Ich bin ein relativer Späteinsteiger in rundenbasierte Strategie im Allgemeinen und die Civilization-Serie im Speziellen, will heißen, ich bin erst seit Civilization V dabei. Das bedeutet, ich muss erfahreneren Spiele-Journalist*innen glauben, wenn sie sagen, dass genau ab diesem Zeitpunkt ein Wandel in der Reihe stattgefunden hat, weg vom weiter herausgezoomten Boni-Gameplay von Civilization IV und davor, hin zu offenliegenden Zahlen auf den Stadt- und Umlandfeldern. Sichtbar wurde das für mich wie für viele andere besonders durch Civilization VI, dessen platzierbare Distrikte durch ihre Nachbarschaftsboni mehr mit platzierbaren Kärtchen in Catan oder Dorfromantik gemeinsam haben als mit dem Stadtsystem früherer Civilization-Titel. Gleichzeitig adaptierte Civ VI im Gegensatz zu seinem direkten Vorgänger auch viel offener seine Verwandschaft zum Brettspiel, von den comichaften, hellen Farben, die den Stil plötzlich dominierten, bis zum besagten Bau einer Distrikt-Landschaft, die dem Plättchenlegen am Esstisch gleicht. Das hatte für mich viele Vorteile, die mich überhaupt erst so richtig zum Serienfan machen konnten. Zum einen bin ich, ganz subjektiv, großer Fan des Comicstils, insbesondere der Designs der Anführer*innen im Spiel. Diese waren mit so viel Liebe gestaltet, hatten die richtige Menge an Gestik und Mimik für alle diplomatischen Situationen und sprachen jeweils charmante Einwürfe in ihrer eigenen Herkunftssprache. Zum anderen machte das Design Civilization VI aber auch unglaublich gut lesbar und damit, trotz Verschiebung hin zum Maximieren von Nummern, sehr einsteigerfreundlich. Jede Ressource war farbcodiert, und jeder Bezirk auf der Karte trug die Farbe seiner Ressource: Kulturgebäude waren violett, Wissenschaft blau, ökonomische gelb und so weiter. Dazu war keine Stadt größer als circa zehn Distrikte, der Rest ihres Einflussgebietes bestand aus ländlichen Verbesserungen, die wunderbar mit dem Distriktsystem harmonierten. Ja, ich war stets auf Nachbarschaftsboni aus, doch diese bewegten sich im einstelligen Bereich: Ein Distrikt mit einem +6-Bonus aus seiner Umgebung war extrem gut, ein +8-Bonus gar phänomenal.
Hier setzt mein Hauptkritikpunkt an Civilization VII an, und er ist es auch, der mich zunächst einmal davon abhalten wird, viele Partien in Firaxis’ neuestem 4X-Strategiespiel zu bestreiten. Nicht das offensichtlich kurz vor Release schnell noch über den Haufen geworfene UI, das mit dem ersten großen Patch vermutlich schon wieder verschwunden sein wird, und mit dem ich auch so ganz gut leben kann. Auch nicht die Anzeigefehler, die mich immer wieder fragen, ob ich mein bereits vorhandenes Stadtzentrum denn auch wirklich in ein urbanes Feld umwandeln möchte. Nein, Civilization VII macht einen großen Schritt weg vom Brettspieldesign seines Vorgängers. Wo kleine Zahlen und klare visuelle Kommunikation Civ VI ausmachen, versinkt Civ VII in einer Number-Cruching-Simulation, die mich unangenehm an die Hardcore-Gamer-Rufe (abfällig gemeint) der Anfangszeit von Teil 6 erinnern. Das Städtemanagement hat sich radikal verändert, auf eine Art, die viel mehr an Endless Legend, Old World und Humankind erinnert, als die zwischen den aktuell drei Akten des Spiels wechselnden Zivilisationen. Imperien bestehen nun aus Stadt- und Landfeldern, wobei erstere immer über ein anderes Stadtfeld mit dem Stadtzentrum verbunden sein müssen. Wo ich im Vorgänger also Distrikte an die ideale Position in der Landschaft gesetzt habe und so das Gefühl bekam, mit der Landkarte zu spielen, schlänge ich meine urbanen Gebiete nun zwischen Ressourcen hindurch auf das Feld zu, wo ich eigentlich bauen wollte, beispielsweise neben einem Gebirge. Die Nachbarschaft von Stadtfeldern ist dabei bedeutend wichtiger geworden als die von Ressourcen und Wundern, wie es vorher der Fall war. Das scheint aus der Not geboren zu sein, denn jede Siedlung in Civilization VII besteht irgendwann aus unzähligen Stadtfeldern. In jedem der drei Zeitalter Antike, Erkundung und Moderne schalte ich mehrere Dutzend Stadtgebäude frei, von denen ich je zwei gemeinsam auf ein