Während wir 13 Jahre sehnsüchtig auf eine Fortsetzung von Alan Wake gewartet haben, weil das Spiel mit einem fiesen Cliffhanger endete, saß der namensgebende Autor ebenso lange in der Dunkelheit fest. Ja, das hat er nun davon, uns so lange warten zu lassen! Aber tatsächlich ist es eher die Schuld von Microsoft, denn die hatten seinerzeit keinen Bock auf eine Fortsetzung und wollten eine neue IP von Remedy, die sie dann mit Quantum Break, dem wohl schwächsten Spiel der Finnen, auch bekommen haben.
Okay, 13 Jahre gewartet, Spiel gekauft, Spiel heruntergeladen (digital only), Spiel gestartet und was ist das? Ich spiele gar nicht Alan, sondern die FBI-Agentin Saga Anderson, die zusammen mit ihrem Kollegen Alex Casey (dargestellt von Remedy-Mastermind und Max Payne-Gesicht Sam Lake himself) eine Serie von Ritualmorden in Bright Falls untersucht. Aber keine Sorge, den Autor spielt man etwas später natürlich auch. Im weiteren Verlauf wechselt man immer wieder (mehr oder weniger frei) zwischen den beiden Protagonisten – und damit auch zwischen zwei Handlungsebenen mit leicht unterschiedlichem Gameplay.
Die Spielmechanik, die den ersten Teil mehr oder weniger alleine getragen hat, Gegner zuerst mit Licht zu schwächen und dann mit Schusswaffen zu erledigen, findet sich auf beiden Ebenen, fühlt sich aber mehr nach dem ersten Spiel an, wenn man in Sagas Schuhen unterwegs ist. Allerdings wurde dieser spielmechanische Kern des ersten Spiels in Alan Wake 2 deutlich abgeschwächt, weil es dieses Mal schlicht weniger Action gibt. Und zwar so viel weniger, dass AW2 schon fast eher als Horror-Mystery-Puzzle- bzw. -Walkin-Sim durchgeht. Und das ist auch gut so. Warum? Dazu muss ich etwas weiter ausholen…
Ich habe ein paar Wochen vor dem Release von Alan Wake 2 noch einmal das Remaster vom ersten Teil gespielt und war regelrecht davon fasziniert, dass es immer noch funktioniert. Man läuft ja im Grunde das ganze Spiel nur durch die Dunkelheit und macht das immer gleiche: Taschenlampe, Schusswaffe. Taschenlampe, Schusswaffe. Leuchtfackel, Schusswaffe. Leuchtkugel, Schusswaffe. Usw. Usf. Das ist spielmechanisch schon ziemlich stumpf, funktioniert aber trotzdem gut. Das liegt einerseits natürlich daran, dass Story und Atmosphäre so absolut klasse sind, dass die Spielmechanik eher nur Mittel zum Zweck darstellt. Andererseits ist es aber auch so, dass diese Mechanik im ersten Alan Wake einfach gut flutscht. Sie funktioniert und macht auch nach zehn Stunden noch Spaß.
In Alan Wake 2 tut sie das aber nicht. Ich weiß nicht, wie sie es bei Remedy hinbekommen haben, aber die bestimmende (und funktionierende!) Spielmechanik des ersten Teils fühlt sich im Nachfolger 13 Jahre später eher hakelig und unausgegoren an. Einige Kämpfe nerven sogar richtig! Und unter diesen Umständen ist es tatsächlich nur zu begrüßen, dass Alan Wake 2 deutlich weniger action-lastig ist. Ich habe den Schwierigkeitsgrad nach einigen Spielstunden von „Normal“ zu „Story“ umgestellt und kann euch alle nur ermutigen, das auch zu tun, denn erst ab da konnte ich das Spiel so richtig genießen.
Aber was bleibt denn dann noch vom Spiel übrig, werdet ihr fragen. Eine ganze Menge, denn Alan Wake 2 beinhaltet dafür ein paar neue Mechaniken, mit denen es sein Gameplay deutlich Richtung Horror-Mystery-Puzzle-Spiel verschiebt.
