Ein Reboot der Saints Row-Reihe, zumal weiterhin in der Hand des Original-Entwicklers Volition, klang für mich gar nicht mal schlecht. Warum? – Nun, was 2006 noch als ernsthafter Grand Theft Auto-Konkurrent startete, wurde spätestens mit Saints Row: The Third (2011) zur völlig überdrehten GTA-Parodie. Im vierten Teil (2013) gab’s dann sogar eine Alien-Invasion (inklusive der Zerstörung der Erde!), was die Macher aber nicht davon abhielt, mit Gat Out Of Hell (2015) noch weiter an der Irrsinnsschraube zu drehen und allen Protagonisten auch noch Superkräfte zu verleihen. Inhaltlich hatte Volition die Serie gewissermaßen in eine Sackgasse gefahren. Alle Regler standen bereits auf 11. Das noch zu toppen und trotzdem dem Kern, einem Open-World Third-Person-Shooter mit Karren, treu zu bleiben, wäre schwer möglich gewesen…
Herausgekommen ist ein Spiel, das storymäßig komplett bei Null anfängt. Man muss mit einer Gruppe völlig neuer Protagonisten die Gang The Saints erneut gründen und sich gegen die bestehende Konkurrenz in der fiktiven Stadt Santo Ileso durchsetzen. Vom Ton her fühlt es sich wie eine „Maulkorb-Version“ von Saints Row 2 an: Noch nicht komplett durchgedreht und over-the-top, aber der Humor, vor allem die witzigen Dialoge, sind vorhanden. Allerdings ist alles viel bodenständiger als man es seit The Third kennt und auch nicht mehr so grenzüberschreitend. Es macht immer noch Spaß, den Figuren bei ihren Dialogen und Wortgefechten zuzuhören und einige Einfälle, wie beispielsweise die LARPer-Missionen, bei denen niemand wirklich getötet wird, sondern man mit Nerf-Knarren und Schaumstoffschwertern gegen andere LARPer kämpft und alle gestelzt in der dritten Person sprechen, sind immer noch reines Comedy-Gold. Aber wer die Serie (wie ich) erst ab dem dritten Teil so richtig klasse fand, und zwar genau wegen des respektlos-abgedrehten Humors und der aberwitzigen Missions-Ideen, wird eher enttäuscht sein. Und das gar nicht mal, weil sich das Reboot merklich bemüht, weniger Leuten durch geschmackliche Grenzüberschreitungen auf die Füße zu treten (nein, es gibt keinen lila Riesendildo als Nahkampfwaffe mehr…), sondern weil die Überdrehtheit, inhaltlich, wie spielerisch, die Reihe für mich über Jahre mehr oder weniger definiert und gegenüber anderen GTA & Co.-Spielen abgegrenzt hat. Diese Eigenschaften fehlen dem Reboot zwar nicht gänzlich, aber das Zurückdrehen der Regler von 11 auf, ähm, sagen wir mal 6, hat schon etwas von Identitätsverlust, auch wenn ich die Gründe dafür, wie eingangs geschildert, durchaus nachvollziehen kann.
Santo Ileso ist wirklich sehr groß und vollgestopft mit optionalen Aktivitäten. Schade nur, dass die meisten davon sehr konventionell sind und man sie schon tausendmal in anderen Open-World-Titeln gespielt hat. Das ganze Welt- und Missionsdesign ist sicher nicht schlecht, wirkt aber leider wie ein GTA von gestern. Das liegt primär daran, dass man bei diesem Reboot nicht nur bei der Story, sondern insgesamt ein paar Gänge runter geschaltet hat. Es fehlen eben auch im Gameplay die abgefahrenen Idee, die die Serie in den letzten zwei bis drei Teilen ausgemacht haben. Und wenn man Saints Row große Teile seiner frechen Beklopptheit nimmt, bleibt am Ende des Tages eben nur ein wenig aufregender GTA-Klon mit witzigeren Dialogen über.
