Vom 22. – 24.03.2006 fand die „1. International Computer Game Conference Cologne“ unter dem vielsagenden Titel „Clash Of Realities“ statt. Veranstaltet wurde die Tagung vom Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der Fachhochschule Köln (IMM) und dem Branchenriesen Electronic Arts.
Meine persönlichen Erwartungen an diese Veranstaltung waren hoch gesteckt und wurden, vielleicht gerade deswegen, etwas enttäuscht. Warum das so ist, werde ich im Folgenden noch ausgiebig schildern.
Doch zunächst muss ich den Veranstaltern ein großes Lob für diese Veranstaltung aussprechen! Die Zielsetzung, der allgemeinen öffentlichen Debatte über Sinn und Zweck sowie Gefahren und Nutzen von Computerspielen, welche leider weitestgehend durch Unkenntnis der Diskutierenden über den eigentlichen Diskussionsgegenstand geprägt ist, durch ein weitgefächertes Informationsangebot entgegenzutreten, ist wirklich ausgesprochen löblich. Um Computerspiele und soziale Wirklichkeit, also um die Auswirkungen von Videospielen und deren Konsum auf die Gesellschaft sollte es gehen. Dass dies dann noch auf wissenschaftlich fundierter Ebene erfolgen sollte (was dann aber leider doch nicht immer der Fall war), ließ mich regelrecht euphorisch in die von mir normalerweise gemiedene Hauptstadt des Karnevals, der Schwulenparaden und der Einbahnstrassenlabyrinthe pilgern.
Um es vorweg zu nehmen: Die Vorträge waren bis auf wenige Ausnahmen eher trivialer Natur und die primär intendierte Zielgruppe der Veranstaltung, aufklärungswillige Laien und besonders Pädagogen jedweder Couleur, waren kaum erschienen. Stattdessen tummelten sich hauptsächlich Leute auf dieser Tagung, für die es eigentlich nichts Spannendes zu hören gab, weil sie sich ohnehin schon seit Jahr und Tag mit der Materie auseinandersetzen. Das Problem an der Sache war weder die Trivialität, noch das Fachpublikum, sondern die Kombination aus beidem. Wäre die Veranstaltung von mehr Laien und vor allem pädagogisch tätigen Menschen besucht worden, hätte sie meine volle Zustimmung gefunden. Ebenso sinnvoll, auch wenn dies wohl nicht in der Absicht der Veranstalter lag, wäre eine Tagung nur für Fachleute gewesen, um sich interdisziplinär auszutauschen. Aber in der erlebten Form war das ganze in meinen Augen eher suboptimal und bestätigte wieder einmal das Klischee, dass gerade jene, die sich wirklich einmal über das Thema informieren sollten, zu dem sie trotz aller Unkenntnis überraschenderweise immer eine ausgeprägte Meinung haben, Angebote wie dieses einfach nicht wahrnehmen. Somit zielt meine Kritik nicht auf die Veranstaltung oder die Veranstalter selbst, sondern eher auf die unglückliche Zusammensetzung des Publikums.
Sollte eine Wiederholung dieser Tagung angedacht sein, habe ich folgende Bitten an die Verantwortlichen:
1. Zerbrecht Euch bitte den Kopf darüber, wie Ihr beim nächsten Mal das eigentliche Zielpublikum zahlreicher nach Köln locken könnt. Und sogt bitte dafür, dass diese auffällig vielen Nerds Anfang 20 draußen bleiben! Ich vermute, dass es sich um Studenten der FH Köln handelte, kann aber auch nicht ausschließen, dass ich mich dort unwissentlich über den einen oder anderen Spiele-Blogger aufgeregt habe. Es ist einerseits verständlich, dass das IMM seine eigenen Studenten ermutigt, auch an der Veranstaltung teilzunehmen, aber es wird einer Fachtagung nicht gerecht, wenn Leute in Vorträgen über Tische und Bänke klettern und beim Versuch, sich eine bequeme Schlafposition zu verschaffen, ständig leere Cola-Flaschen umkippen. Nennt mich spießig, aber diese Art von Trottel hat mich schon während meines eigenen Studiums aufgeregt. Wer pennen oder über seine Wochenenderlebnisse quatschen will, soll einfach aus dem Hörsaal wegbleiben…
2. Die Vorträge sollten, vor allem wenn man, was ich wirklich sehr gut fand, anschließende Fragerunden zwischen Dozenten und Publikum fest einplant, praxisorientierter sein. Was nützt es dem Leiter eines Jugendzentrums, wenn er auf die Frage, wie er auch die weiblichen Besucher seines Zentrums für das Medium begeistern kann, eine unkonkrete BlahBlah-Antwort bekommt? Was nützt es dem Lehrer, wenn er im Vortrag hört, dass Computerspiele ein großes Potential in Bezug auf Lernen und Bildung besitzen, aber auf Anfrage, wie diese denn nun konkret im Unterricht einzusetzen seien, keine praktikablen Vorschläge bekommt?
