Episch sollte es werden. Groß und bunt und spektakulär. Mitreißend, wie kaum ein anderes Werk. Ein Spaß für Groß und Klein. Und zeitnah zur Veröffentlichung des Spiels erscheinen sollte es auch noch — unser Gespräch zu Marvel’s Spider-Man. Naja, knapp daneben. Was soll’s. Immerhin ist soeben mit The Heist das erste Fragment des dreiteiligen Add-Ons The City that Never Sleeps für die freundliche Spinne aus unserer Nachbarschaft erschienen. Also passt es ja wieder irgendwie mit dem Veröffentlichungszeitpunkt. Ob es sich lohnt, solange beim Hauptspiel am Ball zu bleiben, dass man auch den Zusatzinhalt noch erleben will? Und ob eingangs erhobener Anspruch an unseren Artikel wenigstens auf Insomniacs jüngsten Riesenhit zutrifft? Lehnt Euch zurück, macht es Euch bequem und wälzt Euch mit einem zünftigen New-York-Club-Sandwich in der einen und einem Magenbitter in der anderen Hand durch unseren heiter verstimmten Rückblick auf unzählige Spielstunden mit Marvel’s Finest Superhero. Viel Spaß!
Christian: “Spider-Man! Endlich mal wieder ein Spiel, auf das man so richtig ordentlich eindreschen kann! In der Luft zerreißen sollte man es, angesichts der offensichtlichen Einfallslosigkeit, der schamlosen Abkupferei allerorts und der schnöden Item-Jagd in einer offenen Welt, die an Größe und Atmosphäre kaum mehr zu bieten hat als eine Handvoll Stadtteile und eine mau erzählte Story. Batman Assassin: Arkham Creed im Netzschwinger-Gewand mit New York Skin und bei Tageslicht (größtenteils). Nicht mehr und nicht weniger ist Marvel’s Spider-Man.
Ein uninspirierter Abklatsch, der uns mit Spielmechaniken malträtiert, die wir vor zehn Jahren in Grand Theft Auto IV schon scheiße fanden — und die uns seitdem in übersteigertem Maße als ‘Ubisoft The Game Formel’ und den Batman Arkham-Teilen so oft zum Fraß vorgesetzt wurden, dass wir unsere Tellerchen irgendwann einfach nur noch mit Bröckchen besprenkeln wollten.”
All das ging mir durch den Kopf, als ich mir die ersten ein bis zwei Stunden von Insomniacs Marvel’s Spider-Man zur Brust genommen habe. Und auch die nächsten fünf bis zehn Stunden ließ dieser Eindruck, das alles schon viel zu oft gesehen zu haben, nicht nach. Ein permanenter Auf-die-Entwickler-schimpfen-wollen-Drang ob dieses geradezu absurd lächerlichen Abziehbildes einer Open World wollte einfach nicht verschwinden. Bis ganz zum Schluss, bis zum Erreichen von Level 50, der 90%-igen Komplettierung des Spiels und einer nicht nachvollziehbaren Anzahl an Spielstunden (dummerweise gibt einem das Menü an keiner Stelle einen Überblick über die Gesamtspielzeit), wollte dieses Gefühl, dieser unterschwellige Frust auf Game und Entwickler, einfach nicht weggehen.
Trotzdem konnte ich einfach nicht anders als dem Wunsch, ja beinahe inneren Zwang, nachzugeben, dieses Spiel möglichst zur komplettieren. Und das — ja DAS hat vor Marvel’s Spider-Man noch kein einziges Open World Game geschafft!
Dabei ist bereits die erste Spielstunde ein regelrechter Downer. Nach der relativ spektakulären, linearen Eröffnung samt Niederstreckung von Spideys Erzwidersacher Wilson Fisk a.k.a. Kingpin wird man direkt in das komplett offene, von Beginn an frei begeh- bzw. -schwingbare New York entlassen… wo man als allererstes mit der stumpfsinnigsten aller stumpfen Open-World-Aufgaben begrüßt wird, die einem so einfallen können: Funktürme auf Polizeirevieren reparieren, um somit die neun Teilbereiche/Bezirke der Map von Manhattan freizulegen — auf der einem flugs viele weitere Icons für monotone, stumpfsinnige Sammelaufgaben entgegenleuchten. Während man so die nächsten drei bis vier Stunden von Turm zu Turm schwingt, triggert man unterwegs immer wieder kleinere Verbrechen in der Stadt, die es gewaltsam aufzuhalten gilt — in Form von stylishen Kloppereien mit dumpfen Schlägertypen, die es in feinster Batman-Kampfsystem-Manier auszuschalten gilt. Leider gingen mir persönlich diese Fights aber bereits bei Batman: Arkham Asylum angesichts ihrer Häufigkeit und Eintönigkeit wahnsinnig auf den Sack und konnten mir entsprechend auch bei Marvel’s Spider-Man innerhalb kürzester Zeit nur noch ein wütendes Schnauben entlocken. Schade nur, dass der überwältigende Großteil aller Quests darin besteht, möglichst viele Gegner nach immer gleichem Muster zu verwämsen.
