Sagt euch “Imagination is the only escape” etwas? Luc Bernard – der Entwickler, der kürzlich mit “Eternity’s Child” bereits einen simplen Plattformer scheinbar total gegen einen Betonpfeiler gefahren hat – arbeitete bis vor kurzen an einem weiteren Vertreter dieses Genres für Nintendo DS. Dieses Spiel war als “Edutainment”-Titel über den Holocaust platziert, mit Kindern als Zielgruppe. Dieses Konzept muss ich jetzt kurz sacken lassen und dann nochmal wiederholen. Also: Kinder sollten über Plattformen hüpfend und springend etwas über Deutschland dunkelstes Kapitel lernen. Natürlich haben da sofort allerhand vordefinierte Verhaltensmuster gegriffen. Family-friendly Nintendo of America schloss Naziverbrechen und Hakenkreuze auf ihren Plattformen kategorisch aus und brachte damit den Blätterwald zumindest ein kleines bisschen zum rauschen. Bernard arbeitete derweil weiter an dem Titel, glaubte an einen separaten Release in Europa und dachte auch über eine Version für WiiWare nach.
Inzwischen hat Luc Bernard scheinbar wegen des harten Gegenwindes seine Bestrebungen, Spielesoftware zu entwickeln, generell eingestellt. Wohlgemerkt aufgrund der Kritik an “Eternity’s Child” und nicht wegen der Kontroverse um “Imagination is the only escape”. Das Thema hat sich also eigentlich während des Schreibens an diesem Artikel erledigt, trotzdem möchte ich ihn nicht komplett im Nirvana verschwinden lassen. Meine Meinung hat sich zwar anhand des konkreten Spiels entwickelt, vertritt aber auch ohne dieses – so denke ich – einen validen Standpunkt.
Ich bin bereits früher einmal über “Imagination is the only escape” gestolpert, aber im Gegensatz zum letzten Mal hat es mich danach nicht mehr so richtig losgelassen. Hier möchte ich nun ausführen, warum.
Viel zu häufig erfährt man durch die Medien Geschichten über Kinder, denen schreckliche Dinge geschehen. Ich konnte über diese Geschichten einigermaßen nüchtern reden, ich war immer angemessen erschüttert, aber im Grunde sind diese Dinge an meiner Hülle aus Zynismus abgeprallt, in der ich mich schön gemütlich eingekapselt hatte. Seitdem ich selbst Vater geworden bin, habe ich an mir selbst festgestellt, dass mich solche Nachrichten mich wesentlich härter und etwas in meinem Inneren treffen. Ich bin emotional irgendwie stärker involviert. Der Kontrast zwischen den aktuellen Bildern aus dem Kaukasus, die Flüchtlinge mit Kindern zeigen – Propaganda hin oder her – und meinem frischgeborenen, fröhlich glucksenden Mitbewohner macht mich zum Beispiel fertig. Und jetzt stand da ein Videospiel vor der Tür, welches dem Spieler in die Perspektive eines kleinen Jungen bringen möchte, dem unmittelbar furchtbare Gewalt droht. Für mich, der die Welt plötzlich mit einer ganz leicht verschobenen Perspektive wahrnimmt, ist das alleine schon recht starker Tobak. Ob und wie sehr sich meine Sichtweise auf Videospiele noch ändert – besonders auf die Gewalttätigen darunter – wird sich noch zeigen. Ich bin selbst gespannt. Noch winkt in einer weit entfernten Ecke meines Hinterkopfes die Frau von Reverend Lovejoy (“denkt denn um Himmels Willen niemand an die Kinder?”), wenn ich Sätze sage wie: “Kinder sind unser kostbarstes Gut” und auch dann leichte Beschwerden habe, wenn sie “nur” virtuell Gefahren ausgesetzt sind.
Aber da ist noch mehr.