Wenn der fortbildungswillige Laie schon klare Zielgruppe einer Veranstaltung ist, dann sollte er auch nicht mit rein theoretischen Ansätzen, die ohnehin nicht wirklich neu oder gar weltbewegend sind, abgespeist werden.
Eigentlich könnte ich den Artikel an dieser Stelle beenden, aber für die Medien-Junkies, die immer noch denken, dass sie gerne dort gewesen wären, möchte ich gerne noch auf einige ausgesuchte Veranstaltungen eingehen und an Beispielen verdeutlichen, warum ich die meisten Vortragsinhalte als trivial empfand.
Electronic Arts, welche sich zu meinem Erstaunen sehr mit Eigenwerbung oder sonstigen sponsoring-üblichen Peinlichkeiten zurückgehalten haben, hatte natürlich den Veranstaltungsort mit diversen Konsolen-Racks ausgestattet, um den Besuchern die Gelegenheit zu geben, mit dem eigentlichen Tagungsgegenstand, den Spielen, in Berührung zu kommen. Dass dies nur spärlich genutzt wurde, verstärkte meinen Eindruck bezüglich des Publikums: Warum sollte ich dort Burnout 4 zocken, wenn ich es ohnehin zuhause habe?
Dass EA mit dieser Veranstaltung primär kein plumpes Werbeinteresse verfolgt, liegt auf der Hand. Als Marktführer unter den Spielepublishern liegt ihnen tatsächlich daran, das Medium aus der öffentlichen Kritikecke zu holen, um nicht nur weiterhin viel Geld zu verdienen, sondern auch ein besseres öffentliches Renommee zu erlangen. Die Pornoindustrie setzt auch wahnsinnig viel Geld um. Sie steht deshalb aber noch nicht automatisch auf der gleichen Renommeestufe wie die großen Hollywoodstudios…
Interessant, wenn auch klischeehaft, war die Podiumsdiskussion am Mittwoch, die von TV-Journalistin Conny Czymoch moderiert wurde. Klischeehaft deshalb, weil man mit Prof. Dr. phil. Winfred Kaminski (IMM der FH Köln) und Jörg Trouvain (Vizepräsident und Geschäftsführer von EA Deutschland) zwei Spiele-Befürworter auf der einen und mit Dr. Eva-Maria Kabisch (Präsidentin der Stiftung Jugend und Bildung) eine Spiele-Kritikerin auf der anderen Seite sitzen hatte. Dr. Kabisch tat dann auch alles in ihren Kräften stehende, um dem Publikum die seit 20 Jahren bekannten einseitigen Sichtweisen von Leuten, die in ihrem Leben noch kein Computerspiel angefasst haben, zu kredenzen. Für eine Überraschung sorgte der vierte Diskussionsteilnehmer: Thomas Jarzombek (NRW-Landtagsabgeordneter und CDU-Beauftragter für Neue Medien) gab sich sehr spielefreundlich und stellte klar, dass beispielsweise die ganze „Killerspiele-Diskussion“ und die damit verbundene Kritik an der bisherigen USK-Praxis keinesfalls ein generelles CDU-Phänomen sei, sondern eher eine Diskussion ist, die vornehmlich vom Süden der Republik aus geführt wird. Er sei ganz anderer Meinung und versicherte, dass in dieser Debatte noch nicht das letzte Wort gesprochen sei, weil man die Sache im nördlichen Teil unseres Landes parteiübergreifend eher liberaler sehe. Naja, wir werden sehen. Positiv überrascht hat er mich allemal. Ansonsten war das Ganze ein erwartungsgemäßer Austausch von bereits bekannten Ansichten, wobei natürlich eher die Befürworter die Sympathien des Publikums einheimsten.
