Der Vorteil daran, über 12 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Shadow of the Colossus über das Spiel zu schreiben, ist, dass die unsägliche “Sind Videospiele Kunst?”-Debatte längst gegessen ist. Damals, 2006, waren es andere Zeiten, das Stigma gegenüber dem seinerzeit schon nicht neuen Medium war groß, das Wort “Killerspiel” allgegenwärtig. Heute, 2018, nimmt die Große Koalition die Anerkennung von E-Sport in ihren Koalitionsvertrag auf. Die Frage, ob Spiele nun Kunst sind, ist vor allem dank unabhängiger, kleiner Studios längst geklärt — oder besser: wurde als Debatte ohnehin nie richtig geführt, denn zu einer Debatte darüber, ob etwas Kunst ist, gehört vor allem erst einmal ein Kunstbegriff, auf den man sich einigen kann und an dessen Herleitung hapert es bei den meisten ja schon, weil der Horizont nur wenige Zentimeter über “Kunst gleich Museum gleich Bilder” hinausgeht.
Lehnen wir uns also entspannt zurück, debattieren gar nicht erst über Games und Kunst, sondern genießen das Remake eines Meilensteins der Spielgeschichte, der inhaltlich nur scheinbar schlank daherkam und uns stattdessen viel über uns selbst lehren konnte: Sind wir Held oder Verbrecher — oder beides? Sind die 16 Kolosse, die wir töten, um ein Mädchen zu retten, wirklich Gegner oder viel mehr Opfer? Ist es legitim, für das Leben eines Menschen 16 Kreaturen zu schlachten — und schlachten ist es, was da passiert, wenn das Schwert in den Schwachpunkt der Kolosse gedrückt wird und schwarzes Blut nur so herausschießt. Kurzgesagt: Shadow of the Colossus hat uns mit Fragen konfrontiert, ebenso mit Gefühlen wie Verlust und Trauer, am Ende dann tieftraurig und allein zurückgelassen und wurde deshalb als Kunst gefeiert — ein Novum, das Medium Videospiel betreffend. Kunst hat dieser Logik nach also die Aufgabe, Fragen zu stellen, positive (Koloss besiegt) wie auch negative (das unfassbar grausame Ende des Spiels) Emotionen zu erzeugen und bekannte Strukturen (Spieler gleich Held) aufzubrechen. Na, da haben wir ja schon glatt was über Kunst gelernt oder einen möglichen Kunstbegriff. Dabei wollten wir diese Debatte nicht führen. Also lassen wir es.
Widmen wir uns einem der Hauptdarsteller des Spiels: Der Landschaft, schließlich gibt es abseits von Held Wander, seinem Pferd Agro und den 16 Kolossen wenig anderes in diesem Spiel und wenn es einen Hauptgrund für die Neuauflage gibt, dann eben die Technik hinter der Spielwelt. Was Sony da liefert, gehört ganz einfach zum Schönsten, das je auf einem Bildschirm zu sehen war und erinnert bisweilen wunderbar an Zelda: Breath of the Wild (fairerweise sollte man vielleicht sagen: anders herum, Zelda erinnert natürlich an SotC). Es ist noch immer eine große Einsamkeit in diesem Land, man stellt sich beim Passieren von Ruinen und Schreinen noch immer die Frage, was hier einst war, warum es nicht mehr ist und was es wohl vernichtet haben mag. Außer dem Wind, dem gelegentlichen Schreien eines Vogels und dem Rauschen am Meer gibt es kaum Umgebungsgeräusche. Den Soundtrack hat sich Team Ico für die Bosse aufgespart, um dann mit die wuchtigsten Klänge zu bieten, die die Videospielgeschichte kennt (und glücklicherweise demnächst auch auf Vinyl erwerben darf. Es sind goldene Zeiten für finanzstarke Fans von Nischenspielen). Kurzgesagt: Was Shadow of the Colossus damals schon so bedeutend gemacht hat, tut es auch heute noch: Der Titel bleibt weiterhin oberflächlich betrachtet sehr einfach gestrickt und offenbart erst bei einer kritischen Auseinandersetzung seine Tiefgründigkeit. Man muss sich eben damit beschäftigen, wenn man dahinter blicken will. Ansonsten hat man ein Spiel, bei dem man durch die Gegend reitet, 16 Kolosse absticht und nach drei Stunden den Abspann sieht und sich denkt “Ok, war jetzt nicht meins. Oh, und die Kamera war scheiße.”
