Nur weil da schon wer lebt, heißt das nicht, dass ich dort nicht siedeln darf, oder?
Die Kolonialzeit hat etwas faszinierendes für mich. Das mag daran liegen, dass ich als Anglist auch ein wenig Amerikanistik mitnehme und die Geschichte Südamerikas und der westindischen Inseln mich da schon angesprochen hat. Oder daran, dass ich schon als Kind das romantisierte Piratenleben toll fand und das durch Pirates of the Caribbean, Sea Dogs und Assassin’s Creed: Black Flag nur schlimmer wurde. Die romantische Vorstellung fällt einem dann aber doch schnell ab, wenn man sich etwas ernster damit beschäftigt. Kolonialismus ist schlimm. Während Isabella I. und Donald Trump dem vermutlich widersprechen würden, können untergegangene Amerikanervölker, australische Ureinwohner und der Kongo ein dröhnendes Lied davon singen. Was da in der Zeit von Conquistadores, Port Royal und Schatzflotte an den Einheimischen verbrochen wurde ist furchtbar. Meine Faszination kann ich dennoch nicht verhehlen, weswegen ich es auch wiederholt mit Sid Meier’s Colonialization und dem gleichnamigen Addon zu Civilization IV versucht habe – ausgehalten habe ich es es nie lange, dazu waren mir all diese Spiele zu sperrig. Doch in Civilization VI habe ich ein ganz ähnliches Gefühl, wie es die beiden Titel vermitteln. Und das, obwohl es – scheinbar, zunächst – keinen Fokus auf die Kolonialzeit legt. Ich behaupte allerdings: Das tut es, aber nicht auf eine Weise, die der Sache angemessen wäre.
Die Vision, das Konzept hinter Civilization V, vor allem nach seinen beiden diverse Systeme und Völker hinzufügenden Addons, vermittelte eine übergreifende Botschaft vom Frieden. Kultur, Religion und Diplomatie fanden ihren Platz im Spiel, friedliche Siegbedingungen waren allgegenwärtig und deutlich abwechslungsreicher als Krach-Bumm-Krieg. Die Völkerauswahl war ausgeglichen, afrikanische wie südamerikanische Nationen und ehemalige solche ebenso zahlreich vorhanden wie die üblichen europäischen Verdächtigen. Der Fortschritt war Ziel und Botschaft von Civ V – Das Ziel, Konflikte ab einem gewissen Punkt mit Diplomatie zu lösen (was durch die ebenso unlogische wie aufdringliche KI der Gegner in der Praxis leider selten möglich war). Das “Canon”-Ende von Civ V, so ein solches denn existieren kann, ist friedlich: Wir erobern das Weltall, erst eine Nation allein, dann alle gemeinsam. Woher ich die Behauptung nehme? Weil das recht flaue, aber mir viel Freude bereitende Civilization: Beyond Earth genau da ansetzt, wo Pocatello, Napoléon oder Bismarck ihre Rakete ins All feuerten. Dort fasert diese Botschaft des Friedens dann auf in Ideologien, die den Fortbestand der Menschheit bestimmen sollen – und sei es, indem der Bevölkerung der alten Erde ihr Frieden durch Tod gebracht wird. (Über den Ansatz von Beyond Earth habe ich hier ein paar Gedanken aufgeschrieben).
Civilization VI bricht hiermit auf mehrere unterschiedliche Arten. Die Botschaft verschiebt sich, der Fokus auf Krieg ebenfalls. Plötzlich lassen sich Einheiten zu Corps und Armeen zusammenführen, Sanitäter sich mitführen, Artillerie sich übermunitionieren. Der Wert von Kultur steigt – Kultur, das heißt Eigenidentifikation, Verbindung mit Mitbürgern, vielleicht Nationalstolz. Statt Tourismusmagnet zu sein heißt kulturell zu dominieren nun, zivilisatorische Fortschritte ähnlich der Forschung zu machen. Krankenversicherung, Wehrpflicht und Demokratie entstammen ebenso dem nationalen Kulturempfinden wie Faschismus, Heiliger Krieg und Kolonialismus. Innovation wie Perversion, beide aufs eigene Wohl aus. Kultur fließt nun ebenso in die Kriegsführung ein wie Technologie. Und auch wenn sich die einzelnen Errungenschaften der Zivilisation nicht in der Optik der Städte oder der demonstrierten Freude oder dem Leid des Bürgers zeigt: Die Namen der angewandten Innovationen zeigen doch, in welche Richtung sich das Reich bewegt. Was ist schlimmer: Mit dem faschistisch regierten Deutschland einen Kultursieg zu erringen oder als demokratisches Brasilien die Welt zu erobern?