Während man nun so von Turm zu Turm schwingt und diese aktiviert, legt man auf der Map also weitere Nebenziele und Sammelquests frei. So hat es der gute Peter Parker im Laufe der acht Jahre seit seiner Genese etwa geschafft, insgesamt 55 Rucksäcke mit persönlichem Kram in der Stadt zu vertüddeln, die es nun zu finden und einzusammeln gilt. Hinzu kommen desweiteren: 12 Tauben, die man für (seinen etwas zerlumpt wirkenden) Nachbarn fangen muss; 47 Sehenswürdigkeiten, die es zu fotografieren gilt (und 50 “geheime Foto-Locations”; oder 12 kleine Katzenfiguren, die Black Cat in der Stadt verstreut hat; sechs Fisk-Stützpunkte, die man von ihren Handlanger-Horden säubern muss; später gefolgt von fünf Dämonen-Lagern von Mr. Negative; vier Sträflingslagern, und vier Sable-Außenposten, die nach gleichem Muster angegangen werden wollen; sowie Herausforderungen des Taskmasters. Reicht Euch noch nicht? Na gut, dann hätten wir auch noch im Angebot: diverse “kleinere” Aufgaben in Form von 17 Osborne-Forschungstationen und die Minigames in Doctor Octavius’ Labor; noch und nöcher Firlefanz also, den es auf den bis zu 13 Einträgen langen Distriktabschluss-Prozentanzeige-Listen abzuklappern gilt; alles zumeist auf einem der Hausdächer in diesem Meer aus Stahl, Glas und Beton anzufinden.
Das ist alles weder neu, noch sonderlich originell, noch irgendwie spannend verpackt. Es ist, ganz im Gegenteil, sogar nachgerade ärgerlich, da keine dieser Aufgaben wirklich optional ist. Denn für jede Task, die man abhaken kann, bekommt man Tokens, die dringend nötig sind, um mit ihnen Anzug- und Gadget-Upgrades freizuschalten.
Auch das wäre noch vertretbar, wenn es nicht zu allem Überfluss auch noch unterschiedliche Tokens gäbe und jedes Upgrade eine bestimmte Anzahl verschiedener Tokens benötigte. So wird man praktisch gezwungen, all diese Nebenaufgaben minutiös abzuarbeiten. Selbst die, die einem bereits in Rekordzeit zum Halse heraushängen (Stichwort Taubensammeln oder Taskmaster-Challenges).
Nun werden aufmerksame Leser weiter oben vielleicht bereits kurz gestutzt haben. Die ersten drei bis vier Stunden geht das so? So lange muss man durch die Gegend schwingen und sinnlose Sammelaufgaben erledigen, ohne dass es mit der Story weiter, bzw. überhaupt losginge (der Fisk-Auftakt ist nämlich nichts, was ich in irgendeiner Form als Story-haltig beschreiben würde). Nein, muss man nicht. Theoretisch muss man nur zwei, drei Türme freischalten und maximal genauso viele Nebenaufgaben erledigen, ehe es weitergeht. Aber hier kommt nun das zum Tragen, was Marvel’s Spider-Man, trotz all seiner Beliebigkeit, doch zu etwas Besonderem macht: Denn irgendwie — und ich habe nicht die geringste Ahnung wie — hat Insomniac es geschafft, all den generischen Kladderadatsch so geschickt ineinanderzuweben, all die Versatzstücke und Zahnrädchen so gut ineinandergreifen zu lassen und mit einem einzigartigen Gefühl von Freiheit und so unglaublich smoothem Durch-die-Straßen-Schwingen zu verweben, dass es einem völlig egal ist, wie überflüssig und doof doch der Großteil der Aufgaben ist. Das ganze Spiel erzeugt so einen Flow, dass man vieles von dem, was man hier vor den Latz geknallt bekommt, nicht nur bereitwillig hinnimmt, sondern geradezu versessen darauf ist, alles zu erledigen, zu machen und zu tun, nur um den Fortschritts-Prozent-Counter stetig weitersteigen zu sehen. Ganz gleich, ob die eh schon dünn gestreute Story dabei immer weiter aus dem Fokus gerät oder nicht.
Das macht Marvel’s Spider-Man gleichzeitig zu einem wahnsinnig schlechten Spiel und doch zum besten Open World Game seit Anno Dunnemals.