Diese Beschäftigung, die das Spiel zwar nicht einfordert, aber eben anbietet, war neben dem oberflächlich betrachtet kargen Gameplay der Grund, weshalb Shadow of the Colossus ein Nischentitel wurde, der — obschon Jahre nach der Veröffentlichung mit Kritikerlob überhäuft — kein kommerzieller Erfolg war.
Das hat Sony glücklicherweise nicht von einem Remake abgehalten. Die bei Remakes stets nötige Antwort auf die Frage “Qui bono?” fällt hier zu Gunsten der Spielenden aus, denn es ist fraglich, ob auch die Neuauflage ein gigantischer Verkaufshit wird (erste Zahlen deuten zumindest an, dass sie sich deutlich besser als das Original verkauft, das es laut VGChartz auf magere 1.14 Millionen verkaufte Exemplare brachte). So ist sie mehr die Pflege eines außergewöhnlichen Werkes, das nun so aussieht, wie es eben damals nicht aussehen konnte, das aber verdient hatte. Dabei wurde behutsam vorgegangen und der Umstand, dass sich Spielmechanismen in den letzten 12 Jahren weiterentwickelt haben, glücklicherweise einfach ignoriert: Es gibt keine Teleport-Funktion zwischen den Schreinen oder ähnliche Features, um sich einer mit den Jahren immer fauler gewordenen und verwöhnteren Spielerschaft, die gerne am Händchen gehalten und durch die Welt geführt wird, anzubiedern. Lediglich 79 Goldmünzen, die man sammeln kann, um ein Schwert freizuschalten, haben es als Neuheit in die Spielwelt geschafft. Auch ein 17. Koloss, der immer noch als Urban Legend kursiert, ward nicht gefunden. Die Welt bleibt 2018, was sie 2006 schon war: leer. Wenn man wirklich mosern will, dann darüber, dass Wander etwas glattgebügelt aussieht, mehr wie eine Manga-Figur als der kantige Typ aus dem Original — der eben auch kantig war, weil die Technik damals nicht mehr hergab. Sein Verfall im Verlaufe des Spiels ist ebenfalls weniger offensichtlich — was schade ist, denn das bekam schon das PS2-Original hin. Aber das ist jammern auf sehr, sehr hohem Niveau.
Selbstredend kommt man auch zwölf Jahren nach der Erstveröffentlichung nicht drum herum, die Kamera und die Steuerung zu erwähnen. Die Sperrigkeit beider galt ja als weiterer Grund für den ausbleibenden, kommerziellen Erfolg. Was die Steuerung betrifft, kann man nun aus vier Varianten wählen, zwei “Modernen” und zwei “Klassischen”. Erstere haben einige Buttons so gelegt, dass man etwas intuitiver greift, zusticht und klettert. Dennoch wurde in meinem Fall die klassische Steuerung mit den Jahren so verinnerlicht, dass die Umstellung nicht klappen wollte.
Und die Kamera? Ein Denkanstoß: Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht soll das genau so sein. Vielleicht lässt man Agro beispielsweise einfach mal alleine und ohne Zutun durch den Wald reiten, dann macht er das nämlich von selbst und findet sogar den richtigen Weg. Autonomes reiten — toll, oder? Wie auch die Kamera, so man nicht eingreift, von selbst eben den Film dreht, den sie drehen will. Ähnlich dem tierischen Begleiter hat sie ihren Willen und ist mindestens genauso stur. Das als Denkanstoß. Man kann es sich natürlich auch einfach machen und sagen, sie sei schlecht justiert und bisweilen am falschen Platz und zickig und überhaupt. Denn auch das wurde vom Original übernommen.
Das alles sind Punkte, die — und das muss man auch dann einsehen, wenn man das Spiel liebt – viele davon abgehalten haben und auch nun wieder davon abhalten werden. Das ist dann eben so, Shadow of the Colossus war und bleibt kein Titel, der jedem gefallen will oder muss. Wer sich darauf einlässt, kann mitunter etwas über sich lernen — das ist die größte Leistung des Titels und war 2006 tatsächlich in dieser Form noch nie dagewesen. Wenn GTA 3 das Erwachsenwerden des Mediums darstellt, ist Shadow of the Colossus seine Reifung in emotionaler Hinsicht, ein Ausbruch von Konventionen a la “Geil, ich der Über-Held baller euch zu Klump”-Gefühlen, hin zu “Was tu ich hier verdammt nochmal?” Das könnte man glatt ein Kunststück nennen. Da steckt das Wort “Kunst” drin. Und damit kann ich diese Besprechung schließen. Shadow of the Colossus rettet auch 2018 noch deine durch generische Mainstream-Games verdorbene Seele — wenn du es lässt.