Jetzt muss man wissen, dass ich mich aus ich weiß noch nichtmal genau welchen Gründen doch einigermaßen stark für deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 interessiere. Und ich rede hier nicht von Guido Knopp, okay? Ich glaube, was mich umtreibt ist die Frage, wie ich mich in dieser Zeit verhalten hätte und durch die Antwort erwarte ich eine gewisse Einsicht darin, wie die zahllosen Otto Normalbürger von nebenan das alles um Gottes Willen nur haben zulassen können. Ein vermutlich fruchtloses Unterfangen.
Ich krieg’s einfach nicht in meinen Kopf. Klar: Daten, Zahlen, Namen, Orte, Abläufe, nüchterne Fakten gibt es in diversen Quellen, u.a. auch im Netz, zuhauf. Berichte von Überlebenden der Shoa sind ein hauchdünner kleiner Versuch, den Leuten das Ungreifbare nahe zu bringen. Wenn ich solches Material lese, versuche ich manchmal mir die Geschehnisse vorzustellen. Aber immer, wenn Dinge allzu konkret und realistisch zu werden drohen, wenn Menschen im Spiel sind die anderen Menschen im Ursinn des Wortes unFASSBARe Gewalt in einem wahnsinnigen Ausmaß antun, reagiert mein Hirn mit Ausweichmanövern. Es lenkt mich ab. Produziert schwammige, neblige Bilder. Mein Vorstellungsvermögen zeigt in solchen Momenten nur noch in ein großes, schwarzes, unendlich tiefes Loch und ist ganz fundamental überfordert. Vermutlich ist das derselbe (massen)psychologische Effekt, der für die bekannte nachkriegsdeutsche “ich hab davon nichts gewusst”-Ausrede verantwortlich ist. Aber jetzt lehne ich mich extrem weit aus dem Fenster, ich bin ja schließlich kein Holocaust-Forscher.
Oh Mann, jetzt rede ich auch schon wie ein Political Correctness-Zombie. Begriffe wie “unfassbar”, “ungreifbar”, “unvorstellbar” sind bei diesem Thema derart überstrapaziert. Aber es sind die einzig passenden Begriffe und gleichzeitig sind sie so unendlich schwach. Natürlich fußt meine Einstellung letztendlich auf der bundesdeutschen Erziehung, aber ihr dürft mir glauben, dass ich diese Dinge vollkommen ernst meine und nicht schreibe, um irgendwem zu gefallen.
In meinem Willen, begreifen zu wollen, habe ich mich auch einmal mit Buchenwald konfrontiert. Und darauf konnte mich kein Unterricht, kein Buch, keine Doku, kein Film und keine Website vorbereiten. Ultimativ wird das auch kein Videospiel können. Auf den ersten Blick ist Buchenwald ein windiger Ort auf einem Hügel bei Weimar. Die Aussenumzäunung steht noch, das Torgebäude steht noch, aber von den Barracken sind nur Umrisse und Fundamente übrig. An diesem Ort mit der tollen Aussicht über ein Stück Thüringen sind Menschen gefoltert und ermordet worden? Der Gedanke ist immer noch abstrakt und nicht richtig formulierbar. Aber dann ist da das Krematorium. Beim Betreten fällt der Blick sofort auf die Vebrennungsöfen, die man sonst nur von alten Bildern kennt und die sich jetzt massiv und bedrohlich aus der Distanziertheit der Schwarzweiß-Bilder unmittelbar in das Bewusstsein des Betrachters wuchten. Dieser Moment der Erkenntnis, als sich all das gesammelte, angelesene, theoretische Wissen so real und konkret direkt vor mir in diesen Öfen manifestierte, hat mir schlicht mein Herz in tausend Stücke gesprengt. Und den Glauben, dass tatsächlich sowas wie Menschlichkeit existiert. Und in diesem Gebäude ist noch mehr. Im Keller. Ein Albtraum aus Ziegeln und weißem Putz. Mit mehreren Dutzend Haken an der Wand knapp unter der Decke, an denen Menschen erdrosselt wurden. Mit einer Genickschussanlage. Mit fahrbaren Wannen für die Leichen. Ich habe keine Luft mehr bekommen. Ich musste da raus. Selbst als ich jetzt drüber schreibe, stehen die Tränen Schlange und wollen raus. Das Gefühl, kotzen zu müssen, ist wieder da. Der Entschluss, irgendwann im Leben mal Auschwitz zu sehen, ist gestrichen. Dafür bin ich wesentlich zu feige. Und zu besorgt um meine geistige Gesundheit.
