Ich habe in meinen vorherigen Doppel-Reviews zu den jeweils aktuellsten DLCs von Crusader Kings 3 und Victoria 3 kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich mir für beide Spiele mehr regional einzigartige Systeme und mehr Reibung wünsche.
Genau das liefert Crusader Kings 3 seit jeher mit jedem neuen Inhalt: Angefangen bereits mit dem starken Northern Lords, hat das Spiel seither in der Qualität seiner Addons selten nachgelassen, auch wenn mir einige der neu hinzugefügten Systeme wie die namensgebenden Reisen und Wettkämpfe aus Tours & Tournaments weniger gut gefallen als andere. Grundsätzlich rundet jeder CK3-DLC eine neue Kartenregion mehr und mehr ab, und oft kommen dabei übergreifende neue Systeme heraus, die synergetisch weitere Spielbereiche verbessern. So geschehen mit Legacy of Persia, das mit dem gänzlich überholten Clan-Herrschaftssystem nicht nur Persien und die arabischen Reiche besser machte, sondern nebenbei ganz Afrika überhaupt erst richtig spielbar.
Mit Roads to Power führt Paradox nun zum ersten Mal eine ganz neue Herrschaftsart ein, die administrative. Und das tat bitter Not, denn im Fokus des Addons steht Konstantinopel. Das byzantinische Großreich war bisher stets der Langweiler auf der Karte, der großbürgerliche Boomer-Onkel, dessen vom Porsche-Gehalt aufgebaute und von Mieteinnahmen gehaltene Eigenheimsiedlung durch keine Wirtschaftskrise zu Fall gebracht werden kann. Als feudales Großreich ohne Erbteilung konnte man als Byzanz nichts falsch machen, man konnte nur wachsen und reicher werden. Nun bekommt der Moloch im östlichen Zentrum der Karte endlich seine Hürden: In Form genau der Bürokratie, die ihn, richtig eingesetzt, nun noch gefährlicher macht, die ihn aber auch lähmen und zum Opfer einfallender Feinde machen kann. Mit der administrativen Herrschaft ringen die Statthalter des Reichs, die die Herzoge und Könige der Feudalreiche ersetzen, nach jedem toten Kaiser erneut um den Thron. Anders als bei den Kurfürsten im Westen ist ihr Einfluss jedoch viel weniger abhängig von der eigenen Territorialgröße, dem Geldsackerl und der kriegerischen Stärke, sondern deutlich mehr auf Intrigen, Bestechung und Geheimoperationen ausgelegt. Dazu kommt die neue Mechanik des Herrenhauses, der Operationsbasis jeder Statthalterfamilie, die zum wirtschaftlichen Koloss ausgebaut, aber von anderen Familien auch überfallen und niedergerissen werden kann. In seinen besten Moment sorgt Roads to Power für ein Geflecht aus bedauerlichen Zufällen, die aus dem Statthalter von Bumfuck-Nowhere in Bosnien plötzlich einen Mitkaiser oder aus einem ehemaligen dänischen Waräger den Despoten von Sizilien macht. Ein neues Startszenario legt außerdem den Fokus auf das Sultanat Rum, die Keimzelle des Osmanischen Reiches, das vorher im Spiel ohne meinen Einfluss als Spieler eigentlich nie zustande kam, nun aber eine echte Chance hat, sich durch das byzantinische Haus, das Verrückte macht zu fressen, während der Basileus gerade noch versucht, sich den Passierschein A38 von seinem Regenten zurückzuholen. Roads to Power ist für mich, neben Northern Lords, Legacy of Persia und dem Kultur- und Sprachensystem aus Royal Court, ein absolutes Muss für das Spiel – und ein Sieg, den Paradox meiner Meinung nach gut gebrauchen kann.