Pascal: Nach dieser sehr ausführlichen Einleitung bin ich geneigt, dir zuzustimmen. Mit einer Ausnahme geht mir jedes Einzelteil von Marvel’s Spider-Man auf die Nerven. Gerade das von Batman: Arkham Asylum ‘inspirierte’ Kampfsystem finde ich so furchtbar, dass ich das Spiel meistens nach zwei, drei Kampfpassagen wieder schließe. Ist ja ohnehin bereits einmal zu oft kopiert worden, und Marvel’s Spider-Man hat dann meiner Meinung nach auch ein sehr schlechtes Treffer- und Ausweichsystem eingebaut, das dem eigentlich passablen Kampfsystem eine sehr ermüdende Qualität gibt. Eine der ersten Superkräfte, die man sich über die unterschiedlichen Anzüge Spider-Mans freischalten kann, ist eine Art Smartbomb, die Netze in alle Richtungen schießt und Gegner sofort kampfunfähig macht. Die habe ich die ersten 15 Stunden des Spiels über nicht hergegeben, weil mir jede Aktivierung fünf Minuten dröges Quadrattaste-Hauen erspart hat.
Aber um zurück der Ausnahme zu kommen: Das Schwingen! Noch nie war mir so egal, wie leer und einfallslos (denn das ist Spider-Mans New York) eine Spielwelt ist. Hauptsache, es stehen genug Hochhäuser da, an die ich meine Netze spinnen kann. So habe ich liebend gerne viele der Collectibles angesteuert, denn sie waren nur eine Ausrede, nochmal mit Höchstgeschwindigkeit zwischen den Häuserschluchten hindurch zu hangeln. Weil Spider-Man so schnell unterwegs ist und die ganze Vertikalität der Stadt ausnutzen kann, machen sogar Verfolgungsmissionen hier so richtig Spaß. Ich kann mich nur noch sehr dunkel an meine Zeit mit Spider-Man 2 auf der PS2 erinnern, weiß aber, dass ich die Bewegung dort ebenso geliebt habe.
SpielerZwei: Bevor ich Marvel’s Spider-Man das erste Mal startete, hatte ich schon überall im Netz mitbekommen, dass sich die einschlägige “Fachpresse” in ihren Vorab-Lobpreisungen regelrecht überschlug. Überall hagelte es “10 von 10”- bzw. “100%”-Wertungen. Als ich dann die ersten zwei bis drei Stunden mit dem Spiel hinter mir hatte, war ich, so ähnlich wie Christian, ziemlich unterwältigt. Marvel’s Spider-Man ist als das, was es ist, definitiv sehr kompetent und poliert umgesetzt worden, keine Frage. Aber mal ehrlich, ich habe dieses Spiel im Grunde genommen in den letzten zehn Jahren schon x-mal gespielt. Nur dass es da eben Arkham Irgendwas, Prototype, inFamous oder Saints Row hieß. Ich bin wirklich der Letzte, der ein echt gutes Spiel nur dafür abstraft, dass es spielmechanisch das Rad nicht neu erfindet. Das erwarte ich heutzutage von einem Spiel auch überhaupt nicht mehr. Um es abzufeiern, muss es dann aber andere herausragende Qualitäten haben, die mich packen. God of War war dieses Jahr zum Beispiel so ein Kandidat: In Sachen Spielmechanik nichts richtig Neues, aber dafür eine tolle Welt, interessante Charaktere und eine großartige Inszenierung. Spider-Man hat für mich dahingehend aber nichts wirklich Packendes zu bieten. Hier spielt sich zwar alles auf handwerklich hohem Niveau ab und ich habe auch an keinem Teilaspekt wirklich etwas zu meckern, aber leider hat mich auch nichts davon wirklich beeindruckt. Es ist halt richtig gut, ohne wirklich super zu sein. Wenn man solche Open-World-Superhelden-Brawler mag, dann ist Spider-Man natürlich ein absoluter Pflichttitel, aber eine Offenbarung sollte man trotzdem nicht erwarten.
