Vor nicht allzu langer Zeit war es wieder soweit: Games suchen ein Zuhause aka der Steam Wintersale ging zu Ende. Jene alljährliche Aktion, bei der Spiele einzeln oder gebündelt zu Spottpreisen verschleudert werden. Viele Menschen pflegen eine innige Hassliebe zu dem Spektakel. Einerseits lässt sich die eigene Sammlung günstig auf Vordermann bringen, andererseits macht Kleinvieh bekanntlich auch Mist, was hier gleichbedeutend mit einem größer werdenden Loch im Geldbeutel ist. Doch das Schlimmste steht den meisten erst noch bevor. Hinterher, wenn das Geld bereits über die virtuelle Ladentheke gewandert ist, zeigt der Wintersale sein wahres Gesicht.
Auch ich durfte wieder einen Blick auf seine hässliche Fratze werfen. Dieses Mal habe ich mich mit Legend of Grimrock sowie Mount & Blade zufrieden gegeben. Als ich meine beiden Errungenschaften in das heimische Gehege, pardon, die Steambibliothek entließ, offenbarte sich mir das gefürchtete Bild: In einer schwach beleuchteten Ecke probte DEFCON mit Plastikraketen ganz allein den thermonuklearen Krieg. Fate of the World verwarf immer neue Pläne zur Abwendung der Klimakatastrophe und Aquaria saß lethargisch in einem aufblasbaren Planschbecken mit Plastikpalme. Vergessen und unangetastet vegetierten die früheren Schnäppchen vor sich hin. Die Schattenseite des Wintersale hatte wieder einmal mit voller Wucht zugeschlagen.
Früher hätte mich dieser Anblick deprimiert. Ich hätte mir Vorwürfe gemacht, Steam verflucht und mich wegen dieser unwürdigen Massenspielhaltung in den Schlaf geweint. Doch damit ist jetzt Schluss. Denn mir ist etwas bewusst geworden: Mich trifft keine Schuld. Es liegt an den Spielen selbst. Nein, kein verzweifelter Täter-Opfer-Tausch, sondern die einzig logische Schlussfolgerung, wenn man sich einmal vor Augen führt, dass Videospiele ein unglaublich zeitaufwändiges Medium sind.
Wir Spieler sind immer schnell dabei, wenn es mal wieder darum geht über zu kurze Spieldauer zu mosern. Mit „zu kurz“ sind dann meist sechs oder sieben Stunden gemeint. Moment mal! Sechs, sieben Stunden klingen für meine Ohren eigentlich ganz ordentlich. Die Vielzahl der Spiele liegt sogar weit über dieser erklärten Untergrenze. Mit zehn bis zwanzig Stunden darf normalerweise schon gerechnet werden. Im Falle von umfangreichen Rollen- oder Open-World-Spielen auch gerne im dreistelligen Bereich. Das macht es mir zunehmend schwerer, solche Beispiele mit meinem Alltag zu vereinbaren.
Früher war das anders. Als Teenager ging es eigentlich nur darum, möglichst viel Spiel für möglichst wenig Geld zu bekommen. Man hatte ja nichts außer Zeit. Und irgendwie musste die Leerstelle zwischen Schulschluss und –Beginn ja sinnvoll überbrückt werden. Wohl auch deshalb rotierten bevorzugt RPG-Klassiker wie Baldur’s Gate 2 (über 120 Stunden Spielspaß versprachen die Zeitschriften damals!) im Laufwerk meines chronisch veralteten Rechners. Heute hätten ich und meine Freizeit eine Heidenangst vor so einem Brocken.
Denn Spiele sind generell nicht nur mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, sie lassen sich deshalb auch nur selten am Stück genießen. Der gern gezogene Vergleich, moderne AAA-Games seien wie interaktive Filme, kommt da gehörig ins Wanken. Ein Film ist nach zwei bis drei Stunden gegessen, viele Spiele gehen ab da erst in die Vollen. Ausgehend vom Zeitfaktor sind Spiele also viel mehr interaktive Monumentalwerke, die ihre filmischen Vorbilder wie 30-sekündige Werbespots aussehen lassen.
