Wer versucht, es allen recht zu machen, macht es am Ende niemandem recht. Warum sonst sollte ein im Grunde gelungenes Spiel wie DiRT 4 auf Steam so durchwachsene Nutzer-Kritiken erhalten? Wen will der neueste DiRT-Teil ansprechen? Die Simulations-Fans, wie es DiRT Rally tat? Oder eher die Spaß-Fraktion, auf die man mit den vorangegangenen DiRT-Spielen zielte?
Rekapitulation: Bei den von 1998 bis 2004 erschienenen Colin-McRae-Rally-Spielen legte Codemasters Wert auf einen gelungenen Kompromiss zwischen Realismus und Spielbarkeit. Mit der Umbenennung in Colin McRae: DiRT wurde die Reihe ab 2007 aber arcade-lastiger und amerikanischer ausgerichtet, neue Spielmodi wie Landrush und Rallycross kamen hinzu. Nach dem Tode Colin McRaes übernahm Ken Block als technischer Berater, was uns in DiRT 3 Highlights wie Gymkhana bescherte, wohl so ziemlich das unspaßigste, was ich in einem „Fun“-Racer jemals erlebt habe. Die klassische Rally hingegen spielte keine große Rolle mehr.
Das änderte sich mit dem Early-Access-Projekt DiRT Rally von 2015 radikal: Nicht nur stand Rally wieder im Vordergrund. Auch wurde der Fokus drastisch in Richtung akkurater Simulation verschoben. Damit zog DiRT Rally selbst an den älteren Colin-McRae-Serienteilen vorbei und stand viel eher in Tradition eines Richard Burns Rally. Das Spiel gewann schnell viele Fans. Die hatten teils über zehn Jahre, in denen es bestenfalls Durchschnittsware wie die WRC-Reihe von Milestone gab, auf ein neues, herausragendes Rally-Spiel gewartet. Entsprechend verhalten war die Reaktion, als Codemasters Anfang 2017 nicht etwa das erwartete DiRT Rally 2 ankündigte, sondern DiRT 4.
Entwarnung
Auch in DiRT 4 spielt die klassische Rally aber ganz klar die erste Geige. Die simulationslastige Fahrphysik wurde nicht eins zu eins aus DiRT Rally übernommen, zumindest am Gamepad fallen die Änderungen aber dezent aus. Speziell auf Asphalt und Schnee hat die Simulation im Vergleich zum Vorgänger tendenziell sogar gewonnen, Sound und Force Feedback vermitteln hier ein besseres Gefühl für den Untergrund als bisher.
Wem das Handling zu nervenaufreibend ist – DiRT Rally wird ja nicht umsonst gern Dark Souls Rally genannt -, kann alternativ statt des Simulations- auch einen „Gamer“-Modus mit dem Untertitel „Ich will Spaß!“ auswählen. Dank diverser Fahrhilfen, mehr Grip auf der Straße und magisch starker Bremse ist das Herzinfarkt-Risiko hier deutlich geringer. Dadurch wird DiRT 4 aber nicht zu einem völlig anderen Spiel, es verzeiht nur mehr. Die Fahrphysik bleibt differenziert. Für mein Empfinden ein großer Schritt im Vergleich zu DiRT 2 und 3.
Sehr viel weiter reicht das Entgegenkommen für „Gamer“ allerdings nicht. Die aus DiRT 3 bekannten einblendbaren Ideallinien? Weg! Dafür gibt es nun eine richtige Rally-Fahrschule statt der Handvoll Einführungsvideos aus DiRT Rally. Die Rückspulfunktion aus DiRT 1 bis 3, mit der man im Falle eines Baumknutschers die letzten fünf Sekunden ungeschehen machen konnte? Weg! Im Singleplayer kann man immerhin die gesamte Etappe noch einmal neu starten, in den aus DiRT Rally zurückgekehrten Online-Tages-, Wochen- oder Monatsherausforderungen geht nicht einmal das. Gut so! So ärgerlich es sein mag, gegen Ende einer 12-Minuten-Etappe einen unnötigen Ausflug ins Gebüsch hinzulegen, so sehr macht eben gerade die Tatsache, dass Fehler teils drastische Auswirkungen haben, den Reiz und den Nervenkitzel von DiRT Rally und DiRT 4 aus.