Mir hat das Durchspielen trotz der anfänglichen Ernüchterung auch wirklich Spaß gemacht! Ich mochte Spider-Man mit seinen frechen Sprüchen schon als Koten recht gern und finde die im Vergleich zu beispielsweise Batman viel hellere und heitere Inszenierung im aktuellen Spiel auch wirklich gelungen. Das “Marvel-Manhattan” ist auch gut umgesetzt worden, auch wenn es weniger Interaktionsmöglichkeiten bietet als manch andere vergleichbare Spiele. Marvel-Fans finden nicht nur offensichtliche Landmarken wie das Avengers-Gebäude oder OSCORP wieder, sondern können auch mal bei Jessica Jones’ Detektei oder der Anwaltskanzlei von Matt Murdock/Daredevil vorbeischauen. Mehr als Sightseeing ist zwar nicht drin, aber für MCU-Kundige ist das trotzdem cool. Ebenfalls positiv finde ich, dass uns Insomniac Games eine Origin-Story erspart, obwohl ihr Spider-Man sein eigener Spider-Man ist, weil er sich weder an vorhergehende Spiele, noch an die Filme anlehnt. Am Ende ist die Geschichte dann aber doch nur ein Vehikel, um so viele von Spideys Erzfinden wie möglich unterzubringen und nebenbei auch irgendwie noch die ganzen Nebenaufgaben inhaltlich zu rechtfertigen. Die Story erfüllt ihren Zweck, aber man wird sich kaum mit Freunden groß darüber unterhalten…
Nochmal kurz zu Pascals Kritikpunkten: Das Kampfsystem ist dem aus den Batman Arkham-Spielen sehr ähnlich. Das beinhaltet auch, dass man im Laufe des Spiels nach und nach mit immer mehr Tasten-Combos überschüttet wird, von denen man 90% niemals benutzen wird, weil bei den allermeisten Gegnern Button-Mashing vollkommen ausreicht. Trotzdem hat man (auch zusammen mit den Gadgets) reichlich Optionen, wenn ein Kampf mal nicht auf Anhieb mit “Quadrat-Kloppen” gelingen will. Das muss man nicht toll finden, aber es funktioniert tadellos. Und die anderen Mechaniken neben dem Kampf- und Schwingsystem fand ich eigentlich auch alle ok. Gerade die “Wissenschafts-Puzzles” lockern das Spiel angenehm auf und nerven deutlich weniger als in anderen Spielen. Und sooo komplett leer, wie alle sagen, ist die Welt dann ja doch nicht. Man übersieht nur viel, weil das Herumschwingen zwischen den Wolkenkratzern so cool ist. Ich habe z.B. erst nach mehreren Stunden durch Zufall bemerkt, dass man mit einigen Passanten auf der Straße interagieren kann (z.B. Selfies mit Fans knipsen oder Abklatschen) oder an den Zeitungsständern immer andere Schlagzeilen zu lesen sind…
Molo: SpielerZwei, mir ist in Deiner Ausführung ein Wort unklar. “Koten”? Wahrscheinlich “Comic”, oder?
Christian: Ich glaube Koten ist ein anderes Wort für Bengel, Stöpsel, Stift oder kleiner Junge.
SpielerZwei: Genau.
Molo: Ihr kennt Wörter! *Ehrfurcht-Emoji*
Pascal: Eigentlich hast du ja recht, SpielerZwei, ich kann keinen Aspekt von Marvel’s Spider-Man, der mir nicht gefällt, dem Spiel wirklich zum Vorwurf machen. Es ist halt doch ein rundes Paket, das vor allem dann so richtig Spaß macht, wie Christian es spielt — kurz die Konsole an, 17 von 236 Collectibles anschwingen, Konsole wieder aus. Grade das gelegentliche Auftauchen von Orten aus dem Marvel-Netflix-Universum, dass ich ja doch ganz gern habe, waren mir dann doch noch einen zweiten Besuch wert. Bei mir setzt nun die Altersmüdigkeit ein, über die ihr schon wieder weg seid, denn wie ich schon bei Destiny und Moonlighter festgestellt habe, kann ich mich für ‘More of the Same’ einfach nicht mehr begeistern. Selbst, wenn das eigentlich mehr von etwas Gutem ist. Apropos Alter: Eine Innovation muss ich Insomniac und Marvel dann allerdings auch wirklich lassen: dass Peter Parker ein junger Superheld ist, kommt in Marvel’s Spider-Man dank Selfies, Mittzwanziger-Existenzangst und peinlichem Frittenessen mit der Ex super rüber. Und das spricht mich als Teamküken und Mittzwanziger dann doch sehr an.