Viel, offenbar zu viel, habe ich mir vom Vortrag „Gewaltspiele und Aggression – aktuelle Forschung und Implikation“ am Donnerstag versprochen, welchen Tilo Hartmann (Annenberg School for Communication, University of Southern California, Los Angeles) hielt. Dass ich hier nichts erfahren konnte, was ich nicht schon vorher irgendwo anders gehört oder gelesen hatte, liegt aber wohl nicht am sympathischen Herrn Hartmann, sondern eher an der Tatsache, dass immer noch zu wenig auf diesem Gebiet geforscht wird, obwohl es sich doch um den Hauptvorwurf der Spiele-Kritiker handelt. Um es mal knapp zusammenzufassen: Die kurzzeitigen Auswirkungen von Gewaltspielen lassen sich heute klar belegen. Beim Spielen solcher Spiele werden die meisten Leute tatsächlich kurzzeitig aggressiver und gereizter. Allerdings auf einer Ebene, die ebenso beim sportlichen Wettkampf, beim Autofahren oder beim Stehen in der Supermarktschlange, wenn die Oma vor einem mit Centstücken bezahlt, nachzuweisen ist.
Viel interessanter sind da die Langzeitstudien, die untersuchen, ob der längerfristige Konsum von Gewaltspielen zu aggressiven und gewaltbereiten Jugendlichen führt. Hier, so Hartmann, gäbe es aber noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Ergebnisse. Man könne zwar mit Sicherheit sagen, dass in dieser Hinsicht problematische Jugendliche starke Konsumenten von Gewaltspielen und –filmen sind, aber ein Kausalzusammenhang sei noch nicht nachgewiesen, wodurch das Ganze bisher noch eine „Huhn oder Ei“-Frage sei. Entsprechende Studien gäbe es zwar, aber aussagekräftige Veröffentlichungen stehen noch aus.
Hmmm, ich spiele seit ca. 1978 Videospiele und schon seit Mitte der 80er gibt es die starke öffentliche Kritik an eben diesen. Wie kann es sein, dass es noch immer keine aussagekräftigen Langzeitstudien gibt? Vermutlich mangelndes öffentliches Interesse, das Lieblings-Contra-Argument zu verifizieren…
Den absoluten Höhepunkt in Sachen „wissenschaftlich fundierter Studie“ bildete für mich der Vortrag „Gender Non/Konform: Die produktive Uniformität von Heldinnen und Gamerinnen“, der sogar dem unbeleckten Laien nichts, aber auch rein gar nichts gebracht haben dürfte. Das sehr interessant erscheinende Thema entpuppte sich als belangloses Fabulieren über die Klischeehaftigkeit von Spielheldinnen und eine mehr als stichprobenartige Untersuchung von Gamerinnen-Communities im Netz und warf bei mir unweigerlich die Frage auf, warum ich selbst noch keinen Doktoren-Titel vor meinem Namen habe, wenn er doch durch derartig belanglose „Forschungen“ zu erlangen ist („Dr. SpielerZwei“ klingt doch gut, oder?).
Dr. phil. Jutta Zaremba (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.) präsentierte dem erstaunten Publikum die schockierende Wahrheit: Spielheldinnen sind klischeehafte Stereotype zwischen übertriebener Weiblichkeit und Bedrohlichkeit! Boah, ey! Nur mal am Rande: Natürlich ist das so. So sind die meisten männlichen Counterparts ja auch gestrickt. Und darüber hinaus auch fast alle Filmhelden aus Hollywood. Sogar sehr viele Figuren in der Literatur sind so. That´s Entertainment, Frau Dr. phil.!
Aber um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hat Frau Dr. phil. Zaremba auch noch die Gamerinnen untersucht. Und zwar ganze 2 (in Worten: Zwei!) Community-Portale im Internet… Naja, eigentlich hat sie gar nicht die Gamerinnen, sondern nur die Portale untersucht und daraus Rückschlüsse auf die Gamerinnen allgemein gezogen. Höchst wissenschaftlich, das Ganze…
Ich will Euch aber trotzdem nicht ihre bahnbrechenden Ergebnisse vorenthalten: Es gibt 3 Gruppen von Gamerinnen. Die Look-Alikes (Diese Mädels ziehen sich wie Lara Croft an und leben somit das Klischee voll aus), die gesellschaftspolitisch engagierten Gamerinnen (Sie wollen u.a. mehr Frauen in die Spieleentwicklung schleusen, um nicht weiter definierte Defizite im Bereich „Spiele für Frauen“ abzustellen) und die „Mir-doch-egal“-Gamerinnen (Sie wollen einfach nur spielen und interessieren/engagieren sich nicht weiter für die Gender-Frage).