Auch sonst müssen bei dem Wort „Gamer“ nicht gleich die Alarmglocken schrillen: Die bombastische, auf mich eher bemüht lässig wirkende Event-Inszenierung von DiRT 1 bis 3 kehrt nicht zurück. Die Menüs sind in Teil 4 etwas bunter als in DiRT Rally, das war es aber auch schon. Es gibt zwar wieder einen Sprecher, der aus dem Off durch das Spiel leitet, mit Sprüchen wie „Das war absolut Klasse!“ zu motivieren versucht und wertvolle Tipps wie „Fahr schneller!“ und „Gib Gas!“ gibt. Das bleibt aber alles in einem tolerierbaren Rahmen, ohne den aus DiRT 3 bekannten „Das muss die Welt gesehen haben! Lade es sofort bei YouTube hoch!“-Irrsinn.
Bei der Grafik hat man die Prioritäten ähnlich gesetzt. Setzten die alten Teile auf Effektgewitter mit 30 Frames pro Sekunde, liefert Teil 4 zugunsten einer präzisen und möglichst lagfreien Steuerung 60 Frames pro Sekunde ab, auch um den Preis, nur minimal besser als DiRT Rally auszusehen. Die Spielbarkeit bleibt wichtiger als die reine Optik. Auf einen Bloomfilter wie in DiRT 1, der den Bildschirminhalt in braune Matsche verwandelt, wird verzichtet. Lediglich die Farben sind knackiger als in DiRT Rally, was besonders in Wales auffällt, das in beiden Spielen mit Strecken vertreten ist.
Neben der Rally bietet DiRT 4 die Modi Landrush und Rallycross, die beide etwas unter ihrer eingeschränkten Streckenauswahl leiden. Mehr als nette Dreingaben sollte man hier analog zu Rallycross und Hillclimb in DiRT Rally nicht erwarten. Mit Landrush, bei dem man in Buggies oder Trucks auf staubigen Pisten gegen sieben KI-Gegner antritt, hatte ich aber noch ganz andere Probleme. Dank ihres Hinterradantriebs fahren sich insbesondere die Buggies im Simulations-Modus nämlich ausgesprochen zickig und brechen gerne mal aus. Was eine nette Herausforderung wäre, wenn man allein auf der Strecke unterwegs wäre, nimmt unangenehme Formen an durch eine rempelfreudige KI, die kaum aus der Bahn zu werfen ist, während jeglicher Fahrzeugkontakt mich als Spieler schnell viel Zeit und die Platzierung kostet.
Ich will gar nicht behaupten, dass das unrealistisch wäre. Kann ja sein, dass diese für ihr Gewicht ziemlich stark motorisierten Buggies schwerer zu kontrollieren sind als ein von Hornissen verfolgtes Rennpferd. Mir macht es bloß keinen Spaß, Rennen nur dann halbwegs passabel zu überstehen, wenn ich mich direkt zum Start an die Spitze setzen kann und es schaffe, dort zu bleiben. Erst in der letzten Meisterschaft der Landrush-Kampagne gibt es Allrad-Trucks, weshalb das Kampagnen-Finale kurioserweise deutlich leichter ist als alles zuvor.
Setzbaukasten
Im klassischen Rally-Modus kann man sich über einen Mangel an zur Auswahl stehenden Strecken theoretisch nicht beschweren. Nur praktisch. Fünf verschiedene Gegenden bringt DiRT 4 mit: Australien, Spanien, Michigan, Schweden und Wales, wobei man Wales und Schweden schon aus DiRT Rally kennt und Michigan geradezu erschreckend abwechslungsarm daherkommt. Im Your-Stage-Modus will das Spiel nach Vorgabe von Tageszeit, Wetter, Streckenlänge und –komplexität immer wieder neue Wertungsprüfungen in diesen Landschaften erzeugen können. Voilà: Unbegrenzte Streckenanzahl!
Das angestrebte Ziel, dass Spieler die Strecken nicht auswendig lernen können, sondern sich auf die Ansagen des Copiloten verlassen müssen, der nach dem bekannten Muster “sechs links, 200 über Gerade, drei rechts durch Senke” die jeweils vor uns liegenden Kurven und Hindernisse ankündigt, wird dabei absolut erreicht. Noch nie habe ich in einem Rally-Spiel auch nach Tagen und Wochen so intensiv meinem Beifahrer gelauscht wie hier.
Grafisch ist die Streckenverwürfelung ebenfalls grundsätzlich gelungen. Wo und wie die einzelnen Versatzstücke aneinandergefügt sind, verschleiert das Spiel hervorragend. Die ganze Strecke und auch das Umfeld wirken wie aus einem Guss, ohne erkennbare Brüche. Bei allem, was ich im Folgenden noch zu meckern habe, möchte ich deshalb festhalten: Man merkt, dass bei Codemasters enorm viel Zeit und Mühe in diesen Modus investiert wurde, und das Ergebnis ist weit besser, als ich im Vorfeld vermutet hätte.
