Kürzlich in der Dresdner Neustadt: Eine Gruppe Schaulustiger sieht sieben Menschen dabei zu, wie sie sich mit leuchtenden Playstation Move Controllern zur Musik von Bachs Brandenburgischen Konzerten umkreisen, austricksen, aufeinander losgehen und sich am Ende lachend auf die Schultern klopfen. Wohlgemerkt bei eisigen Temperaturen, mitten in der Nacht. Selbst für die Neustadt, ein typisches Szeneviertel, wo bevorzugt Studenten und Kreative wohnen, wo die Cafés vom kalten Licht unzähliger Macbooks erhellt werden und die Straßen von Bars, Clubs und skurrilen Läden gesäumt sind, ist so ein Anblick höchst selten.
Aber auch einer der fasziniert und verzaubert. Es ist schließlich eine Sache mit seinem Move-Controller vor dem heimischen Fernseher herumzufuchteln oder gemeinsam mit bis zu sechs anderen Leuten unter dem Nachthimmel ein so dynamisches und farbenfrohes Spiel wie Johann Sebastian Joust zu spielen. Dessen Regeln sind schnell erklärt: Man stelle sich den Move-Controller wie eine Kerze vor. Zu hastige Bewegungen lassen dessen Licht schnell ausgehen. Die klassische Musik, die im Hintergrund mal schneller, mal langsamer oder auch gar nicht abläuft, gibt die momentan mögliche Bewegungsgeschwindigkeit vor. Somit lässt sich Johann Sebastian Joust auf eine Mischung aus Eierlauf und Reise nach Jerusalem herunterbrechen – wenn da nicht die anderen Spieler wären, die es auf das eigene Licht abgesehen haben.
Wer sich stur auf die Musik konzentriert, hat im Grunde schon verloren. Es geht auch darum Angriffe der Kontrahenten abzuwehren oder eigene Attacken zu starten. Stets sind die Controller der anderen Spieler das Ziel. Dabei ist es egal, ob man diese mit Remplern aus dem Konzept bringt oder deren Arm packt und einmal kräftig daran rüttelt: Hauptsache das Licht der Controller erlischt. Wer zum Schluss übrig bleibt, gewinnt Ruhm, Ehre und den Applaus des Publikums. Dank des zugänglichen und leicht verständlichen Prinzips wurden aus vielen Zuschauern eifrige Mitspieler. Immer wieder beteiligten sich neue Leute an dem Spiel und machten jede Runde zu etwas einzigartigem, weil natürlich auch jeder seine ganz eigene Strategie verfolgt. Da gab es diejenigen, für die der Angriff die beste Verteidigung war. Andere entschieden sich zu mehr Vorsicht und warteten erst mal ab, bis sich das Feld von selbst ausgedünnt hatte. Wieder andere versteckten sich hinter dem einzigen Busch in der Umgebung und schlichen sich dann von hinten an unvorsichtige Spieler ran.
Zwar ist das leuchtende Farbenspiel mit den Playstation Move Controllern schon von der Seitenlinie aus hübsch anzusehen. Wirklich fantastisch wird es aber erst, wenn man selbst eine Runde mitspielt. Bereits der Start versprüht bestes High Noon-Feeling: Alle stehen sich in einem lockeren Kreis gegenüber und warten auf den Einsatz der Musik. Währenddessen nervöse Blicke nach links und rechts. Auf welchen Gegner konzentriere ich mich zuerst? Lieber gleich ins Getümmel stürzen oder erst mal eine ruhige Kugel schieben? Wie man sich auch entscheidet: Sobald die Musik einsetzt beginnt der Tanz. Und ‚Tanz‘ trifft es ziemlich gut, denn wie von selbst passt man seine Bewegungen dem erhabenen Klang von Bachs Kompositionen an. Wenig verwunderlich also, wenn man einen Knicks vor dem letzten Gegner macht – Stil muss schließlich sein. Würde man die Gäste eines Opernballs dazu anweisen, von nun an immer mit Degen zu erscheinen, ich bin mir sicher, das Resultat würde dem, was Johann Sebastian Joust ausmacht, sehr nahe kommen.
Wenn man dem Spiel überhaupt etwas vorwerfen kann, dann wohl nur seinen vergleichsweise hohen Organisationsaufwand, wir reden hier schließlich von bis zu sieben Playstation Move-Controllern. Besonders wenn man bedenkt, dass Sonys Versuch in das Move-Geschäft einzusteigen, neben Wii und Kinect reichlich uninspiriert anmutet und dementsprechend nur gefühlte 20 Leute weltweit die dazugehörigen Geräte besitzen. Andererseits konnte mich dieser Umstand im letzten Jahr auch nicht davon abhalten, die Kickstarter Kampagne für Johann Sebastian Joust zu unterstützen. Und glaubt mir: Diesem ganzen “Du bist der Controller”-Blödsinn kann ich eigentlich so gar nichts abgewinnen und arbeite stattdessen lieber weiter an der perfekten Sitzkuhle auf meiner Couch.
Die Entscheidung, das Projekt zu unterstützen, traf ich also weniger aus Mitleid (“Hey endlich ein Verwendungszweck für die leuchtenden Move-Controller!”), sondern viel mehr aus Begeisterung für die Idee. Das sah nicht nur nach Spaß aus, nein, seit besagtem Abend weiß ich auch ganz sicher, dass Johann Sebastian Joust fantastisch ist. Vielleicht weil es der ursprünglichen, kindlichen Bedeutung von “Spiel” näher kommt, als viele andere Vertreter der aktuellen Generation. Es ist ein bisschen wie früher, als man sich nachmittags mit Freunden auf dem Spielplatz verabredet und sich mithilfe der Fantasie und willkürlichen Regeln ganz eigene Spiele erdacht hat. Vielleicht aber auch weil Johann Sebastian Joust eine sehr unmittelbare Move-Erfahrung bietet. Da gibt es keine Bildschirmanzeige, die mir irgendeine Form von Feedback liefert. Da gibt es nur meinen Controller und die Handvoll Mitspieler, die genauso viel Freude an der Sache haben wie ich.
Momentan existiert das Spiel nur in einer Alpha-Version für Backer und Vorbesteller. Doch selbst die beeindruckt mit unglaublich vielen Einstellungsmöglichkeiten, mit denen man es den eigenen Wünschen anpassen kann. Auch wenn es sich nach dem perfekten Partyspaß anhört: Am besten funktioniert Johann Sebastian Joust wohl in der Öffentlichkeit. Denn neben all den erwähnten Vorzügen, vermag das Spiel noch etwas ganz anderes zu leisten. Wie von selbst bringt es Menschen zusammen. Egal ob groß, klein, jung, alt, schüchtern oder selbstbewusst, Anfänger oder Profi: Hier werden die unsichtbaren Grenzen zwischen Menschen eingerissen. Wohl nicht ganz zufällig trägt die Dissertation von Douglas Wilson, Designer von Johann Sebastian Joust, den Untertitel „How to make friends by trying to kick them!“. Und mal ehrlich: Wenn ein Spiel so etwas möglich macht, kann es so übel nicht sein.
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