3 Kommentare
Hey,
guter artikel, aber ich finde, und das obwohl ich ein fan von sotc bin, dass gerade das remake etwas überbewertet wird, da die kamera z.b. wirklich bescheiden ist. Ich verstehe deinen punkt, mit der kamera mal machen lassen, aber denoch finde ich, dass die kameraführung mich doch etwas einschränkt und gerade bei einen so schönen visuellen spiel wie sotc, will ich es auch aus jeder (selbstgewählten) perspektive genießen können.
Noch schlimmer ist, meinen empfinden nach, aber die steuerung. Man macht es sich zu leicht, wenn man sagt, dass war damals schon so. Ich versehe nicht, warum die nicht verbessert wurde. Die neuen controller belegungen helfen halt nicht, wenn die ganze steuerung hakelig ist.Das hat mich nach 10 min spielzeit echt getillted, heute, genauso wie damals.
Was ich weder 2006, noch 2018 verstanden habe, ist dieser metaebene mit, “was haben uns den die armen colosse getan?”. Ueda lässt das ja auch bewusst offen und man weiß ja gar nicht, wer gut oder böse sein soll. Was haben mir den z.b. die bosse in Dark Souls getan (wobei ich da nicht so tief in der story drin bin)?
Wie gesagt, ich mag das spiel, sehr sogar. Es war 2006 der grund,warum ich mir eine ps2 gekauft habe .Die tatsache, dass man auf der Map nicht wie in den meisten anderen spielen mit hinweisen zugeballert wird, ist z.b. 2018 noch befreiender als 2006.
Was die Kamera betrifft, sehe ich im Time-Attack-Modus, in dem ich gerade festklebe, schon auch Nachteile. Das verheddert sich manchmal in irgendwelchen Ecken und du weißt erst mal nicht, wo du stehst oder läufst in die falsche Richtung, etwa wenn Nr. 13 seine “Rolle” macht und du erst mal überlegen musst, wo du nun bist. Dass das nervig sein kann, stelle ich prinzipiell gar nicht in Abrede.
Die Kritik an der Steuerung verstehe ich allerdings nicht. Vielleicht, weil sie mir nach den Jahren ins Blut übergegangen ist. Das wird aber häufiger angemerkt, also die “Hakeligkeit”. Ich kann mir nur halt nichts drunter vorstellen..
Deine beiden letzten Punkte betreffend: genau genommen hat man “SotC” ja dafür gefeiert, dass es eben nichts verrät, dass man sich alles denken muss – und da nicht richtig und auch nicht falsch liegen kann. Aber man muss halt denken und das war der Punkt. (Ich denke beispielsweise, dass die Dormin definitiv böse sind, sie haben das Land zerstört und wurden in letzter Minute noch in 16 Statuen eingekerkert. Nur deshalb ist es so leer, zeugt aber hinsichtlich der Bauwerke davon, dass da mal Leben war, das eben ausgelöscht wurde. Auch, dass sich die Natur die Bauwerke wieder holt, die teils an Arenen, Kathedralen und ähnliches erinnern, zeigt, dass da lange schon kein Leben mehr ist.). “Dark Souls” hat das so gesehen ganz ähnlich gemacht, guter Punkt. Nur konnte man hier halt fast lückenlos rausfinden, was los war, die Hintergrundgeschichte einiger NPC ausgenommen, da gibt’s nur plausible und weniger plausible Theorien..
Hm… kann ich da nicht beliebige Titel einsetzen?
Postal war und bleibt kein Titel, der jedem gefallen will oder muss. Wer sich darauf einlässt, kann mitunter etwas über sich lernen — das ist die größte Leistung des Titels und war 1997 tatsächlich in dieser Form noch nie dagewesen.
GTA III war und bleibt kein Titel, der jedem gefallen will oder muss. Wer sich darauf einlässt, kann mitunter etwas über sich lernen — das ist die größte Leistung des Titels und war 2001 tatsächlich in dieser Form noch nie dagewesen.
Und wenn man die Konsequenz aus
zieht, müsste man dann nicht sagen „A strange game. The only winning move is not to play.“ und Kudos an alle, die es links liegen gelassen haben?