Schmerzhaft weit aufgerissene Augen, umrahmt von tiefen Furchen und ein wirr abstehender Haarschopf: Ein Blick genügt, um zu dem Schluss zu kommen, dass mit dem Protagonisten von Knock-knock etwas ganz und gar nicht stimmt. Schlaflosigkeit lautet die Diagnose. Eine üble Sache, ist doch längst erwiesen, dass eine solche sich nicht sonderlich gut auf kognitive Fähigkeiten auswirkt. Jeder, der selbst schon einmal über einen längeren Zeitraum keinen Schlaf gefunden hat, weiß um die Tücken dieses Zustandes. Auf das Gedächtnis ist kein Verlass mehr, Sinneseindrücke fühlen sich seltsam dumpf, geradezu wattiert an und die Trennlinie zwischen Realität und Einbildung gleicht der Spur eines Betrunkenen.
Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei Knock-knock um ein Spiel, welches sich mit eben diesen Symptomen auseinandersetzt. Doch als ob sein ohnehin bemitleidenswerter Zustand nicht schon genug wäre, verfrachten die Entwickler den schlaflosen Einsiedler auch noch in eine halb verfallene Hütte. Nachts. Inmitten eines unheimlichen Waldes. Knarzende Holzdielen, pfeifender Wind und die titelgebenden Klopfgeräusche inklusive.
Aber was ist dieses Knock-knock eigentlich für ein Spiel? Glaubt man den Entwicklern, ist es gar keins, sondern eine interaktive Meditation. Lässt man das Geschwurbel aber mal außer Acht und wird richtig gemein, dann ist Knock-knock ein atmosphärisch dichter Pac-Man-Abklatsch. Mit dem Unterschied, dass hier eben noch eine Reihe spaßtötender Zufallselemente ins Spiel kommen und mit keiner Silbe erwähnt wird, worin eigentlich das Ziel besteht.
Das riecht zunächst einmal nach schlampigem Design oder knapper Entwicklungszeit. Tatsächlich ist der Verdacht nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Ursprünglich über Kickstarter finanziert, unterscheidet sich das Endprodukt deutlich von den damaligen Versprechungen. Weder ist es möglich sein eigenes Haus zu bauen, noch lassen sich ein Inventar oder nützliche Gegenstände finden. Worauf man jedoch mit ziemlicher Sicherheit stößt sind Zweifel. Kam den Entwicklern am Ende wirklich die Deadline in die Quere oder wurde das Spiel ganz bewusst so gestaltet?
Unter der Warte eröffnet sich eine völlig neue Betrachtungsebene. Auf dieser geht es nicht länger darum, dass ein kauziger Einsiedler mit und um seinen Verstand ringt. Es geht vielmehr um die Beziehung zwischen Spiel und Spieler: Über die Jahre haben wir uns von Anfängern zu Profis entwickelt. Grundlegende Spielmechaniken sind uns vertraut, wir können mit ihnen umgehen und sie sogar vorausahnen. Das fängt bei Mario an, der vor einem Abgrund nicht umkehrt, sondern darüber hüpft, und hört bei einem Raum voller Munitionskisten auf, nach dem ganz bestimmt der nächste Endgegner wartet.
Knock-knock pfeift auf derlei vertraute Konzepte und zieht uns böse grinsend den Teppich unter den Füßen weg. Statt eines klar strukturierten, spielerischen Grundgerüsts existiert nur ein grob zusammengeschweißter Schrotthaufen, der allenfalls Zweifel am Geisteszustand der Entwickler aufkommen lässt. Beispiel? Eben repariert man noch Glühbirnen und weicht dabei Gespenstern aus. Im nächsten Moment findet man sich draußen wieder und spaziert seltsam ziellos durch den finsteren Wald. Oder man darf den Abschnitt nochmal von vorn spielen. Vielleicht aber auch nicht. Warum auch immer! Zwar richtet der Einsiedler immer mal wieder ein paar Worte an die Person vor dem Bildschirm, doch – wer hätt‘s gedacht – der Informationsgehalt seines Gebrabbels ist gleich Null.
Und doch ist der Einsiedler ein ziemlich perfektes Abbild des Spielenden. Auch er versucht ein Muster zu erkennen, wo vielleicht gar keins existiert. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, dem Kreislauf aus schlaflosen Nächten zu entrinnen? Und falls dem so ist: welche Bedingungen müssen dafür erfüllt sein? Protagonist und Spieler fischen bei der Beantwortung dieser Frage im Trüben, werden ausgetrickst, an der Nase herumgeführt und auf falsche Fährten gelockt. Bis man irgendwann selbst nicht mehr weiß, ob eine Aktion gut oder schlecht ist, ob sie ein Schritt in Richtung Ziel ist oder es in weite Ferne rücken lässt.
Diese allumfassende Verunsicherung macht Knock-knock trotz aller Makel zu etwas besonderem. Womöglich stehe ich dem Spiel auch wohlwollender gegenüber als es das verdient hätte. Schließlich hat es mich mehrmals an den Rand der Verzweiflung getrieben und ließ mich die Haare raufen, bis sie so unordentlich auf meinem Haupt lagen, wie beim Einsiedler. Das fieberhafte Entschlüsseln der Mysterien, die Suche nach einem System im Chaos, war durch und durch frustrierend, nervenaufreibend aber auch spannend.
Wie man Knock-knock letzten Endes bewerten mag, ist eine Frage des Standpunkts. Sieht man darin lediglich den gerade so fertiggestellten Rumpf eines Spiels, das längst nicht zu Ende gedacht wurde und deutlich unter den Phantomschmerzen weggekürzter Spielmechaniken leidet? Oder ist es vielleicht doch die beeindruckende Übersetzung von Schlaflosigkeit mit all ihren Folgen in ein Spiel? Ich gestehe keine Antwort auf diese Frage zu haben, bin mir aber sicher: Außergewöhnlich ist Knock-knock auf jeden Fall.
3 Kommentare
Der Zwang und das Unbehagen, Experimente wie dieses zu “bewerten”, ließen sich eventuell dadurch lindern, dass man sie weniger als “Spiele” betrachtet, sondern als interaktive Erfahrungen.
Damit meine ich nicht, jetzt das not-games – Etikett rauf zu kleben, sondern den Begriff spiel zu erweitern.
Sehe ich ganz genauso. Knock-knock hatte auf mich den interessanten Effekt, dass es mir mehr Spaß gemacht hat, wenn ich nicht selber spielen musste, sondern anderen über die Schulter blicken konnte. War auch völlig okay. Interaktive Erfahrungsräume müssen ja nicht zwangsläufig unterhaltsam sein.
Dennoch bleibt für mich am Ende die Frage bestehen, ob das alles wirklich so beabsichtigt oder einfach nur Glück im Unglück ist.
Sehr schöner Beitrag von dir, der das “Spiel” interessanter macht, als ich es beim “spielen” je fand! ;-) Bei der oben in deinem Antwortkommentar gestellten Frage würde ich übrigens auf mächtiges Glück im Unglück tippen.
Wenn man bedenkt, was alles bei der Crowdfunding-Geschichte versprochen und wirklich umgesetzt wurde (und das alles mit einem Jahr Verspätung…), sortiere ich Knock-Knock eher als eine Art Jazz-Experiment unter Geld-/Zeitdruck ein. Hat ja auch seine Berechtigung und Interessant ist es allemal, Knock-Knock in passender Stimmung zu erleben, aber nichts für den Alltag. Dafür hat mich der Herr Einsiedler auch eine Spur zu sehr genervt auf Dauer.