An anderer Stelle wurde allerdings viel weniger darauf geachtet, Fragen zu stellen und dem Spieler die Beantwortung für sich selbst zu ermöglichen. Dass in einen historisch annähernd korrekten Technologiebaum auch schlimme Sachen gehören, erschließt sich mir vollends. Der Kolonialismus ist ein wichtiger Teil der Weltgeschichte und für Nationen wie England und Spanien sogar derart maßgeblich, dass es Sinn macht, ihn in ihrem speziellen Nationalfähigkeiten zu verankern. Doch ist die Perspektive, aus der auf die Kolonialzeit geblickt wird, eine sehr einseitige: Letztendlich bringt er nur Vorteile. Raj, die Schatzflotte, koloniale Steuern und Rotröcke bringen mein Reich alle auf ihre Art weiter und schaden im Spiel auch niemandem direkt. Auch die Rollenverteilung ist klar; Von den zehn europäischen Völkern sind die Hälfte Kolonialmächte, Leidende gibt es lediglich vier: Indien, Brasilien, Kongo und die Azteken. Davon sind nur die Azteken einer der zahlreichen afrikanischen, süd- und mittelamerikanischen Stämme, die vernichtet wurden. Civilization V bot allein fünf amerikanische Ureinwohnervölker an. Natürlich bleibt auch bei Civ VI zu erwarten, dass Addons das Angebot erweitern werden, doch zum Start hätte ich mir etwas mehr Ausgeglichenheit gewünscht, was den Respekt gegenüber unterschiedlichen Kulturgruppen angeht. Erst recht, wenn der einzige Indianerstamm als Vorbestellerbonus erst einen Monat nach Release für alle verfügbar wird.
Die Perspektive Civilization VIs ist also eine sehr westliche, wenn nicht gar eine nordamerikanisch zentrierte. Nicht verwunderlich, da Firaxis in Maryland, U.S.A. sitzt. Doch Civ V war ebenfalls ein westliches Spiel und konnte mich aus den oben genannten Gründen von einer Vision des Friedens überzeugen. Ein Richtungswechsel, um die Reihe frisch und interessant zu halten ergibt Sinn, doch einen solchen Fokus auf ein Thema zu legen, das in der eigenen Geschichte durch Colonization bereits ausgiebig behandelt wurde, weckt zumindest in Verbindung mit dem Rest meine Kritik.
Aus Colonization nimmt sich Civilization VI außerdem ein weiteres Feature: Große Persönlichkeiten sind, ähnlich wie die dortigen Gründungsväter, nicht mehr uniforme Einheiten, deren einziger Echtweltbezug ihr Name ist, sondern individuelle Bonuseinheiten. Die Einteilung in Große Wissenschaftler, Große Autoren und so weiter besteht zwar weiterhin, doch jede Persönlichkeit hat ihren eigenen Bonus und auch die produzierten Werke unterscheiden sich in ihrer Wirkung. Während Darwin ein Naturwunder näher erforschen und dafür absurde Summen Wissenschaftspunkte erhalten kann, ist Sun Tsu zwar ein General, gibt also einen Bonus an alle Truppen um ihn herum, kann aber in der Nähe einer Bibliothek auch Die Kunst des Krieges verfassen und steuert damit auch noch Kultur zum Reich bei. Damit will ich dann auch zu den spielerischen Änderungen übergehen, denn so sehr mir die Ideologie dahinter missfällt, Civ VI ist ein klasse Spiel, mit einigen Einschränkungen. Am besten gefällt mir dabei der Fokus auf der Städteplanung.