Molo: Wie ich’s auch dreh und wende, unterm Strich hatte ich mit dem Spiel ziemlich viel Spaß (Platin abgeschlossen, und warum wird der mittelschwere Skandal totgeschwiegen, dass man gar nicht ALLES bis auf’s Maximum ausreizen muss, um Platin zu ergattern, hmmm?!). Sehr oft habe ich gehört, wie jemand in den deutschen und englischsprachigen Reklame-, Beschreibungs-, Besprechungs- und Kritik-Echokammern begeistert ausrief: “Mit Liebe gemacht!”, und dem kann ich, was wesentliche Aspekte von Marvel’s Spider-Man angeht, zustimmen: die Titelseiten des Daily Bugle und die Radiosendungen mit J. Jonah Jameson; die Mitzekatzen-Cartoons an jedem Ausspähposten von Black Cat; die Masse an Vernetzungen zum Marvel Universe, zu einem Großteil offen touristisch inszeniert als Sehenswürdigkeiten zum Fotografieren; die Interaktionen mit Leuz auf der Straße (High-Fiven bringt sogar 5 Erfahrungspunkte!); im Foto-Modus an Schaufensterauslagen, Magazin-Cover (ach, scheiß drauf) überhaupt an alle Texte auf Schildern, Plakaten, Bildschirmen, Verpackungen usw. rann-zoomen und lesen. Mit Liebe gemacht, indeed! (Sollte es als Gütesiegelaufkleber geben, verliehen vom Rat der Sozial-Gerechtigkeits-Liebes-Krieger.) Meinem Eindruck nach wird aber viel zu wenig über Seltsamkeiten gesprochen, die — je nach Sichtweise — auch als Macken und Übel verbucht werden könnten. Am wichtigsten vielleicht die ungewöhnliche Geschicklichkeitsanforderungsschwelle bei Fortbewegung und Kampf.
Klar, man KANN Hauptstory und dafür nötige Ausrüstungsverbesserung auf logger-floggisch erspielen. Wild immer die gleichen, wenigen Knöpfe & Tasten drücken führt auf mittlerer Schwierigkeit schon irgendwie ans Ziel, sicherlich gelegentlich holprig und mittels uneleganter, je länger man spielt potentiell immer langweiligeren Hau-Ruck-Methoden, aber man kommt lässig durch. Allerdings sind die vielen kleineren Gruppenprügelgelegenheiten lediglich auf schwierigster Stufe halbwegs herausfordernd, und nur wer die Bonus-Kriterien von Nebenmissionen — erledige 5 Gegner mit lauwarmen Kaffee; staple 10 Kanaldeckel übereinander — erfüllen, oder (ganz schlimm) die Taskmasker-Challenges — Bomben entschärfen, Drohnen nachhetzen, Schleich-Meuchel- und Massenprügelei-Kämpfe — auf Gold abschließen will, wird merken, wie fitzelig-heikel es ist, bei Marvel’s Spider-Man Raumüberwindung über große Strecken mit höchstmöglicher Geschwindigkeit und Präzision, oder Rangeleien von hoher Gegneranzahl und Varianz ohne Schaden zu nehmen, mit massig Kombo-Bonus und ner ratz-fatz Zeit zu meistern. Immer wieder wird einem schlicht kein Punkt angeboten, um die gewünschte bzw. zwingend notwendige Web-unterstütze Akrobatik auszuführen, oder Bewegungs-Steuerung und Animations-Magnetismen kommen einander ins Gehege (es ist deshalb z.B. keine gute Idee in der Nähe von Wänden Gegner mit einem “Vierecktaste-halten”-Kinnaufwärtshaken-Schlag in die Höhe zu katapultieren, um ihnen dann aufwärts hinterher hüpfen zu wollen, weil Spidy dazu neigt, statt weiter auf den Gegner einzudreschen, an die Wand zu springen, mit einer Pose — auf allen Vieren — aus der heraus kein direkter Angriff auf irgendwas möglich ist).
Und selbst wo’s nicht um’s Knirschen zwischen Gameplay und eigenem Geschick geht, verlangt souveräneres Beherrschen des Kämpfens, sich ziemlich viel zur Gegner-Typologie einzuprägen, z.B. mit welchem Counter man bestimmten Widersachern Herr wird (Nudelholz-Johnny wird NUR durch Zusammenbinden seiner Schuhbänder kurzfristig verwundbar, ansonsten kann man ihn nicht überrumpeln). Solche Feinheiten, die auf Vielfalt an Gegnertypen beruhen, dürften in meinen Augen eigentlich als famose Stärke eines Spieles trumpfen, aber ich kreide sie hier so halb als Ärgernis an, weil es — überraschenderweise — keine Gegner-Galerie gibt.
