“Wenn du einen Key für Dota 2 möchtest, dann melde dich einfach. Hab‘ eh noch zwanzig Stück rumliegen!” “Mhm, jaja, mache ich. Lass uns später drüber quatschen.” Von wegen. Natürlich habe ich das nicht gemacht. Erfahrungswerte zeigen aber, dass man der Dota 2-Drückerkolonne mit solchen Antworten am besten beikommt. Gegen solch eine harmlose Notlüge ist schließlich nichts einzuwenden. Vor allem weil ich noch heute an den traumatischen Erlebnissen mit Dota, Warcraft 3 und dem Battle.net zu knabbern habe.
Dort bin ich zum ersten Mal mit Dota in Kontakt gekommen. Oder vielmehr: ich habe es versucht. Wer nämlich, so wie ich, die Frechheit besaß und die Modifikation erst in der Wartelobby auf die Festplatte schaufelte, konnte noch innerhalb der ersten fünf heruntergeladenen Prozent mit einem Kick rechnen. Meine Freunde und ich haben dann lieber Hero Wars gespielt. Das verhielt sich zu Dota ungefähr so wie Bolzplatz zu internationalem Profi-Fussball. Aber das nur am Rande. Ich wollte nie wieder etwas mit Dota zu tun haben. Das war für mich kein Spiel mehr, es war digitalisierte Arroganz.
Vor ein paar Wochen durchstöberte ich meine E-Mails und stieß auf eine Nachricht von Steam. Jemand wolle mir einen Key für Dota 2 schenken. Oh-Oh! Ein Geschenk darf man nicht so einfach ablehnen. Ihr wisst schon, sozialer Druck und so. Also was tun? Die Mail ignorieren und dann auf Nachfrage so etwas wie “Ja, öhm, sorry, aber die Mail kam bei mir nicht an.”, antworten? Erstens glaubt das sowieso keiner und zweitens hätte man sofort einen neuen Key im Postfach, weil der Schenkende ja noch ein Dutzend von den Dingern auf Halde hat. Ich entschloss mich also dazu, in den sauren Apfel zu beißen und den Code einzulösen. Vielleicht könnte ich das Ganze ja mit einer halbherzigen Anspielstunde für alle Zeit abhaken.
Heute, ein paar Wochen später, muss ich mir eingestehen, dass mein Plan ganz fürchterlich in die Hose gegangen ist. Über 100 Partien liegen hinter mir und sprechen eine deutliche Sprache. Niemand hat mir Geld geboten, um so viel Zeit mit Dota 2 zu verbringen. Ebenso wenig saß ich gefesselt und geknebelt vor dem Monitor. Nein, ich habe mich aus freien Stücken so lange mit diesem Spiel beschäftigt. In Anbetracht meiner frühesten Erinnerungen an das erste Dota, traue ich mich kaum es zuzugeben, aber: Ich hatte einen Heidenspaß.
Das mag verwundern, denn im ersten Moment sieht es so aus, als würden Spaß und Dota 2 überhaupt nicht zusammenpassen. Immerhin handelt es sich um ein irrsinnig komplexes Spiel, das fast nichts erklärt und zu allem Überfluss auch noch sehr deutlich auf E-Sports ausgerichtet ist. Wer gar nichts über Dota weiß, könnte es nach dieser Kurzbeschreibung auch für einen hyperrealistischen Online-Flugsimulator halten. Tatsächlich ist es aber, wie auch seine Geschwister Heroes of Newerth oder League of Legends, ein sogenanntes MOBA, kurz für Massive Online Battle Arena. Ja … ich weiß.
Auf dem Papier klingt das Spielprinzip von MOBAs noch äußerst simpel: Auf einer mittig gespiegelten Karte stehen sich zwei Fraktionen gegenüber. Über drei Routen, die sogenannten Lanes, laufen einfache Truppen in Richtung des Gegners, um dessen Basis einzureißen und somit den Sieg davonzutragen. Da die Stärke beider Parteien aber vollkommen identisch ist, entsteht ein permanentes Unentschieden. Nur die fünf Helden, die jedes Team ins Rennen schickt, können dieses Gleichgewicht beeinflussen und den Kampf schließlich in die gegnerische Basis tragen.