Dass die Grafik-Engine inzwischen auch Raytracing und anderen aktuellen Schnickschnack kann, das Spiel unterm Strich aber „nur“ schick, aber nicht wirklich beeindruckend aussieht, hat mich nicht weiter gestört, weil die Reihe, außer vielleicht beim allerersten Teil, in dieser Hinsicht noch nie herausragend war. Allerdings macht ein Haufen Kleinigkeiten, wie Clipping-Fehler oder manchmal zu spät nachladende Texturen, den Eindruck, dass dem Spiel technisch teilweise das letzte Polishing fehlt. Die massiven Bug-Orgien, von denen ich gelesen habe, kann ich aus eigener Erfahrung allerdings nicht bestätigen, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich die PC-Version gespielt habe. Das Einzige, was mich wirklich angenervt hat, war das schlechte Aiming mit dem Controller. Man hat zwar die Möglichkeit, Gegner mit der linken Schultertaste aufzuschalten, was dann theoretisch Autoaiming bringt, nur leider gelingt das nicht richtig, weil die Gegner alle so wild in der Gegend herumlaufen und wie die Verrückten Ausweichrollen machen, dass die Aufschaltung nach dem ersten Schuss nur noch hinter dem Gegner her eilt und alle Folgeschüsse ins Leere gehen. Ich habe das dann dadurch kompensiert, dass ich die Aufschaltung ständig losgelassen und wieder gedrückt habe. So traf ich dann zwar, aber ich glaube nicht, dass das so sein sollte…
Ansonsten sind die grundlegenden Mechaniken in Saints Row aber okay. Das Gunplay ist okay, das Herumfahren ist okay und das Kämpfen aus Fahrzeugen heraus sogar mehr als okay. Eine Sache, die man bei Rockstar Games ja bis heute nicht vernünftig hinbekommen hat… Allerdings auch hier die alles umspannende Kritik an diesem Reboot: Das Herunterdrehen aller vormals am Anschlag stehender Regler fordert auch beim Waffenarsenal und den daraus resultierenden Kämpfen seinen Tribut. Die zur Verfügung stehenden Waffen sind alle Genre-Standards und lassen einen die irren Einfälle der Vorgänger schmerzlich vermissen. Aufgewertet werden die Kämpfe lediglich durch ein paar freischaltbare Spezial-Fähigkeiten, wie beispielsweise der Move, der es einem erlaubt, einem Gegner eine Handgranate in die Unterwäsche zu stecken und ihn dann zu seinen Kollegen zu schubsen.
Alles in allem ist das Saints Row-Reboot eigentlich kein wirklich schlechtes Spiel. Wer mit der Serie bisher nichts am Hut hatte und einfach nur ein GTA-artiges Open-World-Spiel sucht, wird gar nicht mal so schlecht bedient. Sollte es wirklich Fans der Reihe geben, denen alles nach dem zweiten Teil einfach zu verrückt wurde, dann ist das neue Saints Row vielleicht sogar genau das, worauf sie gewartet haben. Außerdem wird hier zum ersten Mal in der Serie ein Kampagnen-Online-Coop geboten, der vielleicht auch ganz spaßig ist (habe ich nicht ausprobiert…). Für mich allerdings, als erklärter Freund speziell der Teile drei und vier, ist Saints Row (2022) kein echtes Saints Row mehr. Die LARPer-Missionen sind die einzige wirklich tolle Idee, die ich aus dem Spiel als bleibende Erinnerung mitnehmen werde. Und selbst die wäre in den beiden Vorgängern vermutlich in einem Meer aus tollen Ideen untergegangen…
4 Kommentare
Ein Spiel, das ich nichtmal gratis zur Grafikkarte dazuwill.
Completely unrelated, will mir jemand einen Saints Row-Key abkaufen? Ich habe gehört, es ist sehr gut!
Der derzeit niedrigste Preis am 19-09-2022 für einen Saints Row-Schlüssel in Deutschland beträgt € 16.19
Also bei dem Preis wäre ich ja tatsächlich dabei. Aber Epic Games Dingens-Gedöhns? Nö. (Ich brauche nicht noch einen Game-Launcher/Store der mich mit Gratis-Titeln zumüllt, die ich dann eh nicht spiele.)
Mal im Ernst: Für 16 Euro ist das eigentlich ein No-Brainer, wenn du das Genre grundsätzlich magst.
Ja, das sage ich auch. Der “Brainer” an dem Angebot ist eher die Fischigkeit in der es riecht. Und natürlich, dass es wohl kein Steam-Key ist.
(Ich habe keine Ahnung, ob beim EGS der Graubereich irgendeine Relevanz hat.)