Birnen. Die Birnen sind an allem schuld. Von wegen harmloses Obst. Versucht das mal den Bewohnern von Castlerun zu erklären. Deren Häuser liegen jetzt nämlich in Trümmern. Aber die Dorfbewohner können nichts dafür. Schließlich haben sie sich nur mit Birnen vollgestopft, die ich ihnen reichlich zur Verfügung gestellt habe. Dank diesem Überfluss wurde aus dem einst sympathischen Waldvolk ein ebenso hochmütiger wie aggressiver Stamm von Birnenliebhabern. Die angrenzenden Dörfer hatten nichts zu lachen, als Castlerun mal wieder einen Krieg vom Zaun brach, um die überschüssigen Kilos loszuwerden. Es war also höchste Zeit das Dorf für meine Fehler büßen zu lassen und es mit einem Erdbeben von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Und alles nur wegen ein bisschen Obst…
Geschichten wie diese erzählt Reus am laufenden Band. Im 2D-God Game von Abbey Games liegt es in der Hand des Spielers, einen kargen Planeten in eine Oase des Lebens zu verwandeln. Dafür bekommt man vier Giganten zur Seite gestellt, deren Fähigkeiten die Entwicklung des Ödlandes maßgeblich beeinflussen. Zu Beginn läuft jede Partie gleich ab: Meeres- und Felstitan sorgen für Ozeane, Wüsten und Gebirge. Zwei weitere Kolosse lassen an den fruchtbaren Stellen ausgedehnte Wälder und Sümpfe entstehen. Was jetzt noch fehlt sind Menschen, die sich mit Argumenten wie Erzvorkommen, Pflanzen oder Tiere zur Gründung einer Siedlung überreden lassen. Das alles dauert nur wenige Minuten. Keine Ahnung weshalb der liebe Gott dafür sechs Tage gebraucht und sich am siebten auf die faule Haut gelegt hat. In Reus beginnt jetzt nämlich die eigentliche Arbeit.
Menschen, so lernt man schnell, sind unselbstständige Geschöpfe. Ständig wollen sie mit Ressourcen versorgt werden. Reus kennt derer drei: Nahrung, Wohlstand und Wissen. Je nachdem in welchem Lebensraum gesiedelt wurde, fallen die Bedürfnisse der Stämme unterschiedlich aus. Sumpfvölker treibt der Wissensdurst an, Wüsten- und Bergvölker haben es vor allem auf Wohlstand durch Erze und seltene Tiere abgesehen und Waldbewohner sind hauptsächlich an einer vollen Speisekammer interessiert. Dabei handelt es sich aber nur um grobe Ausrichtungen, Mischformen sind eher Regel als Ausnahme.
Um diese Bedürfnisse zu befriedigen, die sich in immer größeren Bauvorhaben der einzelnen Dörfer manifestieren, müssen Beerensträucher gepflanzt, Fische und Landtiere angesiedelt und Erzvorkommen geschickt verteilt werden. Wer ähnlich wie ich zu Beginn auf gut Glück die Ressourcen auf den Planeten fallen lässt, stößt nicht nur schnell an die Grenzen der Karte, sondern hält seine Schäfchen auch effektiv davon ab, die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen. Denn die charmante Cartoon-Kulisse täuscht: Im Hintergrund rattert ein hochkomplexes Zahlenwerk. So ziemlich jeder Vertreter der Flora und Fauna lässt sich mit irgendetwas anderem in eine symbiotische Beziehung setzen, welche für eine massive Ertragssteigerung sorgt. Leguane sonnen sich besonders gern in der Nähe von Erzvorkommen, Quarzminen werfen vor allem im Verbund viel Geld ab und Birnen, tja, die mutieren neben jeglichen anderen Pflanzen zur reinsten Nahrungsmittelschleuder.
Wem davon schon der Kopf schwirrt, dem sei versichert, dass damit lediglich an der obersten Komplexitätsschicht gekratzt wurde. Das Ressourcensystem ist noch viel komplizierter und konfrontiert angehende Schöpfer später mit Fragen wie: „Stelle ich meinem Meerestitan nun lieber einen Abgesandten des Wüstenvolkes zur Seite, damit seine Spezialfähigkeit aktiviert wird, oder doch lieber den Botschafter des Sumpfdorfes, um bessere Nutztiere ansiedeln zu können?“. Leider versäumt es Reus in seinen drei kleinen Tutorials auf solche und weitere Feinheiten genauer einzugehen. Stattdessen wirft es dem überforderten Anfänger im Hauptmenü einen schnöden Link zur spieleigenen Wiki vor die Füße.
Trotzdem übt das Experimentieren mit verschiedensten Symbiosen einen nicht zu unterschätzenden Reiz aus. Noch motivierender wird der Schöpfungsakt dadurch, dass zu Beginn nur ein Bruchteil aller Pflanzen, Tiere und Mineralien zur Verfügung stehen und der Rest erst freigespielt werden muss. Dafür müssen mal mehr, mal weniger komplexe Aufgaben erfüllt werden. Ein Dorf mit einem Wohlstandslevel von 150 heranzuzüchten erledigt sich quasi von selbst. Eine Siedlung nur mit Hilfe von Tieren am Leben zu erhalten, ist mangels effektiver Symbiosen eine ganz andere Hausnummer. Welche und wie viele dieser Aufgaben man in den halb- bis zweistündigen Partien anpeilt, ist einem selbst überlassen.
Aber zurück zu den Birnen! Lässt man seine Menschlinge unvorsichtigerweise im Überfluss leben, schlägt die Stimmung rasend schnell um. Mit dem freundlichen Gewusel ist es ganz schnell vorbei, wenn erst mal Armeen losziehen, die nicht nur Nachbardörfer überfallen, sondern im schlimmsten Fall auch auf jene Titanen losgehen, die einst den Planeten bewohnbar gemacht haben. So viel Selbstbewusstsein ist natürlich Gift für das Gleichgewicht des Planeten. Spätestens jetzt ist es oberste Schöpferpflicht, die Menschheit mit giftigem Schlamm und Erdbeben vor sich selbst zu schützen.
Als Gott hat man es in Reus wahrlich nicht leicht. Manchmal fühlt es sich so an als müsste man drei Säcke Flöhe gleichzeitig hüten. Manchmal wünscht man sich noch ein paar helfende Riesen dazu, weil sechs verschiedene Bauvorhaben fertiggestellt werden wollen. Oder man kann sich nicht entscheiden, ob man das kriegerische Dörfchen lieber sofort dem Erdboden gleich macht, oder ob man ihm weiter dabei zusieht, wie es seine Nachbarn systematisch massakriert. Immerhin steckt eine Menge Arbeit in diesen kleinen Monstern. Reus demonstriert auf unterhaltsame Weise, dass sogar die unscheinbarsten Eingriffe in Ökosysteme zum Teil verheerende Konsequenzen nach sich ziehen können. Keine Ahnung, ob das von den Entwicklern als cleverer Kommentar auf die Abholzung des Regenwaldes gedacht war. Ich weiß nur eines ganz sicher: Reus macht unheimlich viel Spaß. Aber lasst um Himmels Willen die Finger von den Birnen!
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