Das ist per se nicht schlecht. Problematisch wird es für mich erst, wenn ich solche Brocken auf die kleinen, mitunter weit auseinanderliegenden Zeitinseln des Alltags verteilen muss. „Wo soll da das Problem sein? Einfach speichern und später weitermachen.“, höre ich es schon rufen. Jein. Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Schließlich möchte der Ausstiegs- und spätere Einstiegspunkt im Idealfall so gewählt werden, dass sich mir auch ein Reiz bietet, um dort weiterzumachen. Andernfalls hat das Spiel gute Chancen mich unterwegs zu verlieren, wie es mir zuletzt mit Nier passiert ist. Wenn ich etwa in einer x-beliebigen Nebenmission erfolgreich 10 Schafe gemeuchelt habe, taugt das als späterer Wiedereinstiegspunkt erheblich weniger, als wenn ich kurz vor einem größeren Zwischengegner auf Speichern und Beenden klicke. Das Problem ist klar: Es lässt sich kaum abschätzen, wann dieser Idealpunkt erreicht ist.
Warum also nicht einfach dem Entwickler diese Aufgabe zuschieben, der kennt sein Spiel schließlich am besten. Alan Wake hat eindrucksvoll vorgemacht, wie so etwas aussehen kann: Remedys Mystery-Thriller machte den logischen Schritt weg vom Monumentalwerk hin zu einer serientypischen Aufteilung in mehrere Episoden. Die sechs Episoden in Alan Wake waren mit ihrer Länge von anderthalb bis zwei Stunden nicht nur überschaubar, sondern boten dank eigenständiger Spannungsbögen auch ein rundum befriedigendes Spielerlebnis. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Alan am Ende der ersten Episode am Ufer des Cauldron Lake stand, an seinem Verstand zweifelte und damit ein klassischer Cliffhanger geschaffen wurde, der aber zugleich auch als Angebot funktionierte: „Du kannst direkt weiterspielen oder machst hier Schluss und kommst später wieder.” – der ideale Ausstiegspunkt.
Gesagt getan. Im Zwei-Tages-Rhythmus habe ich mir die restlichen Episoden vorgenommen. Und das hat wunderbar funktioniert, weil sich Alan Wake voll und ganz seinem Serienformat verschrieben hat. Mehrere Tage Pause wären auch kein Problem gewesen, da die bisherigen Geschehnisse zu Beginn jeder Episode nochmal knapp zusammengefasst wurden. Klar hätte ich auch meine eigenen Schnitte setzen können, aber wozu, wenn die Episodendramaturgie bereits so stimmig ist? Auch heute noch würde ich jedem raten, sich auf genau diese Weise mit Alan Wake auseinanderzusetzen. Ich wollte mehr von solchen Spielen. Spiele, die ich als eine Art interaktive Serie genießen konnte. Doch die traurige Wahrheit ist: Alan Wake hat mit seiner Erzählweise keinen Trend losgetreten.
Spontan fallen mir nur zwei weitere Titel ein, die sich derselben Technik bedienen: Asura’s Wrath und L.A. Noire. Ersteres hat sich jedoch schon aufgrund meiner ausgeprägten Abneigung gegen ewig lange Animekämpfe disqualifiziert. Ein kurzes Reinschnuppern in die Demo hat die Sache dann endgültig besiegelt. Anders sah es mit L.A. Noire und seinen fast zwei Dutzend Kriminalfällen im Los Angeles der 40er Jahre aus. Circa 30 bis 90 Minuten sollte die Lösung der Verbrechen dauern. Ideal also, um das Spiel als abendliche Krimiserie zu konsumieren, oder? Eher nicht. Zum einen ging mir der Protagonist Cole Phelps in Rekordzeit auf die Nüsse, zum anderen wurde das Lösen der Fälle schnell zur Routine und damit zur puren Langeweile. Zu allem Überfluss wurde das Geheimnis des Black Dahlia Killers noch viel früher gelüftet als die Identität von Laura Palmers Mörder. Wäre L.A. Noire eine TV-Serie, sie hätte nichts, was sie aus der Masse an ähnlichen Produktionen hervorheben könnte.