Das sind also meine ganz persönlichen Vorzeichen. Und dann kam plötzlich mein Lieblingshobby, meine über alle Maßen favorisierte Freizeitbeschäftigung, die in diesem Zusammenhang einfach nur so unendlich unwichtig und profan erscheint, um die Ecke marschiert und knallte mir mit “Imagination…” ein derartiges Pfund vor die Füße.
Wie sollte ich nur damit umgehen? Was soll ich jetzt noch nur davon halten?
Ich hab mal gesagt, dass gute Filme häufig solche sind, die ein bisschen weh tun beim Schauen. “Filme, die weh tun”, haben häufig auch mehr oder weniger Bezug zur Realität. Das Wort “Film” kann man auch durch “Kunst” ersetzen und dann versteht man vielleicht eher, was ich damit ausdrücken möchte. Von mir aus kann man jetzt genau diese Argumentation, dass Spiele Kunst werden sollen und Kunst auch schmerzhafte Themen anpackt und “Imagination…” deswegen ein höchst wichtiges Spiel geworden wäre, anführen. Aber diese Ausrede ist mir zu eindimensional, simpel und hinterfragt zu wenig. Sie ist aus dem gleichen brüchigen Holz geschnitzt wie die ewig olle “ich spiel Metzelspiele, seitdem ich 3 bin und hab noch nie jemanden getötet”-Argument. Vielleicht werde ich spießig und alt. Und obwohl ich gleichzeitig den Wunsch habe, dass auch mir nachfolgende Generationen im selben Geist erzogen werden wie ich und dieses Spiel vielleicht sogar ein kleiner lehrreicher Beitrag dazu hätte sein können… trotzdem ist irgendwo im Hinterkopf dieser Gedanke: ein Spiel? Über den Holocaust? Ein SPIEL? Ein Spiel, dass mir im Vorbeigehen noch ekelhafte Fakten über Menschenversuche in die Fresse knallt? Nein. Grenzen sind da, damit sie gezogen werden…
..und ich muss ein schlimmer Spießer und Moralapostel sein, wenn ich so über ein Spiel schreibe, über das nie Details bekannt geworden sind. Ich verteidige die “Freedom of Speech” und möchte nicht den Eindruck erwecken, ich würde schon Fackeln und Forken horten, mit denen ich dann bei nächster Gelegenheit Luc Bernard heimgesucht hätte. Ich habe dem Mann nichts als gute Absichten unterstellt, aber finde die Vorstellung in höchstem Maße unangenehm, ein solches Spiel im Regal neben “Barbie als Prinzessin der Tierinsel” und “Nintendogs” zu sehen. Und gleichzeitig weiss ich, dass “Schindlers Liste” drüben in der DVD-Abteilung zusammen mit “Dumm und Dümmer” verscherbelt wird. Ich habe nicht gesagt, dass dieses Thema einfach zu behandeln ist. Aber manchmal muss man sich einfach festlegen, auch wenn es dadurch gegebenenfalls zu Reibungen mit der persönlichen Peer Group kommt. Luc Bernard hat ja nichts anderes getan, als er sich entschlossen hat, ein Spiel über den Holocaust zu entwickeln.
15 Kommentare
Die Verschiebung des eigenen Fokus durch das Vaterwerden kann ich definitiv bestätigen. Ich habe vor der Geburt des SpielKindes auch vieles leichter genommen als ich es heute tue. Nicht zuletzt in Hinblick auf Videospiele…!
Das kann ich auch nur bestätigen. Was mich besonders daran überrascht ist. das ich nicht damit gerechnet habe.