Mit der FBI-Agentin Saga bewegen wir uns in der realen Welt und sind in erster Linie Ermittler: Tatorte untersuchen, Indizien sammeln und Schlussfolgerungen ziehen. Dies macht Saga in einer Ecke ihres Kopfes, den sie „Gedankenraum“ nennt. Dort puzzelt man per Drag&Drop an einer Pinnwand alle Hinweise zusammen, so mit Fotos, Stecknadeln und roten Wollfäden, wie man das halt aus einschlägigen Fernsehserien und Filmen kennt. Diese Mechanik ist einerseits total cool, wenn es darum geht, die mehr als verworrene Geschichte des Spiels nochmal zu sortieren und für den Spieler nachvollziehbarer zu machen. Andererseits sollte man aber auch nicht zu genau hinsehen, denn die Autoren bei Remedy benutzen Sagas „Profiling“ und „Ermitteln“ im Gedankenraum schamlos zum Schließen diverser Plotholes in der Geschichte, indem Saga ganz oft Schlussfolgerungen zieht, die sie sich, pardon my french, einfach aus dem Hintern zieht. Logisch ist daran oft gar nichts und kann höchstens wohlwollend damit erklärt werden, dass sie halt so eine begnadete FBI-Agentin ist…
Eine weitere Sache, die bei der Gedankenraum-Mechanik negativ auffällt ist, dass sie dem Spieler aufgezwungen wird: Bin ich so clever, selbst auf die Lösung eines Rätsels zu kommen, geht es in der realen Welt manchmal trotzdem erst weiter, wenn ich die entsprechenden Hinweise im Gedankenraum sortiert habe. Man kann bestimmte Dinge also erst machen, wenn man vorher die entsprechenden Polaroids mit Gedankenraum mit roten Wollfäden verbunden hat. Das kann an der einen oder anderen Stelle für Hänger sorgen und durchaus auf die Immersion drücken.
Da Alan immer noch in der Dunkelheit gefangen ist, sind seine Spielabschnitte ein komplett surrealer Horror-Trip, der manchmal sehr verwirrend ist, aber gleichzeitig auch die großartigsten Momente des Spiels beinhaltet. Auch er knallt deutlich weniger Schattenwesen ab, als noch im ersten Spiel, hat dafür aber auch ein paar neue Tricks im Gepäck, die das Spiel ebenfalls deutlich in Richtung Puzzles verschieben. So kann er mit „Toms Lampe“ an gewissen Orten die Umgebung verändern, indem er Licht von einem Ort zum anderen transportiert, und so zum Beispiel Wege oder Eingänge öffnen, die vorher verschlossen waren. Alans Äquivalent zu Sagas Gedankenraum ist das „Schreibzimmer“, das ebenfalls irgendwo in seinem Oberstübchen existiert. Dort kann er an einigen Orten des Spiels die Handlung umschreiben und so die Umgebung verändern. Praktisch bedeutet das, dass einige Orte später in drei oder vier verschiedenen Versionen existieren und man zwischen diesen umschalten muss, um weiter zu kommen. Mal kann man in einem Foyer einen Aufzug benutzen, mal ist er gesperrt. Mal hat ein Raum in einer Version eine weitere Tür, mal nicht, usw. Diese Puzzle-Mechanik im Schreibraum funktioniert für mich vermutlich deshalb besser als Sagas Gedankenraum, weil man in Alans surrealer Alptraumwelt ohnehin nicht mit Logik kommen kann und das Ganze zudem einen angenehmen Silent Hill-Vibe hat, wenn sich um einen herum, begleitet von wildem Schreibmaschinengetippe, die Umgebung verändert.
Das hört sich bis hierhin noch nicht wirklich nach einem super Spiel an, oder? Und doch ist es das. Und zwar weil die Geschichte, das World-Building, die Atmosphäre und die audio-visuelle Präsentation einfach eine Wucht sind! Und genau deshalb auch meine Empfehlung, das Ding gleich von Anfang an auf „Story“ zu spielen, damit man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Die Spielmechaniken gehören nicht dazu. Sie sind okay, aber nicht der Grund, warum Alan Wake 2 ein so tolles Spiel ist.