Während Crusader Kings 3 für mich also eines der besten Spiele seiner Art ist, das nur immer besser wird, befindet sich Victoria 3 in meinen Augen immer noch tief in der Identitätssuche. All die Zeit und die (für mich freundlicherweise per PR-Agentur kostenlosen, für viele andere Spieler*innen jedoch teuren) vielen DLCs haben bisher oft nur Pflaster geliefert, um die schlechtesten Entscheidungen und schlimmsten Fehler auszubügeln. So mancher Zusatzinhalt hat dabei mehr neue Bugs produziert als alte Systeme repariert. Es ist etwa immer noch Glückssache, ob der mit Voice of the People eingeführte optionale Fokus auf ein Kaiserreich Frankreich funktioniert, oder ob man mit einer verbuggten Nation dasteht, die keine narrativen Entscheidungen mehr triggert und deren kaputte Flagge regelmäßig einen Crash to Desktop produziert.
Trotzdem, und das ist ersichtlich an meinen mindestens jährlichen Texten dazu, lässt mein Interesse an diesem fehlerbehafteten Spiel nicht nach. Der Wandel einer Nation über das neunzehnte Jahrhundert hinweg nach meinen Vorgaben, nicht despotisch durchgesetzt, sondern durch mehr oder weniger sanfte Manipulation der Lebensumstände meiner Bürger*innen angestoßen oder durch deren blutige Revolutionen erzwungen, reizt vermutlich ein Grundbedürfnis nach radikaler politischer Teilhabe in mir. Es ist daher vermutlich ABSOLUTER Zufall, dass jedes meiner erstarkten Großreiche am Ende eine multikulturelle Räterepublik oder ein sozialistisches Syndikat darstellt – ebenso wie es sicher Zufall ist, dass diese Regierungsformen und die darin optimierten Lebensbedingungen aller Menschen die objektiv effektivste Spielweise in Victoria 3 darstellen.
Die schwierigste Herausforderung, der sich ein globusumspannender Simulator wie Victoria 3 stellen muss, ist dabei die Gefahr der Eintönigkeit. Denn grundsätzlich spielen sich alle Nationen erst einmal gleich, trotz einiger geänderter Grundvoraussetzungen. Manche Staaten starten mit, manche ohne Sklaverei, manche haben bereits Wahlrecht, einige sogar bereits eine Republik, wenn auch eine fast monarchiegleiche präsidentiale (die Idee, einer einzigen Person Entscheidungsgewalt über fast alles in die Hand zu legen, wird eben nicht weniger beschissen, wenn diese Person ihre Stellung nicht erbt). Ansonsten sind manche Startsituationen eben besonders mies, wie die von Krakau oder den afghanischen Teilstaaten, oder besonders gut wie die der Großmächte Preußen, Österreich, Frankreich oder UK. Klar auch, letztere machen den größten Teil der Spiele-Sessions über alle Spieler*innen verteilt aus. Umso wichtiger also, dass deren grundsätzlich formgleiche Szenarien durch besondere Inhalte differenziert werden. Während gerade die kontinentalen Kämpfe der beiden großen Deutschländer von Anfang an Fokus des Spiels waren und nach einigen Patches sogar funktionierten, bekam Frankreich wie erwähnt eines der ersten Inhaltspakete spendiert, das zumindest in der Theorie Spaß macht. Nun ist endlich Großbritannien dran, der Weltherrscher zum Startszenario des Spiels und entsprechend für mich das langweiligste Land, dem so ziemlich alles gelingt, was ich mir für es vornehme. Entsprechend gespannt war ich auf Pivot of Empire, den DLC, der die Mechaniken der britischen East India Company und des gesamten indischen Subkontinents umkrempelt.
Dabei haben die meisten seiner Mechaniken eher direkte Auswirkungen auf die East India Company und kommen bei einer Partie als UK gar nicht richtig zur Geltung. Die Handelskompanie muss den Frieden ihrer gut zwanzig vasallisierten indischen Fürstentümern in drei indischen Verwaltungsbezirken wahren, und das ist dank der Ausbeutung, die den Laden am Laufen hält, alles andere als einfach. Früher oder später bricht der Krieg aus, und die Company verliert ihn – es sei denn, das Heimatland greift ein, was es üblicherweise tut, denn ohne Indien ist England auch in Victoria 3 verloren. Nach erfolgreich niedergeschlagener Revolution ist die Kompanie entmachtet und das Radsch wird als Kronkolonie neu geordnet. Wer die Kolonie verwaltet, hat ab da kaum mehr Handlungsmacht, denn die neuen Regeln sind festgelegt und können nur mit Erlaubnis Englands verändert werden. Die Kolonieregierung muss den Konflikt also möglichst lange hinauszögern, um ihre politischen Forderungen durchzudrücken. Das umfasst auch liberale: Selbst wenn ich als Kompanie das Kastensystem abschaffe, wird England es stets nicht nur neu einführen, sondern sogar durchsetzen. Spiele ich wiederum als England, ist mir die Form der indischen Kolonialregierung eigentlich egal, Hauptsache, der Krieg erwischt mich nicht, während meine Truppen woanders gebraucht werden.