Der zweite große Makel an Marvel’s Spider-Man, der imho mit zu großer Zurückhaltung beklagt wird: die Bosskämpfe sind fast durch die Bank alle Schrott. Wer kennt sie auch, diese Frustration wegen mit aufgeblähtem Pomp inszenierten Melangen aus unübersichtlichem Wirr-Warr (Ja wohin denn jetzt? Was soll ich nu tun?) und stumpfer Eintönigkeit (Ich hab ⅓ des Endkampfes gegen Doc Ock einhändig — abwechselnd zwei Knöpfe drücken — gespielt UND dabei ‘ne Stulle gegessen)? Solch Schwachmatik ist sehr, sehr schade, denn ansonsten funktioniert der Freizeitpark-Achterbahn- und Cinema-Charme des Spiels für ‘nen gemäßigt Spider-Man- und Marvel-Universe-Begeisterten wie mich tatsächlich erfreulich gut. Passend dazu habe ich auch oft vernommen, dass DIESER Peter Parker, Doctor Octavius, Norman Osborne ect pp ff die bisher beste Darstellung der genannten Figur ist. Was ich ganz gut nachvollziehen kann, denn z.B Tragöde/Bösewicht Martin Lee/Mr. Negative war mir bisher komplett unbekannt und ihm nachzuspüren und ihn zu stellen war als Erzählung (für so Superhelden-Blödsinn) schon doll. Auch die Romanze mit Mary Jane, die Beziehung zu Aunt May und ihrem Engagement für Obdachlose, oder zu dem Polizisten Jefferson Davis und seiner Familie sind überdurchschnittlich effektiv runtergeschnurrt — es spielt sich halt nicht immer so.
SpielerZwei: Bezüglich der Boss-Kämpfe muss ich Molo beipflichten: Da hat man leider zu viel Wert auf die coole, filmreife Inszenierung gelegt und dabei ganz vergessen, dass das Ganze vielleicht auch ein spielerischer Höhepunkt sein sollte. Leider sind die Begegnungen mit Spideys Erzfeinden im Spiel überwiegend hektische und unübersichtliche “WTF?”-Orgien geworden, die eher Ärgernise, denn Höhepunkte darstellen. Und ja, so cool und locker-flockig man sich durch Manhattan schwingen kann, so unpräzise ist die ganze Fortbewegung, wenn es wirklich mal darauf ankommt.
Und wo wir gerade beim Meckern sind: Marvel’s Spider-Man enthält ein paar kleinere technische Schnitzer, die nicht wirklich schlimm sind, aber bei einem AAA-Titel trotzdem nicht durch die Qualitätssicherung schlüpfen sollten. Beispielhaft ist da die deutsche Synchro zu nennen, die für meinen Geschmack insgesamt nur ok ist. Außerdem ist sie in Bezug auf die NPCs nur unvollständig erfolgt, wodurch man beim Bad in der Menge von den Passanten sowohl auf Deutsch, als auch auf Englisch angelabert wird. Zudem ist es mir das eine oder andere Mal auch passiert, dass ich aufgrund von Clipping-Fehlern in Zelten oder Räumen gefangen war, die man eigentlich gar nicht hätte betreten sollen. — Das ist, wie schon gesagt, selbstverständlich alles Erbsenzählerei, aber gerade bei einem derartigen Hochglanztitel durchaus erwähnenswert.
Molo: Musste das von SpielerZwei gemeldete Grauen der halbfertigen deutschen Synchro gleich mal selbst bestaunen. Alter!!!
Die schlimmste von der Qualitätssicherung übersehene Delle hab ich (natürlich!) beim Boss-Kampf mit Vulture und Electro erlebt. Für einen Moment verlor ich im Gewitter-, Strom- und QTE-Icon-Geblitze vor lauter Stress-Hektik-Fusspilz die Orientierung und “Dank” der Grundcharakteristik der Kämpfe (noch dazu wenn, wie hier, in der Luft), flugs große Raumstrecken überwinden zu können, begann plötzlich ohne Unterlass ein Warn-Dialogkasten aufzupoppen, sinngemäß: “Sie verlassen das Missions-Gebiet! Möchten Sie vom letzten Checkpoint neu starten, oder nicht?” — Klickt man: “Nein”, zuckt Spidy ‘nen Sekundenbruchteil, und besagtes Dialog-Fenster poppt erneut auf. — Derartig penetrante Dauer-Warnmeldungs-Schleifen, die Bewegungsanimation zu verharrendem Ruckeln verdammen, kenn ich sonst nur von mies aufgesetzten Windows-PCs.
Christian: Oh ja, die Boss-Kämpfe. Leider wirklich kein herausstechendes Highlight. Besonders ärgerlich fand ich ja, dass die Sinister Six dabei so uninspiriert verheizt wurden. Gegen Electro kämpft man gleich mehrmals in immer gleicher, langweiliger Manier, während andere Köpfe der Truppe eigentlich überhaupt keinen Raum bekommen, um einzeln zu “glänzen” und sogar einfach nebenher in Doppel-Boss-Fights mit erledigt werden. Und dann besetzt man den Synchronsprecher-Job für den Vulture mit “Howling Mad Murdock” a.k.a. Dwight Schultz — nur um ihn praktisch zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Sehr schade!