So weit, so simpel. Doch schon bei der Heldenauswahl geht die Komplexitätskurve durch die Decke. Ganze 98 verschiedene Helden stehen momentan zur Auswahl. Natürlich bringt jeder seine eigenen Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten mit. Erste Anzeichen von Überforderung lassen nicht lange auf sich warten. Worin besteht der Unterschied zwischen Nyx Assassin, Templar Assassin und Phantom Assassin? Was zum Teufel ist ein Pusher, Carry oder Jungler? Ist eigentlich auch egal, weil sich die erste Partie sowieso zu einer mittelschweren Katastrophe entwickeln wird.
Da das Matchmaking aber bereits in der Betaphase gut funktioniert, stehen die Chancen nicht schlecht, mit neun anderen Anfängern zusammengewürfelt zu werden. Wer hier Fehler begeht, ist in bester Gesellschaft, weil die neun anderen Spieler wahrscheinlich ebenso planlos über die Karte eiern, wie man selbst. Das ändert sich, wenn man nach einigen Partien immer tiefer in das System von Dota 2 vordringt und mit fähigeren Spielern in einen Pool geworfen wird.
Was jetzt folgt ist nichts anderes als Mimikry: Bloß nichts anmerken lassen. So tun als hätte man Ahnung von seinem Helden, obwohl man im Steambrowser natürlich eben noch hektisch nach einem Guide gesucht hat, in dem die ideale Skillung und eine dazu passende Einkaufsliste wichtiger Items aufgeführt sind. Zwar hat man auch so ausgestattet keinen blassen Schimmer, was der Teamkollege mit “ss bot 1” ausdrücken will, aber die anderen wissen sicher Bescheid.
Überhaupt die Sprache in Dota 2: Oft fühlte ich mich wie ein Forscher, der einen längst vergessenen Dialekt zu entschlüsseln versucht. Über die Jahre hat sich in der Dota-Gemeinde eine eigenständige Terminologie entwickelt, die sich zwar bei Begriffen aus MMOs und Shootern bedient, aber auch kreative Neuschöpfungen wie das erwähnte “ss bot 1” mit sich bringt. Der Dschungel aus Begriffen ist groß und kaum zu überblicken. Kein Dota-Spieler, der etwas auf sich hält, schreibt den Namen eines Items komplett aus. Früher oder später wird man also einen Blick auf die vielen Vokabellisten für Dota 2 werfen müssen. Dann versteht man vielleicht auch, dass der Mitspieler mit “ss bot 1” nicht über computergesteuerte Spielfiguren redet, sondern dem Team einen fehlenden Gegner auf der unteren Lane melden möchte.
Doch so sehr man die eigene Unfähigkeit auch zu verstecken versucht: Früher oder später wird man einen saudummen Fehler begehen. Vielleicht weil man eine Fähigkeit im ungünstigsten Augenblick zündet. Oder weil man in den vergangenen fünf Minuten zehnmal vom immer gleichen Gegner unter die Erde gebracht wurde. Das geht gar nicht, das ist die ultimative Todsünde in Dota 2! Denn jeder gefällte Held verliert einen Teil seines Goldes, während der Gegner das Kopfgeld einstreicht. Somit schwächt jedes Scheitern auf lange Sicht das eigene Team, während es den Gegnern einen Vorteil verschafft.