Remedys hauseigene Northlight Engine ist echt der Hammer und macht AW2 zu einem der derzeit hübschesten Spiele überhaupt. Hinzu kommt ein wirklich großartiger Soundtrack, der nicht nur einfach da ist, sondern wie ein Uhrwerk mit dem Visuellen und der Story ineinandergreift. Und auch wenn ich weiter oben erwähnt habe, dass die Geschichte nicht immer wasserdicht ist, so ist sie doch eine der besten, die das Medium Videospiel bisher zu bieten hatte. Remedys surrealer Horrortrip vermischt Twin Peaks, Akte X, Silent Hill und Stephen Kings The Dark Half mit einer dicken Portion Selbstreferenz und spielt geschickt mit mehreren Erzählebenen. Und dann sind da auch noch ein paar Videospiel-Höhepunkte, die einfach so sensationell gut sind, dass man noch in Jahren auf sie verweisen wird…
Wer sich also aus diesem oder jenem Grund dafür entscheidet, Alan Wake 2 einfach auszulassen, kann das selbstverständlich tun, muss sich aber darüber klar sein, dass er dadurch im Kontext Videospiel fortan eine „Bildungslücke“ haben wird. So als hätte man nie Doom, Monkey Island oder Silent Hill 2 gespielt…
Na? Es ist euch sicherlich aufgefallen, dass ich bei diesem Spiel eisern spoiler-frei geblieben bin, oder? Das liegt selbstverständlich daran, dass das Storytelling das große Ding bei Alan Wake 2 ist. Daher sollte man vor dem Spielen so wenig wie möglich wissen. Jetzt möchte ich allerdings noch über eine Sache sprechen, die mich als langjährigen Remedy-Fanboy ganz besonders angemacht hat, aber nicht ganz ohne kleinere Spoiler besprochen werden kann: Das Remedy-Connected-Universe! Wer also ganz unbeleckt ins Spiel gehen möchte, sieht jetzt am besten zu, dass er oder sie Land gewinnt!
Offiziell umfasst das RCU lediglich Control und die Alan Wake-Spiele. Nachdem sie Alan Wake schon prominent als FBC-Fall in Control eingebunden haben, gibt es in Alan Wake 2 nun ebenfalls ganz viel Crossover mit dem Ferderal Bureau of Control. Tatsächlich verbindet Remedy Entertainment hier aber alle ihre bisherigen Spiele miteinander. Naja, bis auf ihren Erstling Death Rally von 1996, der aber auch irgendwie so gar nicht ins übrige Firmen-Oeuvre passen will. Da die Rechte an Max Payne aber inzwischen Rockstar Games gehören und Quantum Break eine Microsoft-IP ist, mussten sich die Finnen ein paar Tricks einfallen lassen, um diese Spiele ebenfalls ins RCU einbauen zu können:
Max Payne wurde ganz eindeutig als Alex Casey eingebaut. In Sagas Story-Abschnitten ist er „nur“ der sympathische FBI-Partner, der hier wohliges „Mulder & Scully“-Feeling verbreitet. In Alans surrealem New York-Alptraum ist Alex Casey jedoch die Hauptfigur aus seinen erfolgreichen Pulp-Detektiv-Romanen. Und der ist wiederum eine lupenreine Reinkarnation von Max Payne. Bei Quantum Break ist es etwas komplizierter, weil es sich hier eher um ein Easter Egg als einen integralen Bestandteil der Handlung handelt. Aber das passt eigentlich ganz gut, weil in Quantum Break damals ebenfalls schon Alan Wake-Easter Eggs zu finden waren. Wenn ihr Sheriff Breaker das erste Mal im Spiel trefft, wird euch vielleicht auffallen, dass dieser von Shawn Ashmore gespielt wird, welcher auch die Hauptfigur Jack Joyce in Quantum Break gespielt hat. Sheriff Breaker… …Quantum Break… knick knack, na, Sie wissen schon.
Mir macht so selbstreferenzialer Kram in der Popkultur in Form von Easter Eggs und Meta-Jokes eigentlich immer Spaß, aber das Remedy-Connected-Universe geht halt noch einen ganzen Schritt weiter und verbindet in Alan Wake 2, zumindest in Teilen, eigentlich unabhängige Handlungen und Figuren aus anderen Spielen so clever miteinander, dass ich es schon fast genial nennen möchte. Möglich macht dies natürlich erst ihr vorheriges Spiel, Control. Die Idee vom Federal Bureau of Control und dem interdimensionalen „Oldest House“ ist wirklich Gold wert, wie ich seiner Zeit schon schrob, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, was für ein Ritt mit Alan Wake 2 folgen sollte. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was Remedy Entertainment uns als nächstes liefern werden! Wie weit werden sie diesen genialen Meta-Wahnsinn mit dem FBC als Dreh- und Angelpunkt ihres RCU noch treiben…?
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