Wenn Du ein Einzelkind bist und gerne die Erfahrung machen möchtest, wie es sein könnte, einen Bruder oder eine Schwester zu haben, dann würde ich an Deiner Stelle Brothers spielen. Wenn Du kein Einzelkind bist und demnach schon weißt wie es ist, einen Bruder oder eine Schwester zu haben, dann empfehle ich Dir auch, Brothers zu spielen. Vielleicht ist Eure geschwisterliche Beziehung anders, vielleicht mehr langweilig als abenteuerlich. Oder aber, ihr wisst gar nichts miteinander anzufangen. Wie dem auch sei – eine zusätzliche Erfahrung wird es allemal sein.
Wenn Du Dich gegen die Vorstellung wehren kannst, dass Brothers Dich spielerisch vielleicht unterfordern könnte, Du Dich aber trotzdem entschließt, es zu versuchen, dann würde ich mich sehr für Dich freuen. Ich freue mich deshalb, weil ich gerne mit Dir etwas teilen würde, unsere Gedanken, wenn wir irgendwann miteinander über Brothers sprechen werden. Ich würde gerne wissen, wann Du begonnen hast, Tränen zu vergießen, wann Dein Schmerz am intensivsten war und wann er wieder verschwand.
Ich möchte Dir nicht zuviel verraten, denn Du wirst es alles selbst erkennen. Brothers ist einfach und Du wirst Dich nicht fragen, wie Du dieses und jenes meistern könntest. Geht es Dir so wie mir, dann wirst Du mit dem Spiel nur eine gemeinsame Nacht verbringen. Vielleicht wirst Du wie ich, in eine leichte Melancholie abdriften und manchmal auch ein wenig amüsiert sein über den Kleinen der Beiden – über seine freche, unbeschwerte Art, dem Leben und den Mitmenschen gegenüberzutreten. Er wird sicher auch bei Dir mit trockenem Laub vom Wegesrand um sich werfen und sein lautes Gelächter wird ertönen, während der Große ungläubig dabei zusieht, da er einfach ganz anders ist.
Magst Du die Welt gerne etwas ruhiger und findest Gefallen an nonverbalen bzw. “simlischen” Gesprächen, welche durch klare Gesten unterstützt werden, könnte Dich Brothers vielleicht begeistern. Märchenhafte Flötenklänge werden Dich durch die fein gezeichnete Welt begleiten, vorbei an romantischen Dörfern, kräftig grünen Wäldern, tiefen Tälern und reißenden Flüssen. Du wirst den Frühling sehen und später im Schnee stehen und Du wirst dabei sein, wenn die Brüder den Anblick von feuerrotem Blut kennenlernen. Wenn Du die Welt von ICO kennst, wirst Du Dich bei den Bänken und Burgruinen daran erinnert fühlen und wenn du Tiere magst, wirst Du Dich freuen mit ihnen im Einklang zu sein. Die spielende Katze wird auf die Beiden unterschiedlich reagieren, Du wirst es nicht verpassen können. Ich fand diese zahlreichen Details im Spiel sehr reizend.
Du wirst sicherlich nicht müde werden, denn minütlich wirst Du Abwechslung verspüren und die Brüder mit beiden Sticks und Schultertasten – einer Links, der andere Rechts – geschickt über Schluchten und Burgwände führen, sie manchmal synchron springen lassen und Du wirst Dich vielleicht dabei ertappen, wie schwierig es manchmal sein kann, beide Daumen zeitgleich zu koordinieren und die Figuren korrekt zu steuern. Ich bin gespannt, wie Du empfindest, aber manchmal wünschte ich kurz, die ein oder andere Herausforderung wäre etwas stärker gewesen. Hier gibt es keinen Schwierigkeitsgrad, die kleinen Rätsel – die im Grunde genommen gar keine sind – werden Dich nicht lange aufhalten.
Auf den ersten Blick dachte ich, Brothers wäre ein schönes Koop-Spiel geworden, aber nach dem Durchspielen änderte ich meine Meinung. Es ist diese Art von Spiel, mit dem man Abends oder Nachts am liebsten alleine ist. Eine ähnliche Erfahrung habe ich auch mit Journey gemacht. Diese Games spielen sich auf eine seltsame Weise erstaunlich leichtfüssig, man schwebt im Grunde hindurch und man erkennt am Ende sehr deutlich ihre Botschaften. Im Gegensatz zu Journey brauchst Du in Brothers aber nicht viel interpretieren. Es konfrontiert Dich mit Ängsten und Erlebnissen, die fast jeder von uns einmal machen wird oder schon gemacht hat.