Feld setzen kann. Besondere Kombinationsboni, wie sie im Werbematerial des Spiels im Vordergrund standen, sind dabei weitestgehend Schlangenöl: Nur einige Nationen besitzen einen solchen Bonus, wie etwa die Griechen, die ein Odeon und ein Parthenon auf demselben Feld zu einem sehr hübschen und eindeutig erkennbaren Quartier, der Akropolis, kombinieren können. Alle anderen Stadtfelder sehen nicht nur vollkommen gleich aus, was die Übersicht stark beeinträchtigt, sie es ist abgesehen von einigen Zahlenwerten auch vollkommen egal, wie man sie kombiniert. Warum man die Quartier-Mechanik nicht ausgeweitet hat, sodass beispielsweise eine Kornkammer und eine Mühle einen einzigartigen Nahrungsbereich erschaffen, ist mir völlig unverständlich. Das hätte, kombiniert mit der entsprechenden Visualisierung, auch das große grafische Problem gelöst, das ich mit Civilization VII habe. Der Artstyle und die Grafikoptionen sind atemberaubend schön, doch die Übersicht über mein Reich, geschweige denn über die Reiche meiner Gegner, geht mir vollkommen abhanden. Ich weiß schlicht nicht, was ich in einer Stadt schon gebaut habe, weil die Stadtfelder sich alle so sehr ähneln. Das wird nur schlimmer, wenn man in eines der späteren Zeitalter aufsteigt. Denn dann verlieren die meisten vorherigen Gebäude ihre Fähigkeiten, abgesehen von allgemeinen Warenhäusern wie der Kornkammer und über spezielle Siegbedingungen freigeschaltete, sogenannte Golden-Age-Gebäude – die großen antiken Bibliotheken einer wissenschaftlich versierten Zivilisation etwa erhalten ihren Bonus auch im Erkundungszeitalter, während die Bibliotheken einer eher handelsbasierten Nation das nicht tun. Von diesen nutzlos gewordenen Gebäuden möchte das Spiel, dass ich sie überbaue, was mir unter Umständen Baumaterial beim neuen Gebäude spart und mir während der Moderne außerdem die Gelegenheit gibt, Ausgrabungen verschütteter Gebäudeteile vorzunehmen. Eigentlich eine spannende Idee, doch da ich sowieso die ganze Zeit irgendwohin baue und Dächermeer an Dächermeer reihe, achte ich irgendwann nicht mehr auf die Gebäude, die ich abreiße. Mag sein, dass das in sich schon wieder ein Kommentar auf neuzeitliche und moderne Stadtplanung ist, aber als Spieler verwirrt es mich nur.
Dazu kommt, dass die Zahlenwerte, mit denen ich in Civilization VII jongliere, wirklich absurd geworden sind. selbst die kleinsten Gebäude in der Antike beginnen bei Nachbarschaftsboni von sechs, sieben Ressourcenpunkten, in der Moderne fangen sie bei zwanzig an. Während außerdem die Spezialistenmechanik, die im Wesentlichen einen Ressourcenmultiplikator pro Feld darstellt, in den vorherigen Spielen eher optional war, ist sie hier quasi ein Muss. Nicht nur, weil ich sonst beim Wachstum meiner Gegner nicht nachkomme, sondern weil der Wissenschaftssieg sie sogar explizit voraussetzt, ohne sie jedoch richtig zu erklären. Setze ich also Spezialisten auf meinen besten Stadtfeldern ein, rechne ich mich zunächst durch die ideale Kombination, um festzustellen, wo ich bei 41,5 und wo bei 42 Punkten lande und ob ich lieber einen Punkt mehr Produktion oder zwei Punkte mehr Kultur möchte. Genau dieser wilde Zahlenfokus hat mich bereits an Old World genervt, und auch hier bringt er mir keine Freude. Dazu kommt, dass die Not, meine Stadt immer mehr zu erweitern, auch die landschaftlichen, einzigartigen Spezialfelder vieler Zivilisationen und befreundeter Stadtstaaten enorm entwertet. Früher oder später muss ich die Terrassenfarmen meines Inkareichs überbauen, obwohl sie mir optisch große Freude bereiten, sie eigentlich zu meinem Spielstil passen und für mich einfach zum Match als südamerikanische Zivilisation dazugehören. Doch solche Sentimentalität kann ich mir gerade auf den höheren Schwierigkeitsgraden nicht erlauben, ohne ins Hintertreffen zu geraten. Wo ich Civilization VI irgendwann neben dem Gucken einer Serie als gemütliches Plättchenlegespiel wie Dorfromantik spielen konnte, setze ich beim Ausführen meiner Civ-VII-Runden regelmäßig das Gesicht aus dem Confused Math Lady Meme auf und kann mich auf nichts anderes konzentrieren.