Wenn ich meine Stadt mit Distrikten erweitere, gebe ich bewusst Möglichkeiten auf, um mir neue zu erschließen. Das macht es wertvoll, Städte zu spezialisieren. Wenn ich den Küstenplatz einer Hafenstadt für den Koloss von Rhodos nutze, kann ich vermutlich die Docks von Venedig nicht mehr unterbringen. Möchte ich alle Nachbarschaftsboni des Campus in meiner Universitätsstadt nutzen, bedeutet dass, dass ich mich vielleicht entscheiden muss: Große Bibliothek von Alexandria oder Oxford University? Ich kriege nie alles, und das sorgt dafür, dass ich immer wieder spielen möchte.
Doch das sorgt auch für eine mir Bauchschmerzen bereitende Einschränkung: Kleine Reiche werden schwer bestraft. Habe ich nicht genug Städte, produziere ich eben nicht genug Ressourcen und von manch einer vielleicht gar nichts (Meistens ist das dann Kultur oder Religion – es geht auch ohne, aber es wär schon nett mit). Das ist ein Schritt zurück vom Vorgänger, denn Civ V hat mir die Wahl gelassen, mich sogar manchmal für kleine Reiche belohnt; Völker wie Ghandis Indien und Haile Selassis Äthiopien bekamen saftige Boni fürs kleinbleiben und konnten so bestimmte Siegbedingungen besser ansteuern als andere. In Civ VI mache ich mir damit schlicht das Leben schwer. Allgemein gibt es keine Strafe dafür, die gesamte Karte mit Siedlern vollzupflanzen – da die Fröhlichkeit der Städte wieder regional und nicht global berechnet wird wie in Civ V, sind große Reiche nicht schwerer beisammen zu halten. Ich werde also stark zum stetigen Erweitern angehalten, primär auch deshalb, da sich kleinere Reiche meistens durch kleinere Armeen auszeichnen. Und das ist ganz furchtbar, denn Mist Nummer zwei, den sich Civ VI leistet, ist die KI der Gegner, die Krieg für die Lösung jeder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Partie hält. Mittlerweile siedle ich aus Prinzip nur noch neben Ghandi, der greift nämlich als einzige Partei niemanden ohne ordentlichen Casus Belli an. Wobei die Suche nach solchen Gründen manchmal dennoch ganz fix auf Erfolge stößt, denn je nach zufällig generierter Agenda kann es auch sein, dass er mich dafür hasst, zu wenig oder zu viel Kampfkraft, Forschung, Religion oder Fußpilz zu produzieren. Einmal griff mich Peter der Große von Russland an, weil ich zu viel Geld verdiente. Mit Handelsrouten nach Russland.
Das ist so wahnsinnig schade, weil sich Civilization VI ansonsten toll spielt. Städte zu erobern macht ebenso viel Freude wie sie zu entwickeln, und alle Systeme (abgesehen von der Diplomatie, deren erweiterte Systeme leider fast komplett herausgenommen wurden) haben sinnvolle neue Feinheiten erhalten. Das Religionssystem wurde sogar direkt zu einer Siegbedingung erweitert, auch wenn ich es etwas affig finde, meine Missionare gegen die der Gegner in einen Glaubenskrieg zu senden, der durch göttliches Feuerwerk symbolisiert wird. Die Boni, die ich mir aber durch Religion auch für andere Spielweisen sichern kann, sind riesig. Meine Lieblingseinheit ist definitiv der mit Glauben bezahlbare Naturschützer, der aus Gebirgen und Naturwundern wie dem Yosemite Nationalparks machen kann, um den Kultur- und Tourismusoutput zu steigern. Leider werden solche Feinheiten erst sehr spät im Spiel freigeschaltet, die ersten paar Epochen spielen sich immer sehr gleich: Ich rüste meine Einheiten auf die nächstbeste Kampfstufe auf und gründe ein, zwei neue Städte auf neuentdeckten Ressourcenvorkommen. Richtig los geht es – oh Wunder – erst zur Zeit von Freibeuter und Spionage, wenn mehrere Systeme beginnen, ineinander zu greifen. Zum ersten Mal in einem Civilization-Spiel ist es für mich eine sinnvolle Alternative, in einer späteren Ära als der Antike zu beginnen. Das scheint den Entwicklern ebenso gegangen zu sein, denn dafür gibt es dieses Mal sogar diverse Achievements.