Aufgefallen ist es mir zuerst in AVP2 (der Film), als ein Kind umgebracht wird. Das fand ich ziemlich fies, obwohl es mich früher wohl nur ein Achselzucken gekostet hätte.
Ob es dafür einen evolutionstechnischen Grund gibt oder es einfach daran liegt das man solche Dinge emotional besser nachvollziehen kann?
Interessante Sache, habe von diesem Spielprojekt noch nie was gehört, aber ich muss sagen: schade, dass es wohl nie erscheinen wird. Als ich die ersten Zeilen las, schien mir die Sache auch sehr bizarr. Aber am Ende des Artikels muss ich sagen: verdammt schade drum. Die gesteckte Aufgabe, ein Tabu-Thema auf einem in der Öffentlichkeit stets kritisch beäugten Medium zu verwirklichen, scheint gewagt und herausfordernd. Sowas kann natürlich auch ganz, ganz böse nach Hinten losgehen, wenn die inhaltliche Sorgfalt fehlt. Aber nur wer Großes wagt, kann Großes erreichen. Aus meiner Sicht ein blendende Idee! Im Vergleich zu Gedenkstätten, Büchern, Dokus oder Spielfilmen ermöglicht die interaktive Dimension eines „Spiels“ (wobei der Begriff in keinster Weise greift) einen ganz anderen Blickwinkel, als jedes andere Medium dies vermag. So könnte Geschichte, Aufklärung und Gedenken in einer neuen Form nachgekommen werden, als dies bisher je möglich war. Wenn ich mir da die erlebte Vermittlung des Themas in der Schule gegenhalte, so tut dies auf jeden Fall bitter Not: ein elender Eiertanz zwischen Betroffenheit und gleichzeitiger bürokratischer Nüchternheit, als Spreche man über den Satz des Pythagoras, dem unmenschliches Widerfahren sei. Fakten und Wissensvermittlung greifen hierbei nicht, will man doch eigentlich mehr erreichen als blankes Allgemeinwissen vermitteln. Klar ist es bequemer einem so schwierigen Thema auf bereits bekannten Pfaden zu gedenken. Wenn Kunst ein mahnendes Ereignis für die Nachwelt lebendig halten will, muss es bemüht sein neue Wege zu begehen um die Seele berühren zu können.
Will man Kinder bzw. Heranwachsenden (denke für nen 6 Jährigen wäre das Spiel sicher nichts) erziehen, so muss man sie in Ihrer Lebenswelt abholen. Die 100ste Bücher-Publikation zum Holocaust wird sicher nichts, aber auch überhaupt nichts bewegen, ein solches Projekt hingegen schon. Ich kann gut verstehen, dass man als Vater die Sache zwiespältig beurteilen mag. Man will sein Kind vor dem Unheil dieser Welt schützen, aber man muss seinen Nachwuchs auch vor den goldenen Käfig setzen. Nur so kann man es, in verantwortlicher Dosis, gegen die Gefahren und Verführungen der Welt impfen und immunisieren.
Erstmal willkommen im Club der Zockerväter. Was deine Einstellung zu Videospielen angeht, so kann ich dich beruhigen. Je älter dein Kind wird, desto mehr kannst Du mit ihm anfangen/mit ihm unternehmen und, zumindest bei mir war es so, desto weniger Zeit hast Du für Videospiele, weil sie einfach weit weniger wichtig sein werden. Ich picke mir nur noch die Perlen heraus, von denen ich mir wirklich eine besonders gute Spielerfahrung verspreche. Zuletzt GTA IV, für das ich etwas länger gebraucht habe und bei dem ich auch nur die Hauptquest abgeschlossen und den Rest ignoriert habe.