Das ist dann auch so ziemlich der einzige Weg, wie Auld Victoria Indien vollends verlieren kann. Denn obwohl ich die neue Reibung liebe, die Pivot of Empire sowohl für UK als auch für die Kompanie mitbringt, hat das Addon doch eine große, katastrophale Leerstelle: Es existiert beinahe kein Content für ein freies Indien. Ja, das kann passieren, aber dann ist es halt irgendwie einfach nur da. Ein einziges indisches Fürstentum hat seine eigene Mechanik und ein Achievement bekommen, die jeweils darauf abzielen, Indien zu befreien.
Dass das fast ebenso unmöglich ohne das Zusammenfallen vieler Zufälle zu schaffen ist, wie als Krakau Polen-Litauen neu zu formen, ist wirklich eine Schande. Denn eigentlich kann Paradox das durchaus besser. Hearts of Iron IV, der für mich nicht allzu interessante Zweite-Weltkriegs-Ableger des Spielprinzips, lässt über seine Fokusbäume spezifische Entscheidungen zu. Will ich darin Deutschland vom Nazipack befreien und nach und nach zur Keimzelle der Europäischen Union umbauen, dann kann ich das auch tun, durch die richtigen Entscheidungen und spielerisches Können. In Victoria 3 erreiche ich als Underdog quasi kein größeres Ziel, ohne dass mir der Zufall mehrfach und möglichst früh in die Hände spielt. Wenn Krakau von der Habsburgermonarchie als Kriegsbeute an irgendein Land gegeben wird, das das zwischen Preußen und Österreich eingequetschte Städtchen nicht erreichen kann, sodass der Stadtstaat sich unabhängig machen und zunächst die russischen, dann die österreichischen und preußischen Gebiete Polens zurückholen kann beispielsweise. Oder im Falle von Indiens Befreiung: Falls Frankreich unerwartet gerade Krieg über eine afrikanische Kolonie mit England führt, während in Indien die Revolution ausbricht, sodass die englischen Truppen ihrer Handelskompanie nicht zur Hilfe kommen können.
Dieser Zufallsfokus ist ein generelles Problem des Spiels und führt dazu, dass so manche Matches, die schließlich ohnehin nicht viel mehr Gameplay mitbringen als das gelegentliche Klicken mehrere Untermenüs, zu Warteorgien werden, an deren Ende oft genug das genervte Neustarten oder Aufgeben steht. Ich wünsche mir wirklich, dass Victoria 3 hier die Handlungsmacht der Spielenden stärker aufwertet, gerade im Hinblick auf die Staaten, die ohnehin per Zusatzinhalt eigene Mechaniken bekommen und daher vermutlich öfter gespielt werden. Paradox-Games sind so sehr Sandbox-Spiele wie Alternativhistorien-Baukästen, nicht umsonst gerne als ‘Map Coloring Games’ bezeichnet. Von allen Paradox-Strategietiteln gibt mir Victoria 3 die wenigsten Werkzeuge, die Karte tatsächlich auch in meiner Tönung einzufärben, wenn ich mich nicht an die, meist imperiale, echte Zeitlinie halten will. Hier mit einem der nächsten großen Addons nachzubessern, würde Victoria 3 in meinen Augen eine Chance geben, endlich an die Beliebtheit von Crusader Kings 3 und Hearts of Iron IV anzuschließen. Und dann müsste ich auch nicht mit jeder neuen Review monieren, dass ich immer noch nicht so recht weiß, woher Victoria 3 seinen Sog auf mich ausübt. Denn ich würde das wirklich langsam ganz gerne einmal festmachen können.
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