Tatsächlich konnte erst The Walking Dead so richtig zeigen, welches Potenzial in dem Format schlummert. Denn das Zombiedrama hat uns etwas ganz entscheidendes gebracht: das Warten und Bangen auf die nächste Episode. Selbstdisziplin war überflüssig, weil es allein in der Hand von Telltale Games lag, wann die Geschichte fortgesetzt wird. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig darüber, ob The Walking Dead genauso beeindruckend gewesen wäre, wenn es von Anfang an eine Komplettversion gegeben hätte. Vielleicht ist die Geschichte mit ihren Pest-und-Cholera-Entscheidungen und emotionaler Tiefe ja kraftvoll genug, um völlig unabhängig von der Erzählform bestehen zu können.
Dann muss ich aber sofort an die unzähligen Diskussionen á la „Wie und warum hast du dich in der und der Situation entschieden?“ im Bekanntenkreis, auf Blogs oder Twitter denken. Wäre The Walking Dead am Stück erschienen, hätte es das vermutlich nicht gegeben, zumindest nicht in solchen Dimensionen. Über acht Monate hinweg hielt sich das Spiel wie von selbst im Gespräch. Die langen Wochen bis zum nächsten Teil waren nicht nur Warte- sondern vor allem auch Reflexionszeit. Ohne die zahlreichen Diskussionen, Rechtfertigungen und Geständnisse hätte sich eine gänzlich andere Spielerfahrung geboten. Durch das Warten konnte sich eine vollkommen eigenständige soziale Komponente um das Spiel herum entwickeln.
Fraglich bleibt, ob das Modell nach dem durchschlagenden Erfolg von The Walking Dead endlich Schule machen wird. Das Zombiedrama war gewissermaßen ein Glücksfall, weil es auf einer beliebten Lizenz basierte und mit circa fünf Euro pro Episode keine Abzocke war. Zumal Telltale Games seit Sam & Max Save The World aus dem Jahr 2006 Erfahrungen mit dem Episodenformat sammeln konnten. Die Kalifornier sind der unangefochtene Platzhirsch auf dem Gebiet. Und doch greifen sie auch nur auf etablierte Lizenzen wie eben Sam & Max, Monkey Island oder Back to the Future zurück. Ob sich in Zukunft jemand trauen wird, ein eigenständiges Franchise unter ähnlichen Veröffentlichungsbedingungen auf die Beine zu stellen? Keine Ahnung. Aber es wäre der nächste logische Schritt für Episodenspiele und eine weitere wunderbare Möglichkeit, die Zeitinseln des Alltags zu füllen.
Sven kennt man auch als @nesnevs auf Twitter. Außerdem betreibt er noch sein lesenswertes Blog Hören, Sehen, Knöpfe drücken.
7 Kommentare
Alan Wake fand ich (nicht nur) in der Hinsicht auch klasse. Ich unterstütze die Forderung, erweitere aber gerne um: “Bitte keine gar so langen Zwangspausen, wie bei TWD”. Hat mich zwischendurch beinahe mein Durchhaltevermögen gekostet ;)
Also mir gefällt dieses Episoden-Konzept nicht. Wenn ich ein Spiel kaufe, dann möchte dieses doch bitteschön so komplett wie möglich sein. Das ist auch der Grund, warum ich bei Deponia nicht zugeschlagen habe, als ich erfahren habe, dass es ein Drei-Teiler werden soll.
Ich unterschreibe hier als 30+ alter Familienvater mit einem Beruf, sozialen Umfeld und einem regelmäßigen Sport. Wo soll man die Zeit hernehmen?
Ich musste mich bei Steam bremsen und habe nur Spec Ops und Driver San Francisco für insgesamt 15€ erstanden. Mein Problem ist bei komplexeren Titeln, dass ich irgendwann aufhöre und nach einer Pause der Meinung bin dort nicht wieder reinzufinden. Und wenn Windows dann irgendwas von zu wenig Speicherplatz erzählt, fliegen die Spiele im Wartestand dann von der Platte.
Von daher werde ich wohl nie XCOM kaufen. Wirtschaftlicher Blödsinn … leider.
Ich bin jetzt bei Fußball und NBA zuhause. Ein Spiel dauert zwischen 20 und 40 Minuten und danach kann ich dann den Anweisung der Regierung daheim Folge leisten.
