Dass es Hideki Kamiya bei Capcom nicht ganz leicht hatte, ist hinreichend bekannt. Eigentlich wollte er nach dem Erfolg des ersten Devil May Cry weitermachen mit der Serie. Durfte er aber nicht. Stattdessen setzte ein bis heute unbekannter Director den zweiten Teil dermaßen in den Sand, dass Hideaki Itsuno für das Wunder, aus Devil May Cry 2 ein okayes Spiel zu machen, direkt die gesamte Serie überschrieben bekam und sie bis auch heute noch leitet.
Als Kamiya sich mit seinen Kolleg*innen von Capcoms aufgelöstem Clover Studio selbstständig machte und Platinum Games gründete, hob er also konsequent den Mittelfinger. Bayonetta ist in vielerlei Hinsicht das weiterentwickelte Spiegelbild von Devil May Cry, das – so fair muss man sein – viele, viele Stärken von Itsunos großartigem dritten Teil übernahm. Aber die Sticheleien sind schon sichtbar, wenn man weiß wo man suchen muss: Kamiya, selbst Brillenträger, wollte einigen Figuren in Devil May Cry ein Nasenfahrrad verpassen. Durfte er nicht. Dafür trägt in Bayonetta halt jede einzelne Figur eine Brille. Einige Namen aus dem Extended Universe von Devil May Cry, etwa Dantes Decknamen Tony Redgrave aus den Romanen, nahm Kamiya einfach mit in seine neue Spielereihe. Up yours, Capcom.
Mirror, Mirror
Am aktuellen Release von Bayonetta 3 lässt sich sehen, dass die beiden Flaggschiffreihen des Charakter Action Games – oder wie man das Genre sonst nennen will – noch immer im Dialog stehen. Zu Bayonetta und Jeanne, die immer schon das Yin und Yang von Dante und Vergil abbildeten, gesellt sich darin nun Viola, die nicht nur im Kleidungsstil an den in DMC4 neu dazugekommenen Nero erinnert. Rodin, Handler und Händler an Bayonettas Seite, fährt im Pizzatruck durch die Gegend wie Waffenschmiedin Nico in Devil May Cry 5.
Offene Anspielungen und subtile Ehrbezeugungen zwischen einflussreichen Spielereihen sind eine schöne Sache. Wäre toll, wenn die Ähnlichkeiten ab einem gewissen Punkt aber aufhören.
We regret to inform you that Pizza Boy is racist
Zugegeben, “die Voice Actors beider Hauptfiguren sind wirre Verschwörungsdullis” hatte ich nicht auf meiner Bingo-Karte. Reuben Langdon, Motion Capture Artist und Voice Actor von Dante, hat 2021 seinen Hintern entblößt. Den Sturm Rechtsextremer aufs US-Kapitol fand er ein adäquates Statement gegen Zensur, Black Lives Matter und die MeToo-Bewegung gingen ihm zu weit und die Impfung gegen Covid-19 fand er nicht nur nutzlos, weil man stattdessen ja Pferdeentwurmer einnehmen könnte, sondern hielt sie auch für ein Gehirnwäschemittel irgendeiner Loge. Aber wie das immer so ist, hinterher haben ihn natürlich alle falsch verstanden. Also, sagt er. Das war nach Devil May Cry 5, und ein sechster Teil steht noch nicht am Horizont, also wissen wir nicht, wie es mit Langdon und Dante weitergeht. Capcom hat sich allerdings nicht nur öffentlich von Langdon distanziert, sondern für seine zweitgrößte Rolle, Ken in Street Fighter, auch jemand anderen gesucht.
Knarren an den Schuhen, verbrannte Erde
Und nun hat Hellena Taylor, ehemalige Stimme von Bayonetta, einen ähnlichen Milkshake-Duck-Moment. Während das Internet noch fast kollektiv auf ihrer Seite stand, als sie sich gegen die vermeintliche Ungerechtigkeit eines zu geringen Lohns für ihre Arbeit gegen Nintendo und Platinum wehrte, zitierte sie in einem nachgeschobenen, in den Medien schon kaum mehr beachteten Twitter-Video bereits Bibelpassagen gegen die beiden Unternehmen, Gott möge sie richten. Nur wenig später konnten Journalist:innen, darunter Jason Schreier, durch Quellen belegen, dass Taylor gelogen hatte: Ihr war der vierfache gewerkschaftlich ausgehandelte Tariflohn angeboten worden, von schamloser Unterbezahlung konnte erst einmal keine Rede sein. Klar, die Diskussion über deutlich höhere Tariflöhne an sich und Verwertungsanteile an den Gewinnen eines Spiels für alle Beteiligten, von Devs bis Voice Actors, sollte man führen. Den Boden hatte Taylor mit dem schrittweisen Zugeben ihrer anderswo entlarvten Lügen und Halbwahrheiten aber schnell verbrannt – sie dürfte so bei diesem Thema noch so manchem Kapitalisten als warnendes Schreckgespenst gegen das Aufbäumen der Spielearbeiter dienen. Und auch Taylor weicht keinen Schritt zurück: Selbst als sie zugeben muss, dass man ihr mehr Geld geboten hat als die von ihr in klaren Zahlen genannte geringe Summe, behauptet sie, das hätte sie ja nie anders gesagt. Eure Schuld, wenn ihr das so versteht wie ich es schreibe. Ihren Boykott-Aufruf von Bayonetta 3 verband Taylor schließlich mit einigen Tagen Verzögerung mit einem Spendenauf: Ihre Fans sollten doch lieber an eine von diversen von ihr vorgeschlagenen “Charities” spenden. In der Auswahl: Billboards 4 Life, eine Anti-Abortion-Lobby, die in ganz Kentucky riesige Werbetafeln aufstellt, um Schwangere in Not mit psychologischen Tricks und Schuldgefühlen von Schwangerschaftsabbrüchen abzuhalten. Aus Versehen rutscht einem so eine Organisation nicht in den Spendenaufruf, da muss schon Überzeugung dahinterstecken.
Natürlich ist es völliger Zufall, dass diese beiden so miteinander gewachsenen Spielereihen auch hinsichtlich ihrer fundamentalistischen Hauptdarsteller so tragische Parallelen aufweisen. Vielleicht ist es aber auch eine gute Erinnerung daran, dass Veränderung nicht immer beschissen ist. Mit dem Austausch einer solchen Person gegen eine andere kann man erstens ein Zeichen setzen und tut zweitens auch niemandem weh außer der betroffenen Person (gut so!). Nein, auch dir nicht, Superfan. Man gewöhnt sich an alles. Die neue Stimme von Bayonetta macht ihren Job übrigens hervorragend, ohne den ganzen Skandal hätte ich – als Superfan – wahrscheinlich sehr lange nicht gemerkt, dass das nicht mehr dieselbe Sprecherin ist. Und selbst wenn euch das anders geht, gibt es eine Menge schlimmerer Dinge, als Jennifer Hale zuhören zu müssen.
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