schweigen, denn die werden eher konstant schlechter als besser und verdienen eigentlich nur noch am prestigeträchtigen Namen mit.
Einfach so (wie der fiktive Film die mehrjährige Depression, die finanzielle Unsicherheit und die Angst vor dem Misserfolg darstellen würde) hat Barone das Spielfeld also auf den Kopf gestellt: Statt den Idolen seiner Kindheit nachzueifern, laufen diese seinem Millionenerfolg Stardew Valley nun seit dem Release 2016 hinterher und versuchen sichtbar mit jedem Release, mehr und mehr von Stardew Valley eingeführte oder nachgelieferte Features mitzubringen. Oder zumindest Features, die Barone aus Harvest Moon genommen und besser gemacht hat, auf einen Stand mit Stardew Valleys Zugänglichkeit und Anspruch zu bringen.
So ein Spiel zu bewerten ist also nicht ganz einfach. Einerseits versucht das japanische Team hinter Story of Seasons, mit einem (in meinen Augen leider potthässlichen, sonst aber mechanisch hervorragenden) Remake des wohl besten Teils Friends of Mineral Town an vergangene Glorien anzuknüpfen. Andererseits stellten sie mit Story of Seasons, Geschichten zweier Städte, Trio of Towns (alle 3DS) und schließlich Pioneers of Olive Town eine organisch wachsende Reihe auf die Beine, die die erschwerten Bedingungen unter dem neuen Publishing und Namen mitdenken musste, aber eben seit 2016 die wohl schwierigste Konkurrenz bekam, die man sich vorstellen kann: Ein nahezu perfektes, konstakt wachsendes Herzensprojekt eines grundsympathischen Einzelgängers. Und aus der Ferne betrachtet hat es bisher noch keines dieser eigentlichen “Originale” geschafft, mit Barones Stardew Valley zu konkurrieren, und wird stattdessen eher von der Zuneigung der harten Kern-Fanbase getragen.
Nun habe ich aber gerade das aktuellste Spiel der Reihe, Pioneers of Olive Town, in letzter Zeit recht intensiv gespielt. Nach einem exklusiven Launch auf der Switch kam der Titel erst auf den PC, nun kürzlich auch auf die PlayStation, und dort habe ich nun einige Zeit investiert. Und unter dem Mikroskop der genaueren Betrachtung entpuppen sich die Story-of-Seasons-Titel zwar als klobigere, aber in mancher Hinsicht doch charmantere Interpretationen auf die typische Farming-Simulation, wie sie Stardew Valley ist. Allein, dass jedes der Spiele im Gegensatz zu Stardew einen einfacheren Modus mitbringt, bei dem sich alle Ziele im Spiel ein kleines bisschen schneller erreichen lassen, ohne dass man das Erfolgsgefühl oder die Chance auf Errungenschaften verliert, ist bemerkenswert. Dass das nicht nur für Kinder toll ist, brauche ich wohl niemandem mit Vollzeitjob näher erläutern. Auch, nonbinäre Anspracheoptionen, anpassbare Körpertypen und gleichgeschlechtliche Ehen in einem japanischen Nischenspiel zu finden, hat mich mehr als positiv überrascht.
Spielerisch erkennt man grade in Pioneers of Olive Town, dass Story of Seasons hinter Stardew Valley herrennt. Mehr Crafting und mehr Modifikation des Geländes steckt hier drin als in jedem Titel zuvor abseits von Harvest Moon DS, aus dem Stardew Valley auch seine Farmbau-Systeme übernimmt. Wo Stardew allerdings in seiner Pixeloptik sehr organisch mit Rastern arbeiten und deswegen befriedigende Bauoptionen schaffen kann, kommt einem in Story of Seasons Unity-produzierter 3D-Optik ständig irgendwas in die Quere, und sei es nur, dass man aus unerfindlichen Gründen keine Wege direkt an Brücken und keine Zäune direkt ans Flussufer bauen kann. Wieso nicht? Wahrscheinlich hat das technische Gründe, aber es frustiert den perfektionistischen Farmdesigner. Sowas leistet sich Barones Indieperle eben nicht, und damit muss sich ein Post-Stardew-Valley-Spiel eben leider vergleichen lassen. Dennoch: Pioneers of Olive Town hat, ganz dem problematisch-kolonialistischem Titel treu, noch eine Ecke mehr Optionen, sich das Land zu eigen und die eigene Farm urbar zu machen. Allein die neu eingeführten Eimer und Pumpen, mit denen man kleinere Teiche und ganze Seen trockenlegen kann, um Schätze zu heben, fühlen sich mächtig an. Dass es mehrere Farmareale gibt, die eher wie in Graveyard Keeper durch das Entfernen von Barrieren als wie in Stardew Valley durch Upgrades freigelegt werden müssen, hat ebenfalls einen positiven Effekt auf die Motivation. Die dadurch verfügbaren besseren Versionen vorhandener Materialien, wie robustes statt biegsamem Holz, deren ältere Varianten jedoch immer relevant bleiben, machen das ganze deutlich taktischer in der Farmplanung als jedes mir bekannte Spiel bisher. Ich kann nicht alle meine Felder und Gebäude in das Startareal um mein Haus setzen, denn damit blockiere ich den Boden, auf dem bestimmte Hölzer und Gräser wachsen. Ich muss also ausgedehnt bauen und Wildareale freihalten, auf denen unkontrollierter Wuchs mir konstant Nachschub an Ressourcen gewährt.
Auch die Figuren – und damit auch die Romanzen – gefallen vielen Menschen in Story of Seasons besser als in Stardew Valley. Ich mag das eigentlich gar nicht vergleichen – die Figuren in Stardew Valley sind eher Abziehbilder bestimmter Stereotypen. Da die in Story of Seasons zwar facettenreicher, aber schrecklich ins Deutsche übersetzt sind, kann ich also gar nicht sagen, wo ich mich wohler fühle. Sicher ist: Story of Seasons hat ein Ass im Ärmel, nämlich seine früheren Teile und seine Fan-Community. Via DLC bekam Pioneers of Olive Town neue Romanzen spendiert, und zwar alte Fanfavoriten aus den letzten Teilen. Dass das ausgerechnet bei den weiblichen Romanzen dadurch nun 50% aller Optionen nahezu gleich aussehende Blondinen mit ähnlichen Charakter-Stereotypen sind, ist zwar etwas ernüchternd, sagt dann aber doch eher etwas über die Fans aus als über die Devs. Gerade bei den männlichen Optionen ist die Auswahl an Optiken und Charaktertypen allerdings enorm, da kann Stardew Valley nicht mithalten.
Egal, worauf man bei Farming-Sims also eher steht, auf die sozialen und Romanzen-Optionen oder auf das Farmen, Dekorieren und urbar machen, in Olive Town wird man Dinge finden, die man in Stardew Valley noch vergeblich gesucht hätte, und man wird Optionen vermissen, die man seit Stardew Valley eigentlich erwartet. Das kann stören – in mancher Hinsicht stört es mich auch – aber man sollte auch bedenken, dass die Linie von Harvest Moon zu Story of Seasons keine gerade ist und dass Stardew Valley eben nichtmal auf dieser Linie liegt, sondern parallel von jemand anderen unter Einsatz seiner Lebensgrundlagen geschaffen wurde. Marvelous darf gerne Dinge anders machen als Barone, und diese Dinge dürfen auch mal versagen. Ich hoffe, die Story-of-Season-Devs wissen das auch, und sehen sich nicht im ewigen Hamsterrad hinter Stardew Valleys Monumentalerfolg.
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