Ich habe zwar das Glück, dass mir Familie und Job trotzdem noch relativ viel Zeit zum Spielen lassen, aber das, was Starvision anspricht, ist wohl tatsächlich der Hauptgrund, warum viele ehemalige “Core-Gamer” irgendwann zum “Casual-Gamer” werden oder sogar ganz mit dem Zocken aufhören. Von daher sehe ich durchaus einen Markt für Episodic Content. Am liebsten so, wie es Alan Wake gemacht hat: Eigentlich ein ganz normales Core-Game, das seine Kapiteleinteilung aber mit “Was im letzten Kapitel geschah…”-Funktion und klarer TV-Episoden-Einteilung so strukturiert, dass man es auch gut als Feierabendhäppchen genießen kann. So funktioniert das Ganze für beide Lager.
Ich merke es ja selbst immer wieder: Da hat man mal ein paar Tage einfach keine Lust die Konsole anzuwerfen oder hat der Kopf ist voll mit anderen Sachen. Dann wieder in ein Spiel reinzukommen ist schwierig. Episodic Content oder Mechanismen wie “Previously on…” sind für mich clevere Fangnetze, um mich in solchen Fällen wieder zurückzuholen. Klar macht das nur in Spielen Sinn, die halbwegs Wert auf eine durchgängig erzählte Story legen. Umso erstaunter war ich, als man mir sagte, dass Driver: San Franciso ebenfalls die bisherige Story bei jedem Spielstart kurz zusammenfasst. Hätte ich bei Driver nicht erwartet, finde ich aber toll!
Wer keine Lust hat auf die nächste Episode zu warten, kann ja später immer noch zur “Retail-Staffelbox” greifen. Womit wir dann auch wieder beim Alan-Wake-Prinzip wären. TWD hat mir allerdings deutlich gemacht, wieviel Spaß die Warterei eigentlich machen kann. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass der Impact ein ganz anderer gewesen wäre, wenn Telltale Games einfach die komplette Staffel rausgehauen hätte. Ich muss da Bernd auch beipflichten: Anspannung schön und gut, Wartezeiten von bis zu zwei Monaten brauche ich aber nicht nochmal.
Ich weiß nicht; die Rückblenden bringen meiner Meinung nach nur dann etwas, wenn wirklich einige Wochen zwischen den Spielsessions liegen. Bei Driver:SF fand ich es total überflüssig und bei Pokémon hat mich das Geschehene vor drei Monaten nicht mehr wirklich interessiert.
Ich habe eher das Problem, dass ich die Steuerung nicht mehr kenne. Letztens wieder bei [i]I am alive[/i] gemerkt. Ich wusste noch genau, was ich gemacht habe, wo ich gespeichert habe und was ich tun muss, aber überhaupt nicht mehr, welche Tasten was bewirken (mal von der WASD-Laufen-Steuerung abgesehen).
Ich frage mich, warum das bei Spielen so unterschiedlich ist. Wenn ich ein Metroid Prime in den GameCube lege, den Controller in die Hand nehme, habe ich nach kürzester Zeit die Steuerung wieder intus (das meiste würde ich sowieso auf Anhieb noch wissen), während ich bei anderen erst einmal in den Optionen die Belegung nachschauen muss und dann immer noch gelegentlich die falsche Taste zur falschen Zeit drücke.
Oh, ich sehe, dass es nicht nur mir so geht. Das wieder Reinfinden in Spiele, die ich z.B. ne Woche nicht gespielt habe, bereitet mir keine Freude. Und so wird der Stapel angespielter Games immer größer und größer. Eigentlich könnte ich den Kram auch verscherbeln, weil ich mich nicht mehr heranwage. Auch nach einem Jahr oder so fange ich meist nicht noch einmal von vorne an. Eigentlich echt doof (von mir). Auf gewisse Weise gefiel mir das Episoden-Konzept bei Alan Wake gerade deswegen auch gut. Witzig wäre es, würden die Entwickler noch nachfragen, ob man eventuell nicht noch einmal das Tutorial spielen möchte – so nach einer Woche oder einem Monat der Abwesenheit… :)