Ja, JAAA VERDAMMT! Wie befriedigend ist es, ein Bedürfnis zu stillen, von dem man gar nicht wusste, dass man es hat? So als ob man ein Getränk ansetzt und mit jedem Schluck deutlicher spürt, wie verdammt durstig man war, ohne es zu merken. Plötzlich ist die Flasche leer, obwohl man nur kurz nippen wollte. Ähnlich ging es mir mit The Outer Worlds, an das ich mit verhaltenen Erwartungen heranging, nur um es dann in für mich rekordverdächtigen anderthalb Wochen durchzupeitschen. Grundsätzlich fällt es mir schwer zu benennen, was für mich ein gutes Videospiel ausmacht oder was mich beim Spielen länger bei der Stange hält. Dementsprechend probiere ich mal dieses, mal jenes, manches vermag mich zu fesseln, vieles lasse ich einfach liegen. Und auch bei The Outer Worlds hatte ich keine Ahnung, ob und wie es mir gefallen würde. Klar, Obsidian haben was auf dem Kasten, klar, Rollenspiele find ich gut und klar, Science-Fiction auch. Die vorab gezeigten Trailer machten mich jedoch kaum an, das sah alles wie eine Mischung aus Fallout und Borderlands aus. Und da ich letzteres überhaupt nicht schätze, blieb ich indifferent.
Obwohl ich Fallout 3 kurz nach Veröffentlichung spielte, das von Obsidian für Bethesda entwickelte Fallout: New Vegas aber erst Jahre später, ist für mich letzteres das deutlich bessere Spiel. Äußerlich kaum zu unterscheiden, trumpfte New Vegas mit inneren Werten auf, einer besseren Geschichte und einer dichteren, interessanteren Welt. Dass Obsidian nie die Gelegenheit erhielt, weiter im Fallout-Universum zu arbeiten, wurde von vielen beklagt. Umso mehr, nachdem Fallout 4 zwar ein gutes, aber kein überragendes Spiel wurde. Als Bethesda dann mit Fallout 76 ein Spin-off ankündigte, flammten kurz Hoffnungen auf, Obsidian könnte wieder am Ruder sitzen, was aber sofort dementiert wurde. Über das, was aus diesem Spiel dann wurde bzw. eben nicht, hüllen wir den Mantel des Schweigens oder hören es im entsprechenden Polyneux-Podcast nach. Denn eines war es sicher nicht: Ein Spin-Off, das New Vegas das Wasser reichen konnte. Respektive ein würdiger Teil der Fallout-Reihe. Respektive ein irgendwie brauchbares Spiel.
Ob die Leute von Obsidian feixend in ihrem Kämmerlein saßen, als Fallout 76 verdientermaßen mit Karacho gegen die Wand ballerte, ist nicht bekannt. Dass sie zu dieser Zeit mitten in der Arbeit an The Outer Worlds steckten, kann aber als gesichert gelten. Auch was genau die Entwickler dazu bewegt hat, ENDLICH den Faden aufzunehmen, den sie nach New Vegas fallen gelassen hatten, weiß ich nicht. Dass sie es getan haben, ist auf jeden Fall ein Grund zum Feiern, denn ich sage es wie es ist: The Outer Worlds ist New Vegas in bunt. Ohne alles zugrunderichtende Bugs. Das Setting ist anders, das Schießen ist besser, die Begleiter spielen eine größere Rolle usw., aber grundsätzlich ist es Nachfolger, den sich viele gewünscht haben. Als wäre das nicht genug, hatten mit Timothy Cain und Leonard Boyarsky zwei Fallout-Veteranen die Zügel in der Hand, was sich im wunderbaren Writing niederschlägt. Eigentlich könnte der Text hier enden, denn The Outer Worlds ist affengeil, los, kauft es sofort!
Aber hier aufzuhören wäre etwas verfrüht, was? Stattdessen möchte ich The Outer Worlds schamlos preisen: Zwar beginnt das Spiel mit der typisch abgelutschten „Protagonist*in mit Amnesie“-/“Fish out of water“-Story, das stört aber überhaupt nicht, da es einerseits okay begründet wird und andererseits einfach verdammt unterhaltsam ist, die Welt zu erkunden. Statt einer ausufernden, öden Open World, bewegen wir uns in kompakten Gebieten, die genug Raum zum Erkunden bieten, ohne mit Leere zu langweilen. Halcyon ist eine Erdkolonie, die von ultrakapitalistischen Konzernen beherrscht wird. Während die oberen Zehntausend in der Hauptstadt Byzantium am Luxus ersticken, schmort die untere Klasse in der Hölle der Lohnabhängigkeit. Die Menschen sind praktisch Leibeigene; zum Geburtstag bekommt man schonmal eine fünfminütige Pause geschenkt und Selbstmord ist Beschädigung von Firmeneigentum. Die Anspielungen auf unser turbokapitalistisches Weltsystem als wenig subtil zu bezeichnen, wäre ähnlich untertrieben wie zu behaupten, dass es am Nordpol gelegentlich ein bisschen kalt wird.