Ich möchte ehrlich zu Dir sein, darum werde ich es Dir erzählen. Brothers hat mir an einigen Stellen sehr weh getan und ich bin mir fast sicher, dass es nicht nur mir so erging. In manchen Momenten, auch abseits des Hauptpfades, war das Spiel recht schonungslos. Die großen und kleinen Geschichten sind traurig und auch die Taten, die es spielerisch auszuführen gilt, sind hin und wieder außergewöhnlich. Hast Du noch nie Verlust erfahren, wirst du nach Brothers wissen, wie er sich anfühlt, zumindest ein wenig. Hast Du Verlust schon einmal erlebt, wirst Du Dich unangenehm daran erinnert fühlen. Das Spiel spricht eine klare Gefühlssprache, es erzählt nicht in Metaphern oder undeutlicher Symbolik. Es sagt nicht: “In allem Schlechten gibt es auch etwas Gutes.” Brothers zeigt eher auf, dass es wohl besser ist, tiefe Wunden komplett ausbluten zu lassen, egal wie lange es dauert.
Du wirst in diesem Abenteuer auf einige Mythen treffen, auf die es keine Antworten zu geben scheint. Aber es reicht vollkommen aus, dass Du von ihnen erfährst. Du wirst einige kleine Kämpfe führen, die Dir gar nicht wie Kämpfe vorkommen werden. Und Du wirst helfen können, wenn Du es möchtest und es zulässt. Brothers ist praktisch ein kleines Spiel, theoretisch jedoch riesengroß. Es ist in weiten Teilen endlos traurig und das ist es wohl, was es so anziehend macht. Die Trauer. Der Umgang mit ihr, ist wohl die eigentliche Herausforderung in diesem Spiel.
Auch wenn storyfokussierte Spiele mittlerweile keine Seltenheit mehr sind und Brothers momentan nicht ganz ohne Konkurrenz dasteht, hoffe ich, Du wirst Dich für das Spiel entscheiden. Es erzählt so viele Geschichten, die es verdient haben, erneut gespielt und weitererzählt zu werden.
6 Kommentare
Ich muss zugeben, dass Brothers für mich einfach nicht gezündet hat. Mir gefiel die Musik, das Artdesign und insbesondere die Welt, und auch mit der Steuerung kam ich problemlos klar. Aber die Geschichte an sich hat mich einfach nicht wirklich berührt. Das fing schon beim Start an, der Sequenz mit kleinem Bruder und Mutter auf dem Meer. Ohne Kontext reicht das für mich einfach nicht, um emotionale Teilnahme zu provozieren. Vielleicht hätte so eine Sequenz mehr bewirkt, wenn sie etwas später aufgetaucht wäre, aber als Intro empfand ich das etwas deplaziert. Es hat sicher auch nicht geholfen, dass ich den kleinen Bruder ziemlich schnell gehasst habe, weil er eben der Typus Geschwisterchen ist, der einfach nur nervt: fast alle seine Interaktionen mit anderen Menschen bestehen daraus, dass er sie irgendwie ärgert. Das ruft bei mir einfach keine Sympathie hervor. Es gab zwar später einige echt schön gemachte Szenen, die mich auch berührt haben, aber in der Summe war das einfach viel zu wenig.
Hm, schade Haris. Mir ging es da wie im Text beschrieben ganz anders, aber trotzdem interessant, wie unterschiedlich Menschen das wahrnehmen. Mir ging es da ähnlich wie Dir mit Gone Home gestern. Für mich schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass es Leute gibt, die das ernsthaft berührt. Ich habe die Qualitäten des Spiels zwar durchaus erkannt, aber es hat mich zum Großteil einfach nicht gejuckt.
Für mich hängt das denke ich weniger mit Identifikation oder Empathie zusammen, zumindest von letzterer habe ich eigentlich ausreichend. Ich mache es mir mal einfach und beantworte mir das schlicht mit der Frage/Antwort des Geschmacks. Wird ein Nerv getroffen oder nicht. Sicherlich eine “einfache” Begründung, aber nicht alle Antworten müssen ja immer so kompliziert sein. :)