Zum Thema: Schwieriges Thema. Eine Seite in mir ruft: Mit Spielen kann man Inhalte vermitteln. Warum also nicht auch so ein heikles Thema? Die andere Seite kann sich ein Spiel über den Holocaust überhaupt nicht vorstellen. In Spielen will ich doch der Held sein, will die Kontrolle haben. Nun eignen sich, gelinde gesagt, aber weder die Nazis noch die Juden für die Rolle des Helden.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es irgendwann mal ein Spiel zu diesem Thema geben wird. Aber ich glaube, dass die Videospiele dazu noch zu jung sind. Zuviel wird auf die Optik geachtet, zu wenig auf den Inhalt. Vielleicht liegt das ja auch an der Hauptzielgruppe? Wenn die Videospiele älter werden, wenn die Spieler älter werden, wenn das Bedürfnis nach Inhalt größer ist, dann wird so ein Spiel vielleicht möglich sein.
“Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.” Adorno
Vielleicht ist es auch barbarisch nach Ausschwitz Games zu zocken.
Ach, Ihr Spielväter (ich habe auch drei Kinder), wisst Ihr was?
. Solche Dinge wie Holocaust muss man nicht unbedingt über Computerspiele vermitteln.
Wie Grobi schon schreibt, IMAGINATION ist das Zauberwort. Im Idealfall noch Empathie.
Funktioniert wunderbar bei Menschen wie wir es sind. Natürlich kann man sich durch Medien anregen lassen, PANS LABYRINTH ist ein gutes Beispiel (inkl. Faschismus, Folter, etc).
Aber braucht die breite Masse das?
Damit sind wir dann aber wieder ganz schnell bei dem Thema/Artikel “Die Anderen”. Brauchen die “die Anderen” Computerspiele um mit dem Thema Holocaust konfrontiert zu werden? Ich finde die Idee nicht schlecht.
Ich (und meine Kinder) brauchen das aber nicht. Wir beschäftigen uns auch so mit dieser Thematik Holocaust, ohne “Causual-KZ-Games” oder was das auch immer werden sollte…
Wo wir gerade so schön vom Thema abschweifen:
Wie viele Papis und Mamis haben wir denn hier unter uns?
(Ich bin neugierig und kenne gerne meine Zielgruppe…)
Ich auch. Bin gerade ü30 und habe zwei Kurze.
Ich selbst bin Generation C64 und dann halt die übliche “Laufbahn” :-)… Heute: IT Beruf (Business Kasper), Gaming=Hobby.
Ich finde das erstaunlich kurz gedacht. “Wir brauchen keine Holocaust Spiele” klingt für mich wie “Ich will beim Spielen nur klicki bunti haben, und Hauptsache nicht nachdenken”.
Ich möchte behaupten, dass sich das Kulturgut der Spiele gerade in diesem Moment in einem Umbruch befindet. Es geht nicht mehr nur um “Let’s kill all ze bad guys”. es geht zunehmend darum Emotionen zu wecken und moralische Perspektiven ins Spiel zu bringen. Siehe das hart umkämpfte Bioshock. Siehe das wundervolle Braid, welches bei so vielen Menschen in Spieleforen Emotionen hervorgebracht hat, wie ich persönlich es noch nie gesehen habe.
Warum also nicht ein Spiel, dessen Thema der Holocaust ist? Wenn es stilvoll und stimmig gemacht ist, kann es in einem interaktiven Medium sicherlich mehr erreichen als die fünf Jahre Geschichtsunterricht, die ich ertragen musste und die mir jegliches Interesse am zweiten Weltkrieg gründlichst ausgebläut hat.
Unser Medium muss wachsen, und es WILL auch wachsen, das zeigt sich an allen Ecken und Enden. Und dazu muss es auch gestattet sein Themen aufzugreifen, die nicht jedem genehm sind. Ob man sich das dann selbst rein tut oder nicht, bleibt ja gottseidank immer noch jedem selbst überlassen.
Ansich finde ich das schon super das Spiele anfangen sich damit zu beschäftigen, solche Themen aufzugreifen aber ich finde das zumindest das Spiel, so wie es aussah, total fehlgeschlagen wäre. Warum? Weil das Spiel Edutainment versucht und Gameplay mit irgendwelchen Faktenwissen versucht zu kombinieren, als wolle man für die nächste Geschichtsklausur schreiben. Was vielmehr nötig wäre, wäre etwas wie Art Spiegelmans “Maus” oder “Gefangener auf dem Höllenplaneten” für Comics war, verdammt emotional mit der entsprechenden Verwurzelung… Und danach sah das Spiel leider nicht aus.