Der Humor bewegt sich durchgehend zwischen Holzhammerigkeit und feineren Tönen, ist aber allgegenwärtig. Die verschiedenen Begleiter*innen, die je ihre eigene Questreihe haben, sorgen gleichermaßen für amüsante wie herzige Momente. Allen voran die von der großartigen Ashly Burch gesprochene Mechanikerin Parvati, die man einfach sympathisch finden muss, sofern man ein Herz hat. Dass manche Partymitglieder eine Vergangenheit mit anderen NPC haben, spielt in Dialogen eine Rolle und verleiht diesen mehr Lebendigkeit. Im Kampf wiederum können sie Spezialfähigkeiten einsetzen, um die Angreifer rascher zu dezimieren. Die Shootermechanik selbst funktioniert deutlich besser als bei den Fallout-Teilen, obwohl sie selbstverständlich nicht mit der von Größen wie dem famosen Doom-Reboot mithalten kann.
Das muss sie aber auch nicht, da an anderer Stelle Stärken ausgespielt werden. So eröffnet das Waffen- und Ausrüstungsverbesserungssystem einige Optimierungsmöglichkeiten, leidet aber nicht unter Überkomplexität und kommt ohne Gängelungsmechaniken. Und im Gegensatz zum viel zitierten Fallout, flutscht hier alles, wie es soll und nichts hakt oder hängt. Technische Probleme hatte ich kaum. Ausgerechnet beim ersten Start stürzte das Spiel direkt ab, danach hatte ich in 40 Stunden Spielzeit einen weiteren Crash, direkt nach dem Speichern, der jedoch nicht in Datenverlust resultierte. Wenn ich dagegen an den Savebug bei New Vegas denke, der meinen Spielfortschritt nach über 20 Stunden zerstörte, dann schwillt mir gleich wieder die Halsschlagader und ich könnte… Ruhig bleiben, weiter im Text.
Es ist heute wirklich selten, dass ich mich in ein Spiel festbeiße und nicht damit aufhöre, bis der Abspann läuft. The Outer Worlds habe ich durchgebolzt wie besessen, ich musste jede Side Quest mitnehmen, jedes Gebiet mehrmals durchkämmen, um ja nichts liegen zu lassen. Denn auch wenn es so klingen mag, ist es keine Kopie von New Vegas, sondern eine sinnvolle und gelungene Weiterführung. Und während ich bei Rollenspielen häufig gegen Ende hin keinen Bock mehr habe und nur noch durchkommen möchte, habe ich bei The Outer Worlds praktisch jede Sekunde meiner gut 40 Stunden Spielzeit genossen. Außer vielleicht diesen fucking Bosskampf, der mir enorm auf den Sack ging und warum gibt es so einen Mist überhaupt noch?
Abschließend bleibt mir nur allen, bei denen die Begriffe „Rollenspiel“ oder „Science-Fiction“ das geringste Zucken auslösen, dringend zum Kauf von The Outer Worlds zu raten. Es spielt sich gut, ist prima geschrieben und sieht großartig aus. Der verhältnismäßig kompakte Umfang ermöglicht es auch Berufstätigen, nach nicht allzu langer Zeit den Abspann zu sehen. Und da das Spiel technisch nicht das dickste Brett ist, besteht Grund zur Hoffnung, dass die im März 2020 erscheinende Switch-Variante ebenfalls sauber laufen wird. Wer lieber unterwegs spielt, wartet einfach so lange und verbringt noch ein paar Monate in freudiger Erwartung. Ich hoffe derweil, dass im Hause Obsidian bereits über einen Nachfolger nachgedacht wird. Die Geschichte von Halcyon ist noch lange nicht auserzählt. Und während ich von einem noch geileren The Outer Worlds 2 träume, hole ich schon mal den Goldpokal für beste Spiel des Jahres vom Regal. Denn etwas Besseres kommt ziemlich sicher nicht mehr.
3 Kommentare
Jedes Mal wenn ich das Box Art sehe, kommt mir No Man’s Sky in den Sinn.
Auf den ersten Blick ist das wirklich ziemlich egal. Aber nach dem Durchspielen spricht mich das Cover total an, weil es so viel vom Spiel einfängt. Ist natürlich ziemlich ungeeignet um neue Käufer*innen anzulocken…
Sooo ein herrliches Spiel! GOTY!