Ich werde noch viele Runden Civilization VI spielen, das ist sicher. Vielleicht ja sogar eine mit jedem Volk, denn die spielen sich wirklich deutlich unterschiedlich, wenn man ihre Besonderheiten auszunutzen gelernt hat. Weniger ist mehr, dachte sich Firaxis letztendlich, und das ist im Großen und Ganzen auch gut so. Dabei hat sich lediglich der Fokus etwas zu sehr gen Westen verschoben, und auch ein paar mehr Wunder hätten dem Spiel ziemlich gut getan, um den Konkurrenzkampf im Städteplanen etwas mehr anzufachen. Doch für die Grundversion einer Spielereihe, die sich seit jeher vor allem für ihre absurd hochqualitativen Addons auszeichnet, kann ich mir eigentlich nicht viel mehr wünschen. Doch, eins fällt mir noch ein: Ein Heilmittel gegen akute NPC-Dummheit. Aber das sucht Firaxis ja eigentlich auch schon seit Civilization IV.
Der Steamkey zu Civilization VI plus physischer Sammleredition wurde mir von 2K zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
4 Kommentare
Die Fokussierung auf in der Mehrheit wieder westliche Zivilisationen stieß mir auch ein wenig übel auf, es ist einfach schade, zumal man schon mal weiter war. Aber generell ist die Orientierung an historischen sozio-okönomischen Strukturen und Prozessen schon immer sehr eurozentristisch gewesen in allen Civ Teilen und auch wieder in VI.
Unter Kolonialismus wird ja immer nur der europäische Kolonialismus verstanden und in dem dann auch noch zwei sehr unterschiedliche Phasen (früher Kolonialismus, va in den beiden Amerikas, sowie einigen Landnahmen durch die Portugiesen in/vor Afrika und Asien von zumeist unbewohnten/kaum bewohnten Inseln und der “moderne” Kolonialismus, bei dem dann ganz Afrika (und kurz danach auch Asien) “aufgeteilt” wurde und eigentlich jede europäische Nation – inklusive Deutschland – direkt beteiligt war) kräftig miteinander vermischt. Von arabischen Formen des Kolonialismus in Afrika, inklusive eines immensen Sklavenhandels, wird konsequent geschwiegen, auch der japanische Kolonialismus spielt keine Rolle. Von antiken Formen des Kolonialismus muss man gar nicht erst sprechen und das es auch inneramerikanische, prä-kolumbianischen Kolonialismus gab (Azteken!), auch geschenkt.
Dieses eurozentrische Geschichtsverständnis lässt sich zB auch bei einer Wirtschafts-/Gesellschaftsform wie dem Feudalismus beobachten, unter dem konsequent nur seine europäisch-mittelalterliche Form verstanden wird, die lange und wechselhafte Geschichte des Feudalismus in China, der sehr andere Ausprägungen annehmen konnte als in Europa, ist nicht existent.
Ein sich durch Civ ziehendes Grundproblem, das sich noch für viele weitere historische Phänomene ausführen ließe, aber ich belasse es mal hierbei. Wahrscheinlich muss ein Spiel, so komplex es mittlerweile auch ist, aber auch einfach an der Vielschichtigkeit von Geschichte scheitern. Das man sich aber immer für die eurozentrische Darstellung entschieden hat, mag einerseits den wohl wichtigsten Märkten Europa und USA geschuldet sein, andererseits aber vielleicht auch einfach der Tatsache, dass diese Art der Geschichtsinterpretation weiterhin die wirkungsmächtigste ist.
@veracruz
Ergänzend zu deinem super Kommentar hier (und auch die weiteren ‘historischen Phänomene’ ansprechend, die du erwähnst) hat Hupsbaum auf meinem neuen Artikel zu Civilization VI und dessen Frauenbild einen sehr ausführlichen Kommentar verfasst: http://polyneux.de/2017/03/01/frauenbild-civilization-vi-grosse-persoenlichkeiten/#comments
Stimme euch da beiden absolut zu und freue mich, als doch eher Geschichtsunwissender von Leuten, die mehr verstehen, ergänzt (und bestätigt) zu werden^^