Woher willst du das wissen? Soweit ich weiß war doch so gut wie gar nichts über das Spiel bekannt, außer der Prämisse?!
Ich sag ja so wie es aussah. Oben nen Plattformer mit Schattengegnern vor denen man sich gruseln soll und unten irgendwelches isoliertes Faktenwissen. Wirkt für mich so als ob mal Call of Duty spielt und dann immer irgendwelche Texte eingeblendet bekommt wie viele Leute in den Kämpfen in der Realität umgekommen sind.
Hi, ich bin Baujahr 70, hab ne anderthalb Jahre alte Tochter und ich stimme Stanislaus zu. Manche Themen muß man nicht über Videospiele vermitteln. Oder könnt Ihr euch Spiel vorstellen, in dem es um HIV geht? Ich nicht und ich werde meiner Kleinen solche Dinge nicht per Videospiel vermitteln, sondern Sie, wenn Sie alt genug ist, vorsichtig über Filme, Bücher und vor allem Gespräche an das Thema heranführen.
@dreinulldrei:
Warum sollten Spiele es nicht genauso gut machen können wie etwa Filme?
Es gibt ein Spiel (Re-Mission) in dem es darum geht Krebs zu bekämpfen, speziell für Kinder entwickelt und in Studien hat sich herrausgestellt das die Kinder tatäschlich regelmäßiger und freiwilliger ihre Medikamente genommen haben, wenn sie das Spiel gespielt haben weil sie eingesehen haben warum sie dies machen müssen. Das Spiel ist ein Third-Person Shooter und die Waffen sind die verschiedenen Medikamente. Allgemein ein ziemlich erfolgreiches Spiel und ich finde die Idee einfach toll. Das Gameplay ist auch garnicht schlecht gemacht.
Puh, jetzt habe ich auch endlich mal Zeit, etwas umfangreicher zu antworten. Schön, dass alle Antworten in so einem vernünftigen Tonfall daherkommen!
@MK: ich war mir bewusst, genau solche Reaktionen zu provozieren. Letztendlich vertrete ich aber nicht diesen absoluten Adorno-Standpunkt, weil er mir nicht zusagt und ich ihn im Rahmen solcher Diskussionen für ein faules Totschlag-Argument halte. Ich meine, ich habe immerhin Spaß im Leben. Trotz Auschwitz. Von dem Halbsatz zu den Games lasse ich mich auch nicht reizen ;-)
@”die Spiele lehren uns den Holocaust”-Fraktion: ich bemühe mich, mir die Welt nicht in schwarz-weiss einzuteilen. Das klappt natürlich nicht immer. Eigentlich bin ich auch der Meinung, den Text in einem weitestgehend versöhnlichen Ton geschrieben zu haben, gerade auch was die letzten paar Zeilen angeht. Natürlich ist “Ton” nicht gleich “konkret ausformuliert” und dann geht da einiges verloren. Ich muss ebenfalls gestehen, mir erst im Laufe der Schreibarbeiten – und die haben gedauert – einigermassen über meinen eigenen Standpunkt klar geworden zu sein. Selbstreflektion und so. Die Blog-Kollegen, die schon im Vorfeld ein paar verschiedene Versionen ertragen mussten, können bestimmt ein Lied davon singen ;-) In einem gewissen Rahmen bin ich auch noch in diesem Findungsprozess. Ich frage mich allerdings, wer hier bei dem Thema Holocaust-Edutainment wirklich zu kurz denkt. Passt der Edutainment-Begriff überhaupt? Wir müssen auf jeden Fall auf den Kontext achten, in dem wir darüber diskutieren. Ich versuche, dass mal aufzudröseln:
1.) “Imagination…”, das konkrete Beispiel. Natürlich wird daraus jetzt nichts mehr. Natürlich hat niemand das Spiel gesehen. Aus den spärlichen Fakten, also den paar Screenshots der DS-Version, ziehe ich aber dieselben Schlüsse wie Kreon. Ich wiederhole: ein Plattformer-Spielprinzip, die Gegner sind dunkle mit Hakenkreuzen bemalte Figuren und nebenbei gibt’s kalte Fakten serviert. Da bleibe ich hart bei meinem Standpunkt: das ist Bullenkacke. Aber auch hier darf ich mich kurz mit Ullibaba sympathisieren und sagen: ich habe es nicht explizit geschrieben, aber ich hätte mir ebenfalls gerne das Ergebnis angeschaut. Um es dann detailliert zu verreissen. Im Lichte der letzten Ereignisse stelle ich mir auch die Frage, von welcher Qualität seine Spiele und seine Motivation überhaupt sein könnten, wenn er nach dem ersten Gegenwind schon die Flinte ins Korn schmeisst.
