Es gibt diese Momente, da fragt man sich wirklich, wozu diese Messe eigentlich noch gut ist. Klar, die gibt es immer – und die Stimmen der Kritiker, die gar nicht erst hingehen wollen, weil ihnen das alles zu laut und trubelig und sowieso irgendwie zu doof ist, verstummen nie. Doch selbst wenn man sich aufgerafft hat, der gamescom nach fünf Jahren Abwesenheit mal wieder einen Besuch abzustatten, wird man – sprich: ich – permanent von dem einen Gedanken geplagt, der nie so ganz verstummen will: Wozu ist die gamescom im Jahr 2019 eigentlich noch gut? Beziehungsweise: Was genau will die KoelnMesse, wollen die Publisher, mit dieser Messe eigentlich erreichen?
Oder noch anders gefragt: Was soll das alles?
Architektonischer Einheitsbrei und wenige bauliche Highlights
Die Zeiten des großen bunten Spielplatzes, auf dem sich die großen Publisher in oftmals höchst kreativer Weise mit originellen und fantasievollen Ständen präsentierten, welche die Besucher von Beginn an in die Atmosphäre der jeweiligen Spielwelten eintauchen lassen sollten, sind vorbei. Wo einst architektonisch beeindruckender Bombast regierte, erwartet die Besucher (nicht erst) in diesem Jahr weitgehende Tristesse.
Statt liebevoll ausgestalteter Spielstationen in eigenen Lebenswelten, gibt es klotzige Großbauten, die sich weitgehend auf Rückwände beschränken und möglichst großflächig mit Grafikprints bekleistert sind – viva la Fernwirkung! – ansonsten aber so seelen-, lieb- und lustlos wirken, wie das Gesicht von Jon Favreau beim Abdrehen einer weiteren Disney-Einheitsbreiproduktion. Triste Reihen von Monitoren ohne jegliche Deko oder auch nur den Anschein von Mühen, das jeweilige Areal wenigstens ein bisschen aufzuhübschen, regieren das Messebild. Das geht stellenweise so weit, dass man die Stände von Electronic Arts und SquareEnix kaum auseinanderhalten könnte, wären eben nicht die großflächigen Grafiken. Wer nicht weiß, bei wem die Rechte am Final Fantasy VII Remake oder für Need for Speed: Heat liegen, könnte glatt durcheinander kommen.
Und insbesondere der PlayStation-Stand, einst Leuchtturm- und Vorzeigeprojekt der kreativ-verrückten Spielstationen (Disclaimer: ja, ich war mal Teil des Kreativteams für den Sony-Auftritt), wirkt dieser Tage eher wie die blau gepinselten Ruinen des Schürmann-Baus. Wo PlayStation dereinst auf all seinen vier Flächen Anspielstationen und Konsolen bis zum Maximum präsentierte und die Bühne eine Randerscheinung zur Bespaßung der wartenden Menge war, finden sich heute nur noch auf zwei der Flächen überhaupt Games, präsentiert in lieblosen Kastenbauten. Während die Bühne ein Viertel des Standes für sich beansprucht, dient ein weiteres Viertel als sonst nicht weiter zu identifizierende Chill-Out(???)-Zone, in der sich sage und schreibe drei (3!) Tischkicker und ein paar aus Baugerüst zusammengezimmerte Grafik-Stellwände finden. Dagegen ist Microsofts Xbox-Stand ein regelrechter Hingucker in seiner recht edlen schwarz-grünen Optik und seinen (wenigstens in Ansätzen) liebevoll ausdekorierten Räumen im hinteren Bereich. Doch es gibt sie noch, die positiven Beispiele für gelungene, originelle Messebau-Architektur.
Wargaming beispielsweise überrascht mit einem halben U-Boot, auf dessen Deck Spielstationen installiert sind, Bethesda spendiert seinem kommenden Shooter-Hit Doom Eternal einen maximal offenen (trotz 18er-Ratings) und stimmungsvoll inszenierten Stand und THQ Nordic lässt voller Freude das Flair scheinbar längst vergangener Tage wieder aufleben, indem es jedem seiner Spiele einen eigens zum jeweiligen Game-Setting passend gestalteten Bereich spendierte, der die Atmosphäre der entsprechenden Spiele perfekt abbildet. Großes Highlight: das 50er-Jahre-Diner für Destroy all Humans!. Und selbst Facebook, die man ja sonst mittlerweile für grundsätzlich gar nichts mehr loben will, weiß, wie man mit eigentlich einfachen Mitteln einen ansprechenden und geradezu stylishen Messestand baut bzw. bauen lässt.
Ansonsten gilt: Mehr Platz für Warteschlangen und weniger Platz für kreative Gestaltung dominieren das Gesamtbild.
Neuigkeiten? Fehlanzeige.