Pascal: Ach, mich haben die Bosskämpfe nicht groß gestört. Ehrlich gesagt weniger als die ewig schäbigen Basen und Verbrechen, weil’s eben doch das gleiche ist, nur mit ein wenig Politur drauf. Zig Gegnerwellen und ein Dicker in der Mitte, den ich wahlweise einspinnen oder bewerfen muss? Dann soll der Dicke wenigstens schön glänzen.
Christian: Aber Jungs, um das mal alles auf den Punkt zu bringen: wie lautet denn nun Euer abschließendes Urteil zu/über Marvel’s Spider-Man? Mich reißt es ja nach wie vor hin und her — und wenn ich dem Dingen eine Spielspaß-Prozentpunktezahl-Gullideckel-Gamestar-Wertung geben müsste (was wir bei Polyneux glücklicherweise verteufeln wie der Papst das Rudelbumsen), wüsste ich nicht, ob ich mich zwischen einer 3/10 als Strafe für all den Quatsch oder 9/10 als Dank für ein Spiel, das trotzdem so viel Spaß macht, entscheiden sollte.
Pascal: Ich bin jetzt 20 Stunden drin, der Reiz des Schwingens ist abgeklungen und ich weiß echt nicht mehr, ob ich noch Zeit mit Marvel’s Spider-Man verplempern soll. Zwischen der spielerischen Wiederholung, den zigtausend Sammelobjekten und den langweiligen Missionen ist Peters jugendlicher witty banter, meistens mit sich selbst, mittlerweile mein einziger Lichtblick. Ich höre ihm, Mary Jane, Aunt May und Mister “Wer hätte gedacht, dass ich Böse bin” Lee tatsächlich echt gerne zu, und das Spiel hat mich immerhin schon dazu gebracht, den 2012er Amazing Spider-Man-Film zu gucken und mit dem ein oder anderen Comic zu liebäugeln. Spielerisch hat mir Spidey vor allem Lust gemacht, mir mal ein, zwei andere offene Welten mit netten Traversal-Optionen anzugucken. Schlagt ihr mich, wenn ich jetzt InFamous: Second Son und irgendein Saints Row: Gat Out of Hell installiere?
Molo: Guck’ bei Netflix Ultimate Spider-Man: Web Warriors, bzw. Ultimate Spider-Man: Sinister Six.
Und: ich bin ein Open World-Lutscher!
Second Son ist toffte (hör nicht auf die Blassierten & die Hater).
Christian: Von dem Web Warriors-Ding hab ich neulich die ersten vier Folgen geschaut.
Was für ein Mumpitz, ey.
Molo: VOLL!!!
Christian: Comicmäßig empfehle ich die vier Spider-Man: Miles Morales-Bände von Panini. Sind ein schöner Einstieg. Aber mal was anderes: woher weißt Du denn, wie lange Du schon spielst? Stoppst Du mit oder bin ich nur zu blöd den Timer zu finden?
Pascal: Ist nur grob überschlagen aus soundso oft drei Stunden am Abend gespielt und sowas.
SpielerZwei: Ich würde niemandem davon abraten, sich Marvel’s Spider-Man zuzulegen…
Christian: Ist jetzt wahrscheinlich eh zu spät… ;-)
SpielerZwei: …es ist ein grundsolider Triple-A-Titel und man bekommt für sein Geld auch in jeder Hinsicht etwas geboten. Andererseits vermag das Spiel aber auch in keinem Bereich wirklich zu glänzen. Da bleibt am Ende nichts zurück, woran man sich lange erinnern würde. Nichts, worüber man mit Freunden diskutieren könnte. Nichts, was irgendjemand irgendwann mal referenzieren würde. Wenn Marvel’s Spider-Man ein Auto wäre, wäre es definitiv ein Golf…
Molo: Aua! — Meckern macht uns allen Spaß, ist aber bei Marvel’s Spider-Man wohl gar nicht sooo angebracht. Immerhin gelingt es Marvel wiederum sich in einem neuen Medien-Segment blendend für weitere Vorhaben aufzustellen. Das Kerngeschäft erledigt es kurzweilig solide und präsentiert’s überwiegend mit bemerkenswerter handwerklicher Politur: sich mächtig und clever fühlen beim Herumdoofen als Spider-Man, für ein möglichst großes Publikum, also zur Not deppensicher und familientauglich — und BTW: FALLS es weitere Titel eines “MIEU” (Marvel’s Interactive Entertainment Universe) geben wird, dann bitte bitte bitte eher früher als später den Ant-Man oder den Doctor Strange bringen, schlicht, weil deren Superhelden-Milieus und -Kräfte meiner Einschätzung nach die lohnendsten Anregungen für Kreativitäts- und Innovations-Entwicklungen eines AAA-Titels freizusetzten vermögen.