Kaum verwunderlich also, wenn man nach wiederholten Kamikaze-Aktionen von den Mitspielern angepfiffen wird. Schwachsinnige Manöver und Alleingänge bringen nichts, jeder Fehler wird schnell und hart bestraft. Wer nicht mit seinem Team spielt, spielt gegen sein Team – so einfach ist das. Daraus ergibt sich eine nicht zu unterschätzende Faszination, da einzig und allein das Zusammenspiel den Sieg sichern kann. Es führt aber auch dazu, dass Vergnügen ein zweischneidiges Schwert in Dota 2 ist. Harmoniert das eigene Team, greifen die Fähigkeiten aller Helden ineinander, walzt man über die Gegner nur so hinweg, dann ist Dota 2 für einen kurzen Moment das beste Spiel der Welt.
Doch wehe man ist auf der Verliererseite! Mit viel Glück ist die Partie nach 25 Minuten vorbei, mit Pech kann sie aber auch eine Stunde dauern. Kurz und schmerzlos gibt es nicht. Die Niederlage ist immer ein langsames Ausbluten. Chancenlos sieht man dabei zu, wie die gegnerischen Helden immer stärker werden, während man selbst auf der Stelle tritt, weil das Gold für neue Items hinten und vorne nicht reicht. Dann wünscht man sich nichts sehnlicher als eine Möglichkeit, das Spiel schon vorzeitig beenden zu können.
Klinkt man sich trotzdem aus der laufenden Partie aus, kann man sich darauf einstellen, die kommenden 24 Stunden mit den schlimmsten Spielern überhaupt zu verbringen: Flamern, Trollen und Leavern. Dota 2 nennt das “Matchmaking mit geringer Priorität”. Es ist eine schmeichelhafte Formulierung für „menschliche Jauchegrube“. Mit solchen Leuten will man nicht zusammenspielen. Wirklich nicht. „Noob“ wird hier im Chat zum Universalwort. Partien werden teilweise nach 5 Minuten abgebrochen, weil schon wieder ein Spieler einfach abgehauen ist. Spaß sieht anders aus.
Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft zahlt sich aus. Im normalen Matchmaking Pool geht es erstaunlich human zu. Man versucht sich zu benehmen, um nicht herabgestuft zu werden. Tatsächlich kann ich die Momente, in denen jemand wild mit Beleidigungen um sich geworfen hat, an zehn Fingern abzählen. Oftmals genügt es anzumerken, dass man noch neu ist und keine Erfahrungen mit diesem oder jenen Helden hat. Welpenschutz und Hilfestellungen sind garantiert. Die Dota 2 Community ist in Wirklichkeit um ein vielfaches angenehmer als ihr Ruf vermuten lässt. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel.
Trotz meiner lächerlichen Sieg-Niederlage-Statistik macht Dota 2 nach wie vor enormen Spaß. Aber warum eigentlich? Vielleicht weil man nach so vielen Stunden gerademal an der Oberfläche gekratzt hat. Vielleicht weil sich erst jetzt Vorlieben für gewisse Helden herausbilden. Vielleicht will aber einfach nur eine masochistische Ader in mir befriedigt werden. Dota 2 ist eine verspielte Wissenschaft. Eine komplexe Apparatur, bei der man sich nie sicher ist, weshalb sie jetzt genau so und nicht anders funktioniert.
Und jetzt entschuldigt mich, ich muss noch ein paar Keys verschicken.
3 Kommentare
1) bitte für den Key ;)
2) den emotionalen Einblick in deine Gedankenwelt bei der Erforschung des Spiels finde ich sehr interessant :D
… u ich als “alter Hase” in dem Spiel denke, dass man sich das alles antut um diese Momente zu genießen, in denen es [ich zitiere: “für einen kurzen Moment das beste Spiel der Welt.” ist]
Super geschrieben. Du hast genau eingefangen, wie es mir in den ersten Stunden mit Dota ging und eigentlich auch heute noch geht. Es ist erstaunlich wie so ein einfaches Spielprinzip auf so viele eine solche Faszination auslösen kann. Auch ich habe nach hundert Stunden in Dota2 gerade einmal an der Oberfläche gekratzt. Und laufend kommen neue Helden dazu, ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wirklich beherrschen soll :)