Es ist normal, klug gar, die Stirn zu runzeln, wenn ein Spiel einen Season Pass bekommt. Noch eher, wenn der nach langer Zeit, aus dem Nichts und eine andere Addon-Politik ablösend angekündigt wird. So war ich ganz schön besorgt, als Firaxis für ihr seit 2016 durch zwei dicke Addons massiv verbessertes Civilization VI eine Reihe an Mini-DLCs ankündigten, die als New Frontiers-Season Pass vereinigt beworben wurden. Den furchtbaren Kolonialismus schon im Titel des Passes mal außenvorgelassen, waren die bisherigen kleinen DLCs für Civilization VI eher als Cashgrabs verpönt, die einzelne neue Völker für zu viel Geld verhökerten und wichtige Patch-Inhalte wie neue Naturwunder hinter einer Bezahlschranke einschlossen.
Aber mit der Veröffentlichungs-Roadmap im Blick und dem ersten DLC-Pack auf dem Rechner beginnt meine Perspektive, etwas milder zu werden. New Frontiers kostet 40€, ungefähr dasselbe wie ein großes Addon zuvor, und es verspricht trotz allem einen ordentlichen Haufen neuer Inhalte. Acht neue spielbare Zivilisationen soll er beinhalten, davon sind bisher drei bekannt. Jedes DLC-Pack bringt zudem tiefgreifende neue Features mit, die sich so auch in einem Addon gefunden hätten: das im Juli erscheinende Äthiopien-Paket sorgt für neue Distrikte und Infrastruktur, beispielsweise. Gathering Storms hat das Spiel mit seinen Kanälen und Dämmen maßgeblich verändert, insofern sehe ich durchaus, wie eine solche Änderung Civ VI auf den Kopf stellen kann. Was die später erscheinenden Pakete mitbringen, ist noch nicht bekannt, aber ich vermute stark, dass neben neuen Natur- und Weltwundern auch mehr abbaubare Ressourcen und vielleicht sogar neue Siegbedingungen eingeführt werden. Und mit Sicherheit neue Modi, denn das zum Start von New Frontiers veröffentlichte Paket aus den Maya unter Lady Six Sky und Großkolumbien unter Simón Bolívar führt eine neue Art Modifikatoren ein, die eine Partie Civ VI mit Gathering Storms-Addon zur bisher besten gemacht haben, die ich bisher spielte. Diese Modi verändern bestimmte Aspekte des normalen Spiels und lassen sich beliebig in Partien dazuschalten. Der erste davon ist der Desastermodus, und er macht aus dem seit Gathering Storms nur leicht nervigen Klimawandel eine echte Bedrohung. Denn im Desastermodus beginnt die Erde bei 85% Polschmelze zu zerfallen. Meteoreinschläge und Solar Flares durchbrechen die Atmosphäre und zerstören die bespielbare Oberfläche. Und hier hat Firaxis auf ganz grundlegende Kritik an der Spielstruktur von Civilization reagiert und mit einem geradezu bösartigen Kniff das Rennen um die beste Nation auf den Kopf gestellt: wer technologisch am weitesten fortgeschritten ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst vom Ende der Welt dahingerafft. Meteoriten schlagen zwar zufällig ein, aber mit einer gewissen Tendenz, sich magnetisch auf technologisierte Städte einzuschießen. Und Solar Flares betreffen Steinhäuser und Infanterietruppen fast gar nicht, brennen aber Wissenschaftslabore, Weltraumflughäfen und mechanische Einheiten wie Dronen und den Giant Death Robot innerhalb eines Zuges in Grund und Boden. Bei Eintreten der vollständigen Polkappenschmelze war ich zwei Runden davon entfernt, eine kolumbianische Marskolonie zu entsenden. Deren Ankunft auf dem roten Planeten hätte mein stolzer Anführer dann nur noch aussitzen oder mit einer Reihe von terrestrischen Laserleitsystemen beschleunigen müssen. Dann brannte plötzlich mein Raumfahrthafen ab, der Nuklearreaktor in einem meiner Industriegebiet explodierte und alle Campus-Anlagen innerhalb meines Reiches mussten repariert werden. Nach weiteren 15 Runden schlugen Kometen in meine Hauptstadt und meine deswegen verlagerte Ersatzhauptstadt ein. Ich war am Ende.
Civilization VIs Desastermodus stellt die oft kritisierte Mär vom Aufstieg der Geschichte in eine naheliegende Zukunft im glorreichen Informationszeitalter auf den Kopf. Nicht nur trifft es das Land, das gerade kurz vor dem Sieg steht, am härtesten – der Sieg wird auch zweitrangig. Eigentlich ist es ab diesem Punkt egal, wer gewinnt, denn verloren sind alle. Und während ich zuvor ausschließlich auf Sieg gespielt habe, erwische ich mich im Desastermodus bei viel organischerem Verhalten: Ich siedle weiter auseinander, ich achte darauf, die CO2-Emmissionen meiner Kraftwerke durch Aufforstung und Luftreinigungsprojekte wieder auszugleichen und ich verdamme gegnerische Nationen diplomatisch, die das nicht auch tun. Ich vergesse nicht länger mein Spielfeld in dem Moment, in dem mir der Siegesbildschirm meine Errungenschaften präsentiert, sondern ich klicke auf “Nur noch eine Runde” und sehe nach, wie sich das Ende der Welt abspielt. Die dominante Kultur über alle anderen Reiche zu sein ist schön, aber ob man in Blue Jeans oder mongolischem Deel in einer Flammenwalze untergeht, ist herzlich egal. Das Maya & Grand Columbia-Pack ist ein starker Auftakt zu einem hoffentlich konstant guten, in die Länge gezogenen neuen Addon für Civilization VI. Wenn sich Firaxis durch die gestreckte Entwicklungszeit bessere Arbeitsbedingungen leisten kann, dann soll mir das nur recht sein.
Gewonnen habe ich meine Partie im Desastermodus übrigens trotzdem. Kurz bevor meine dritte Stadt unrettbar in einen Kratersee verwandelt wurde, konnte ich den Weltkongress davon überzeugen, als technologischer Anführer die beste Chance für das Überleben der Menschheit zu sein. Und so startete von einer kleinen Raketenbasis in der antarktischen Tundra eine einsame Marsexpedition in den brennenden Regen. Guten Flug, Commandante Bolívar.
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