Dumm nur, dass die Anzahl an Bauteilen so stark begrenzt ist. Wann immer es in Australien über eine Brücke geht, ist es im Grunde immer dieselbe Brücke. Schon wenn ich die Ansage höre, weiß ich inzwischen, wie die nächste Haarnadelkurve aussehen wird, weil es pro Landschaft nur zwei oder drei Variationen gibt. Nur mit dem Dekor wird variiert. Zäune, Publikum und Autos hinter der Absperrung werden durchaus freier platziert. Das ändert aber nichts daran, dass eine „drei rechts durch Senke“ in Schweden beispielsweise immer dieselbe Kurve ist. Unter dem Strich bringt DiRT 4 so wenige Streckenbauteile mit, dass sie sich selbst innerhalb einer einzigen, längeren Wertungsprüfung oft schon mehrfach wiederholen.
In der Kampagne wird das leider nicht viel besser, denn auch dort sind die Strecken aus diesen wenigen Bauteilen zusammengesetzt. Andererseits sind die Etappen nicht vom Computer generiert, sondern offensichtlich von Hand designt. Gerade gegen Ende der Rally-Kampagne gibt es ein paar sehr schöne Passagen, die der Your-Stage-Zufallsgenerator wohl nur mit sehr viel Glück so ausgeworfen hätte. Dafür variieren die Strecken aber auch nicht. Wenn ich eine Meisterschaft ein zweites Mal starte, kenne ich die Strecken schon. Nichts mit „immer wieder neu“: In der Kampagne kann ich die Strecken auswendig lernen wie in früheren Rally-Spielen auch.
Und auch wenn das vielleicht unrealistisch ist und Rally-Fahrer in der Realität absolut von ihren Beifahrern abhängen: Ich finde das im Prinzip nicht schlimm. Ich bin die Strecken in DiRT Rally gerne immer wieder gefahren, mit unterschiedlichen Fahrzeugen, wechselnden Tageszeiten und Witterungsbedingungen, und habe sie so immer besser kennengelernt. Denn es waren hervorragende Strecken mit pro Gegend sicher mehreren hundert einzigartigen, handgebauten Kurven. DiRT 4 dagegen hat pro Austragungsort vielleicht ein paar Dutzend einmalige Streckenbauteile.
Ich vermute sogar, dass die Kritik vieler DiRT-Rally-Fans am Schwierigkeitsgrad von DiRT 4 dort ihren Ursprung hat, und nicht wie oft geäußert in irgendeiner “Verwässerung” des Fahrmodells für die Casuals: Durch die fehlende Varianz sind die Strecken leichter als die des Vorgängers. Nichts hier ist auch nur annähernd so anspruchsvoll wie der Col de Turini in DiRT Rally.
Fazit
Während ich die klassische Rally nie anders als im Simulations-Modus fahren würde, habe ich in Landrush eigentlich nur im „Gamer“-Modus Spaß. Da werden positive Erinnerungen an DiRT 2 geweckt. Da wird mir wieder klar, was ich an DiRT 2 eigentlich mochte, obwohl ich die ganze DiRT-Reihe wegen ihrer Vernachlässigung der klassischen Rally immer kritisch sah. Da frage ich mich aber auch, ob all das, was Codemasters in DiRT 4 unterbringen wollte, wirklich in ein einziges Spiel gehört. Zumal Landrush hier schon vom Streckenumfang und der Länge der Kampagne her kaum mehr als ein netter Bonus ist. Wegen Landrush sollte man das Spiel nicht kaufen.
Dass DiRT 4 aber selbst für simulationsorientierte Rally-Spieler nicht an DiRT Rally herankommt, sondern es allenfalls gut ergänzt, liegt paradoxerweise nicht an Rücksichtnahme auf Gelegenheitsspieler, sondern an einem Modus, der gerade für die Experten neu hinzugefügt wurde: Your Stage. DiRT Rally habe ich für die PS4 ein zweites Mal zum Vollpreis gekauft, nachdem ich auf dem PC schon über 140 Stunden absolviert hatte. In DiRT 4 habe ich nach geschätzen 20 bis 30 Stunden das Gefühl, im Grunde alles gesehen zu haben.
Wem DiRT Rally zu hart war, der bekommt mit DiRT 4 ein einsteigerfreundliches und dennoch kompetentes Rally-Spiel. Australien und Spanien als Strecken-DLCs für DiRT Rally wären mir persönlich aber lieber gewesen.
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