Standarchitektur und Gestaltung sind aber natürlich nicht alles. Es zählen ja auch die inneren Werte. Sprich: die Spiele selbst. Hier offenbart sich immer stärker der grundsätzliche Wandel in der Produktkommunikation insbesondere der größeren Publisher. Echte Neuheiten muss man mit der Lupe suchen. Denn zum Einen war die gamescom nie wirklich ein Ort für große Neuankündigungen und Weltpremieren und zum Anderen sind längst andere Kanäle und Plattformen wichtiger für die PR-Strategien, als Spielemessen. Online rules! Was nicht offiziell in Streams der Publisher und separaten Presse- und Influencer-Events enthüllt wird, rutscht als (machen wir uns nichts vor: gezielt gestreute) “Leaks” in die Welt und sorgt für Furore.
Dass ein Cyberpunk 2077 überhaupt auf der gamescom präsent ist, wirkt angesichts des PR-, Berichterstattungs- und Leak-Dauerfeuers, das auf allen Kanälen auf uns einprasselt, eher wie ein Witz – der entsprechend von dem Umstand gekrönt wird, dass Entwickler CD Project Red für den gemeinen Pöbel nicht mehr im Gepäck hat, als ein knapp 40minütiges Gameplay-Video, das man exakt so bereits der versammelten Journaille hinter verschlossenen Türen auf der diesjährigen Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles präsentiert hat. Vor über drei Monaten!
Da überrascht es umso mehr, dass ein Konzern wie Nintendo, der sich mittlerweile zur Ankündigung von Spieleneuheiten völlig auf die eigenen “Nintendo Direct” genannten Livestreams verlegt hat, überhaupt noch mit einem physischen Auftritt auf der gamescom präsent ist. In diesem Jahr sogar gefühlt wieder deutlich größer und aufwändiger gestaltet als noch ca. 2013. News gibt es auch hier natürlich nicht. Immerhin bleibt den Fans die Möglichkeit, auch mal Probe zu spielen – ganz im Gegensatz zu Cyberpunk 2077.
Insgesamt scheint die Anzahl der präsentierten Titel über alle Publisher hinweg in diesem Jahr besonders gering. Das dürfte allerdings eher auf den im nächsten Jahr bevorstehenden Generationswechsel von Microsofts und Sonys Konsolen zurückzuführen sein. Die verbleibenden, kommenden Highlights für PS4 und Xbox One sind rar gesät, während im Hintergrund vieles bereits eher für die PlayStation 5 und die kommende Xbox entwickelt werden dürfte. Sicherlich wird es da noch so manche Ankündigung geben, die dann doch noch für die alte Konsolengeneration mitentwickelt wird – doch damit will man sich ja nun auch nicht den langsam anrollenden Hype für die neue Hardware kaputt machen.
Entsprechend dürftig war dann auch der Reigen an News, für den man eigens die Opening Night Live (ONL) am Montagabend, sozusagen als Ersatz für die einzelnen Pressekonferenzen der Publisher, ins Leben gerufen hat… die vermutlich auch nur dank der exzellenten Verbindungen von Host Geoff Keighley in die Branche zustande gekommen sein dürfte.
Und so bleibt das Gros der wirklichen Neuankündigungen und Neuerscheinungen an den Indie-Entwicklern, den kleinen und kleinsten Studios, hängen, die in diesem Jahr immerhin besonders zahlreich präsent sind und erstmalig gleich eine ganze Halle für sich belegen.
Mit den Budgets der Großen können die natürlich nicht mithalten, doch das macht nichts. So bekommen die Indie Booth Arena und das neue Indie Village einen charmanten Do-It-Yourself-Charakter, der sämtliche Hürden zwischen Entwicklern und Besuchern niederreißt. Hier kommt man noch mit den Game-Designern persönlich ins Gespräch und kann sich von ihnen höchstselbst durch die Spiele führen lassen, wenn man denn will. Für die großen Publisher und Stände natürlich undenkbar.
Wem nutzt die gamescom?
Doch zurück zur Ausgangsfrage: was soll mit der gamescom erreicht werden, wenn die Zahl an attraktiven, spielbaren High-Budget-Titeln zurückgeht und die spielbaren Neuigkeiten aus dem Indie-Bereich jeweils nur an einzelnen Rechnern/Konsolen spielbar sind? Und wenn diese am Interesse des Mainstream-Publikums zumeist sowieso gänzlich vorbeifliegen? Wenn zugleich jährlich ein immer neuer Besucherrekord (in diesem Jahr wohl angepeilt zwischen 400.000 und 450.000 Besucher) eingestellt werden soll, obgleich bereits vor Jahren die Kapazitäten der Messestände bei gerade einmal 300.000 Gästen deutlich gesprengt wurden – und am Wochenende der Zugang zur Messe bereits stundenlang vollständig gesperrt werden musste, angesichts des drohenden Kollapses?
Die Antwort der Verantwortlichen scheint zu sein: Ist uns egal, Hauptsache wir…
- …können beim Bau der Stände weiter einsparen – und trotzdem neue Besucherrekorde aufstellen.
- …müssen nichts Neues zeigen, denn dazu sind wir nicht bereit.