Wenn da mal nicht schon der Nobel-Preis winkt. Aber vorsicht beim Öffnen der Post, Frau Dr.phil., denn es könnten auch Hassbriefe von Spielerinnen sein, die sich irgendwie diffamiert fühlen…
Der Vortrag „Bildschirmspiele und Bildungsprozesse“ von Prof. Dr. phil Johannes Fromme (Universität Magdeburg) war eigentlich sehr interessant, da er sich mit der Frage beschäftigte, ob Computerspiele zum Lernen bzw. als Instrument in der Bildung taugen. Allerdings blieb er nach Darstellung der Chancen und Risiken auch dort stehen und hatte auch auf direkte Fragen aus dem Publikum keine konkreten Ansätze für die Umsetzung der gezeigten Chancen in der angewandten Pädagogik… Schade eigentlich.
Glücklicherweise war der Vortrag „Die Herausforderung der Schule durch die Computerspiele“ von Christopher Scholtz (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. und außerdem Beiratsmitglied der USK) da etwas konkreter und brachte sogar den einen oder anderen aussagekräftigen Hinweis bezüglich des Einsatzes von Computerspielen im Unterricht.
Da die Vorträge an zwei verschiedenen Orten parallel angeboten wurden und man deshalb natürlich selektieren musste, habe ich mir die folgenden zwei Themenschwerpunkte komplett geschenkt und kann hier zur Qualität der einzelnen Vorträge nichts sagen:
Da wäre zunächst einmal der Themenschwerpunkt „Online-Spiele“, wo es wohl vornehmlich um die Faszination von MMORPGs ging. Ich habe diese Vortragsreihe ausgelassen, weil ich zum Einen keine MMORPGs spiele und zum Anderen meine, recht genau zu wissen, wo der Reiz (und die Gefahr) dieser Spiele liegt, da außer mir so ziemlich jeder in meinem Umfeld diesem Teufelszeug erlegen ist.
Den Themenschwerpunkt „Erzählstrukturen in Computerspielen“ habe ich nur schweren Herzens aus termintechnischen Gründen sausen lassen, denn für mich ist eine gut erzählte Geschichte in Spielen extrem wichtig. Der narrative Aspekt, der in den letzten 25 Jahren kontinuierlich qualitativ und quantitativ in Computerspielen zugelegt hat, ist meines Erachtens nach eine der wichtigsten Entwicklungen des Mediums überhaupt. Auch wenn ich Fahrenheit nicht mochte, bin ich dennoch sehr froh, dass die Zeiten von PacMan und Space Invaders vorbei sind.
Abschließend möchte ich mich noch einmal wiederholen. Mir ist durchaus bewusst, dass Redundanzen ein denkbar schlechtes Stilmittel sind, aber um einem großen Missverständnis vorzubeugen benutze ich es dennoch:
Die Veranstaltung war eigentlich eine tolle Sache und verdient vollstes Lob! Es war nur leider überwiegend das falsche Publikum dort. Und wenn ich sage, dass ich dort kaum etwas erfahren habe, was ich nicht schon vorher wusste, dann ist dies nicht als Ausdruck meiner unglaublichen Selbstüberschätzung gemeint, sondern impliziert, dass es auch einem Großteil unserer werten Leserschaft so ergangen wäre, weil ich einfach davon ausgehe, dass sich die meisten von Euch Junkies da draußen auch über das bloße Spielen hinaus mit dem Medium und dessen gesellschaftlicher Relevanz beschäftigen. Und für solche „Semi-Fachleute“ war die Tagung inhaltlich eher belanglos. Einzig als Event und Treffpunkt für den Meinungsaustausch könnte man einen Besuch bedingt empfehlen. Ich sähe es allerdings viel lieber, wenn nächstes Jahr, so es eine Wiederholung geben sollte, weniger Nerds und dafür mehr Laien die Tagung wahrnehmen würden, denn für dieses Publikum ist die „International Computer Game Conference Cologne“ ganz sicher eine empfehlenswerte Sache, um endlich dieses ermüdende öffentliche Scheinargumentieren bezüglich der Computerspiele abzustellen und durch fundiertes Wissen und eigene Erfahrung zu ersetzen.
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