Dieser überbordende Fokus auf Nummernwerte hat es leider auch ins Metagame geschafft, denn wie es offenbar jedes prestigeträchtige Game heute haben muss, spart auch Civilization VII nicht an einem matchübergreifenden Erfahrungspunktesystem. Sieben Wunder als Augustus gebaut? Nimm doch 25 EXP dafür! Damit kannst du einen schicken neuen Rahmen für dein 2K-Profilfoto freischalten, das vermutlich nie jemand sehen wird. Ganz ignorieren kann ich das System allerdings dann doch wieder nicht, da die geschafften Herausforderungen auch Attributpunkte freischalten, die ich in ein Match mitnehmen kann. Ja, die Anführer*innen haben nun einen Attributbaum, der in unterschiedliche Spielweisen aufgeteilt ist, sich pro Match resettet wie in einem MOBA und für den ich mir spielübergreifend bestimmte Boni sichern kann. Warum sollte Hatshepsut auch keinen Bonus auf Kulturgebäude bekommen, weil ich viele Matches zuvor mit Pachacuti Suzerän von drei Stadtstaaten geworden bin? Diese Metastruktur passt zu 2K und seinem Fokus auf zusätzliche Accounts und die Einbindung ins firmeneigene Mediennetzwerk, aber zu Civilization passt sie nicht.
Alles in allem ist Civilization VII für mich in seiner aktuellen Form eher als Untersuchungsobjekt interessant, und ich denke, gerade für angehende Game Designer steckt hier eine Menge Lernpotenzial darin. Was mich am Spiel dabei am meisten fasziniert, ist wohl, wie sehr in seinen Designentscheidungen der experimentelle Schaffensprozess von Firaxis offenbart wird. Fast alle der neuen Mechaniken kann ich auf eine Grundform zurückführen, die das Studio in weniger profiliertem Zusatzcontent von Civilization VI und sogar Civilization V ausprobiert hat. Der Umgang mit Barbaren und Stadtstaaten war in fast genau dieser Form teil der experimentellen Zusatzmodi im Leader Pass von Civ VI, ebenso wie der Umgang mit Fabrikressourcen im Modernen Zeitalter und die neue Mechanik rund um Große Persönlichkeiten, die nun nur noch bei bestimmten Völkern eine Rolle spielen und ganz ähnlich funktionieren, wie es in Civ VI bei Großkolumbien der Fall war (tatsächlich spielt die Mechanik in Civ VII passenderweise bei den süd- und mesoamerikanischen Zivilisationen eine größere Rolle). Die rauen Bedingungen für Schiffe auf hoher See im Erkundungszeitalter hat Firaxis fast zwei Jahrzehnte zuvor im Neue-Welt-Szenario von Civilization V ausprobiert, wo sie exakt genau so funktionierte, dann aber wieder verschwand.
Iteratives Schaffen ist üblich im Design von Spielen, doch wenige Studios sind in so einer privilegierten Position wie Firaxis, noch dazu, wenn es um ein so systemisches Spiel geht. Civilization als Serie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals enden, wir werden noch viele Jahrzehnte neue Spiele dieser hochlukrativen Reihe von diesem extrem reichen Firmenkonglomerat bekommen. Diese Sicherheit ermöglicht es Firaxis, ihr iteratives Versuchen über Jahrzehnte zu strecken und Mechaniken in Vorgängerspielen zu testen. Der sehr spät im Lebenszyklus von Teil Sechs erschienene und recht überraschend angekündigte Leader Pass ist das beste Beispiel dafür, da im Rückblick die Testfunktion für diverse Spielmechaniken deutlich sichtbar wird. In dieses Vorgehen hinein spielt vermutlich auch die als Rule of Thirds bezeichnete Philosophie, die schon seit Sid Meiers aktiven Entwicklerzeiten in die Civilization-Reihe einfließt: Ein Drittel der Spielmechaniken des Vorgängers werden beibehalten, ein Drittel wird verbessert, ein Drittel ist neu. Laut Firaxis sei diese Regel zwar in Civ VII gebrochen worden, bedenkt man aber den Prozess, den ich grade beschrieben habe, würde ich dieser Aussage nicht zustimmen. Civilization VII ist das direkte Nachfolgeprodukt von Civilization VI, wenn man Civ VI als Gesamtprodukt liest und nicht in seine Hauptmechaniken herunterbricht. Naturgemäß sind Strategiesequels, wenn sie auf eine so lange Lebenszeit ihres Vorgängers folgen, immer kleiner als das vorherige Gesamtprodukt, und das Publikum ist oft genug erzürnt darüber – davon konnte Civilization VI zum Release genauso ein Lied singen wie jedes Paradox-Spiel. Und auch ich halte Civilization VII in seiner jetzigen Form für seinem Vorgänger unterlegen, nicht wegen seiner Ausmaße, sondern weil ich finde, dass einige Entscheidungen eine schlechtere Spielerfahrung daraus machen, wie der trockene Umgang mit Siegbedingungen oder der Fokus auf kleinteilige Dezimalzahlen. Das heißt aber nicht, dass Teil VII nicht auf eigenen Füßen stehen kann. Kein Civ war am Ende seiner Lebenszeit das gleiche Spiel wie zu Beginn. Die ersten paar Patches werden viel am UI richten, und die kommenden Addons dürften dem Spiel viel hinzufügen, dass es braucht – Firaxis hat hier einen extrem guten Track Record. Womit man allerdings nicht über den Fakt hinwegsehen sollte, dass das eine teure Angelegenheit für Käufer*innen wird. Wer sich also nach der neuen Optik und den vielen spannenden Entscheidungen jetzt noch nicht die Finger leckt, wartet am besten den ersten großen Overhaul ab.
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