- …können die eingesparten Spielstationen durch große Bühnenbereiche kompensieren, in denen wir das Volk lautstark von “Influencern”, also vorrangig Let’s Playern bespaßen lassen.
Denn die stehlen den Spielen mittlerweile zu einem guten Teil die Show. Der Erfolg scheint den Machern recht zu geben, denn immerhin strömen die Scharen immer noch in Rekordzahlen nach Köln, um wenigstens einen kurzen Blick auf Menschen zu erhaschen, denen sie sonst im Internet dabei zuschauen, wie sie die gleichen Games spielen, wie sie selbst. Was das über den Zustand der Gamesbranche im Allgemeinen oder den Stellenwert, den eine Consumermesse in Deutschland für die Publisher hat, aussagt, mag jeder gerne für sich interpretieren.
Die einzigen, die für eine Woche im August wirklich von dem Trubel in Köln zu profitieren scheinen, sind all die professionellen “Journalismus”-Angebote, die großen Spieleportale, die sich nicht zu schade sind, sich tagtäglich mit Clickbait zu vermeintlich “exklusiven” Einblicken und News zu überbieten. Und natürlich die Messe selbst, welche die jährlichen Mehreinnahmen durch zehntausende mehr verkaufte Tickets sicher gerne mitnimmt. Auch wenn dafür Standflächen immer weiter reduziert werden müssen, um Platz für mehr Warteschlangen zu schaffen.
Interessant wäre am Ende vor allen Dingen, welchen Stellenwert die Business-Area, die als abgetrennter Bereich seit jeher eine eigene Halle für sich vereinnahmt, insbesondere für den stationären Handel und für das Geschäftemachen zwischen Publishern und Partnern noch hat.
Ansonsten könnte man glatt konstatieren:
gamescom? Das kann weg.
12 Kommentare
Ui, da rechnet jemand ab… Da ich mich dieses Jahr zum ersten Mal in den Trubel gestürzt habe, habe ich natürlich keinen Vergleich, muss aber sagen, dass mir die meisten Hallen auch wenig zugesagt haben. Sehr unpersönlich, sehr laut, Youtuber-Hype usw.
Die Indie-Halle fand ich hingegen prima, da wäre ich gerne länger geblieben, was mein Zeitbudget allerdings nicht hergab: ich war “eigentlich” nur zum Congress gekommen.
Den fand ich allerdings in weiten Teilen lohnenswert und werde in den kommenden Tagen dazu auch noch auf meinem Blog “Tiefengaming” berichten….
Nee, abrechnen kann man das nicht wirklich nennen. Wir stehen hier der Veranstaltung schon seit Jahren eher kritisch gegenüber. Und wenn man, wie ich, die ersten 4 oder 5 gamescoms mitgemacht hat und dann mit etwas Abstand wieder drüber geht, kommt man nicht umhin festzustellen, dass sich schon einiges gewandelt hat.
Die Indie-Halle ist wirklich das Highlight in einem sonst sehr highlight-armen Umfeld, ja.
Ich meinte das auch gar nicht so negativ, wie es klang mit dem “Abrechnen”. Wie schon geschrieben, habe ich ja den Vergleich nicht, aber habe eine grobe Vorstellung, was sich verändert haben mag….
Also freuen wir uns zumindest an der Indie-Halle (und ich am Congress, den fand ich wirklich interessant)… :)
Den Congress stelle ich mir – zusammen mit der Indiehalle – auch als gut funktionierende Einzelveranstaltung vor. Könnte man eigentlich auch gut aus dem restlichen Messekram herauslösen.
Ja! Ich werde es nächstes Jahr definitiv wieder so machen – nur dann mit mehr Zeit für die Indie-Halle…
Vielleicht sieht man sich ja. :)
(da war ich etwas zu schnell…)
Fände ich übrigens auch losgelöst vom Rest der Messe eine spannende Einzelveranstaltung, in der Tat!
Ich muss tatsächlich sagen: außerhalb des Fachbesuchertages bekommen mich keine zehn Pferde mehr dahin. So schön die Indiehalle ist, aber auch dafür stelle ich mich keine Stunden in eine Warteschlange ;-)
Sehr verständlich! Ich war ab 18 Uhr dort (musste leider wegen der langen Rückreise um 19 Uhr schon wieder weg) und das ging von den Besucherzahlen her ganz gut. Vielleicht steige ich ja in einem der nächsten Jahren ja auch in den erlesenen Kreis der Fachbesucher auf… Je nachdem, wo mich meine Promotion hinführt… :)
Ich drücke die Daumen, dass es für die nächsten Jahre klappt ;)
Merci :)
So erlesen kann der Kreis der Fachbesucher nicht sein, wenn da selbst ich jedes Jahr umworben werde. ;-)
Du bist Deutschlands hartnäckigster Kommentarspalten-Hallodri. Natürlich umwerben die Dich. Sonst will Deinen Job ja auch niemand ;-)