Trotz der knarzenden und teilweise wirren Handhabung, die sich aus der krass-weiten Spreizung zwischen größtmöglicher Zugänglichkeit für lässiges Gameplay und Gelegenheit zum Ausreizen anspruchsvoller Spielweisen ergeben, ist Insomniac eine lobenswert gute Superhelden-, insbesondere Spider-Man-Umsetzung gelungen. — Ich geselle mich da gern zu Pascal: Flair von Spidy ist doll, WENN man reinkippen kann. Positiv, optimistisch, verantwortungsvoll, willensstark, aber auch vorlaut (wer so kindhafte Kalauer mag, kann kein ganz schlechter Kerl sein), unbedacht, tollpatschig, bisweilen treu-doof (Hundeblick … aaaah), womöglich der mainstreamigste, populärste Softcore-Posterboy des grazil-triumphal inszenierten, jugendlichen Männerkörpers (manchmal ist schon das offizielle Artwork der Spider-Man-Marke nur ein, zwei Detailschattierungen von handfester Knaben-Erotica entfernt … ich trau mich gar nicht, nach Spidy-Fanart, bzw. -FanFic zu Duck-Duck-Goen).
Das einzige, was mich immer wieder hinderte, vollends geschmeidig dem Flow des Spieles zu folgen, ist — wie auch bei vielen anderen Marvel-Werken, die erst seit ihren Netflix-Serien anhuben, die eher blasse und charakterlose pragmatisch-“meh”-Qualität ihrer Soundtracks zu überwinden —: die musikalische Grundierung. Gibt da nix zu kritteln, was handwerkliche Güte (z.B. mannigfaltige dynamische Anpassung der Musik an Aktion/Situation des Spielers) angeht, aber ich verstehe die künstlerische Design-Entscheidung nicht, warum die Musik oftmals schneller als man “I <3 N.Y.” tippen kann ins Orchestral-Militärische abdriftet. Ich mein’: so geil die Modell stehenden Scores von Danny Elfman sind, funktionieren die eben nur perfekt für die Filme mit ihrem nostalgisch-düsteren Opern-Rummelplatz-Flair (… superluxus Puppentheater mit Franz Liszt-Tschingdarassa-Bumm). Die allgegenwärtige Soundtrack-Musik bei Marvel’s Spider-Man suggeriert — bei MIR zumindest —, dass sie zu einem Gutteil direkt das Sein des Protagonisten, hier also Spidy/Peter Parker, widerspiegelt. Und da komm ich nicht mehr mit. Bei Batman: Arkham Asylum & Co hat Pi-mal-Daumen vergleichbarer orchestral-martialischer Düster-Wumms gepasst wie Faust auf’s Aug’, weil ich mir durchaus vorstellen kann, dass Bruce Wayne/Batsy bei seinem Tun und Lassen als innere Gemütsmusik genau so Zeugs hört. Auch die beiden Deadpool-Filme zeigen aktuell, wie man (selbst bei völlig überdrehtem Irrwitz) brilliant pointiert Filmmusik und ausgesuchte Songs zur Charakter-Zeichnung einsetzen kann.
Aber ich drifte ab in empfindsam-esoterische Gefilde spiel-ästhetischer Verköstigung.
*Guckt verlegen auf Zehenspitzen …*
Vielleicht mehr davon, wenn ich das DLC-Tripple von The City That Never Sleeps durch hab. Nummero Uno, The Heist, ist gezogen. Könnte als Wertung, wie gut ich das Hauptspiel fand, reichen.
Bis dahin, im Namen von uns Vieren: Sßank yjou färrie madsch!
2 Kommentare
Hach, wie schön :)
Mehr und weniger kann man zu Spider-Man wohl nicht mehr sagen – macht Lust darauf, es in 2 Jahren im sale nachzuholen.
Auch wenn einige von euch dem mit knirschenden Zähnen zusehen, ich kann damit gut leben, euch zum Audioblog verkommen zu sehen – zumindest so ein polytalk käme als Podcast gut. Bei Solo-Texten bleibe das dahingestellt ;)
Hmm; einerseits verlockend, das „macht‘s kurz“ mal ernsthaft in einem Podcast-Talk zu einem einzigen Spiel zu verwursten. Andererseits mag ich das geschriebene Format – und wir würden eh wieder links und rechts abbiegen und auf die anderen tausend Teile einer Reihe eingehen und Vergleiche zu ganz anderen Spielen lang und breit diskutieren und sowieso und überhaupt. Da mag ich das zwar längliche, aber doch fokussierte Polytalk-Format dann doch ganz gerne. ;)