2.) Holocaust-Spiele als Kaufsoftware oder für umme. Eine simple Frage dazu: wer soll das kaufen bzw. runterladen? Vielleicht reicht meine Phantasie nicht aus, aber abgesehen von ein paar Eltern, die das Teil als Erziehungsmaßnahme verschenken, sind die potentiellen Käufer und Herunterlader meiner Meinung nach die Leute, die sich ohnehin für das Thema interessieren. Wer hat sonst noch “Global Conflicts: Palestine”? Ich sehe da höchstens marginalen Nutzen. Eine Lücke wäre vielleicht noch die ansprechende Platzierung des Themas in einem “Normalo”-Spiel. Ein Spiel braucht valide, für sich stehende Spielmechaniken bei gleichzeitiger Einbeziehung des zu vermittelndes Stoffs. Idealerweise hat das Spielprinzip direkt mit dem Thema zu tun. Wie sollte so ein Spiel aussehen? “KZ-Manager”? Okay, das war ‘ne fiese Provokation. Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich mir ggf. ein Adventure vorstellen. Vielleicht auch, weil da die Nähe zu den klassischen Erzählmedien noch am größten ist.
Natürlich hat die Zielgruppe erstmal nichts mit der Realisierbarkeit zu tun, aber sehr wohl mit der inhaltlichen Konzeptionierung. Da geht’s um die Frage, was ich wem vermitteln möchte. “Der Holocaust” an sich ist ein wahnsinnig umfangreiches Thema. Vielleicht habe ich mich in meiner kategorischen Ablehnung zum Einen vom Emotionalen (immer ein schlechter Ratgeber) und zum Anderen zu stark auf “Imagination…” bezogen. Ich lerne ja auch dazu und sehe inzwischen ein, dass man dem Neueinsteiger vielleicht ein Spiel an die Hand geben könnte. Da denke ich auch schon konkret an Software für den Unterricht. Ich habe ja schon eine Ewigkeit lang keine Schulbank mehr gedrückt, insofern bin ich da überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. Wird sowas im Rahmen von Unterricht schon eingesetzt? Das wäre dann eventuell leichter zu ertragen als die drögen Geschichtsstunden, die sicher nicht nur m.a. ertragen musste.
Trotzdem will ich betonen, dass ich hier schon von Projekten rede, die einen sehr starken Lehr- und Trainings-Charakter haben. Bei sowas steht Lernen und nicht Spielvergügen im Vordergrund. Dem Gegenüber steht dann Unterhaltungssoftware mit Holocaust-Bezug. Ich habe zwar eben noch von Adventures gesprochen, darüber hinaus habe ich immer noch Probleme, mir sowas vorzustellen. Habt ihr da Ideen?
Klar ist, dass das Medium Videospiele sich nicht mehr nur über HD-Grafiken und Surroundsound und Titten aufm Cover weiterentwickeln kann. Zur Evolution bedarf es Grenzgänger und Grenzüberschreitungen. Sowas scheitert sicherlich häufig, aber selbst im Scheitern hätte ein Titel wie “Imagination…” einen gewissen Wert gehabt.