Am 30. Oktober 1998 war ich bereits als Gärtner im Freilichtmuseum Detmold beschäftigt. Ich hatte zuvor eine Berufsfachschule für Wirtschaftsinformatik besucht und war nun irgendwie in dieses ökologische Jahr gerutscht. Meine Mutter hatte wohl eine Informationsbroschüre zu den Freiwilligendiensten ausgegraben und ich bewarb mich dafür, da ich ohnehin nicht wusste, was ich anfangen sollte. Aus dem gleichen Grund war ich zuvor zur Informatikschule gegangen, auf der ich so falsch war, wie man nur irgendwo falsch sein kann. Ich war einer von denen, die eben gerne am Computer saßen, spielten und ein bisschen auf der Tastatur herumklimperten. Von Programmierung oder gar Betriebswirtschaftslehre hatte ich keine Ahnung und wollte auch keine bekommen. Ich war hier nur gelandet, da ich zu schlechte Noten zum Wechsel an das Gymnasium hatte und eine Beschäftigung brauchte. Dementsprechend war ich in dieser Zeit unmotiviert und es schlug sich bald in meinen Zeugnisnoten nieder, dass ich manche Pause kiffend auf dem Schulklo verbrachte und manche Mathestunde auch.
Das ständige Wälzen von Lehrbüchern über Computertechnik, das Starren auf die monochrome Anzeige beim Programmieren in Visual Cobol und das bloße Konfrontiertsein mit den überall herumstehenden Geräten ließen mich von allem was mit PCs zu tun hatte entfremden. Mein eigener Aparillo hatte irgendwann den Geist aufgegeben und mein Interesse an Bildschirmaktivitäten erlosch. So nahm ich lediglich einen kleinen Fernseher mit nach Detmold in die Praktikantenwohnung. Und auch diesen benutze ich nie, da es dort keinen Kabelanschluss gab und ich auch keine Spielkonsole besaß. Einen großen Teil meiner Freizeit in diesem Jahr verbrachte ich lesend und rauchend in meinem Zimmer in der schäbigen Wohnung. Meinen nächsten eigenen PC kaufte ich mir erst 2003 oder 2004, aber da wohnte ich lange nicht mehr in Detmold und hatte bereits zu studieren angefangen.
Dass ich durch diesen Umstand nicht in den Genuss kam, Grim Fandango direkt zur Veröffentlichung am 30. Oktober 1998 zu spielen ist bedauerlich, aber zu verschmerzen. Denn während Computerspieler und Lucas Arts-Adventure-Enthusiasten sich mit der umständlichen Tastatursteuerung des Spiels auseinandersetzen, beschnitt ich Bäume oder trieb Schafe auf die Weide und war glücklich. Wann Grim Fandango das erste Mal in das Zentrum meiner Wahrnehmung rutschte, weiß ich nicht. Da ich längst keine Videospielzeitschriften mehr las, werden mir die Informationen irgendwann zugeflogen sein, privat oder durch das noch junge Internet. Jedenfalls muss es ungefähr um die Mitte der 2000er gewesen sein, als ich mir eine illegale Kopie von Grim Fandango besorgte und es erstmalig spielte.
Als Freund der alten Lucas Arts-Adventures bis zu Day of the Tentacle, setzte ich große Erwartungen in das Spiel, die jedoch nicht erfüllt wurden. Wir wissen, dass popkulturelle Erzeugnisse nur vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit ihre Magie wirken können. Für Videospiele gilt das besonders und die Zeit von Grim Fandango war schon lange abgelaufen. Ein großes, nicht jedoch das einzige Übel, war die umständliche Steuerung, die mir den Genuss des Spieles verdarb. So sahen die vorberechneten Hintergründe zwar gut aus, die Figuren aber waren grob und die Rendersequenzen von eben jener Qualität, die ihre Spätneunziger-Provenienz offenbarten. Heute, in unserer retroaffinen Zeit, können wir darüber hinwegsehen, vor zehn Jahren ging das noch nicht. Zu allem Überfluss hatte ich mir eine spanische Version geladen, deren Sprachausgabe ich mir zwar prima anhören, jedoch nicht verstehen konnte. Aber das nur am Rande.
Und obwohl das Spiel sich mir nicht öffnen wollte, verliebte ich mich in sein Design, besonders in die Figuren. Der aus dem mexikanischen Totenkult entlehnte Stil begeisterte mich so sehr, dass ich mir ein T-Shirt mit einem Aufdruck der Hauptfigur Manny kaufte und lange den Gedanken hegte, mir eines der Motive aus dem Spiel tätowieren zu lassen. Zum Glück setzte ich diesen Plan niemals in die Tat um. Denn obwohl Tätowierungen grundsätzlich keinen Anlass für Tadel darstellten, erscheinen sie uns heute oft vulgär. Die Groben und Dumpfen haben sie okkupiert und stellen hässlich bunte Bilder und die schlimmen Namen ihrer Kinder auf Unterarmen und Hälsen zur Schau. Da ich mich mit denen nicht gemein machen möchte, bin ich froh, auf Tätowierungen verzichtet zu haben. Auf solche mit Videospielbezug besonders. Mancher in meinem Bekanntenkreis behauptet sogar, dass er sich statt eines Videospiel-Motivs lieber eine Kackwurst ins Gesicht tätowieren lassen würde. Darüber, ob ich dieser Aussage mit Wohlwollen oder mit Ablehnung begegne, möchte ich an dieser Stelle schweigen.
Ich hatte mich also dagegen entschieden, das altehrwürdige Abenteuerspiel nachzuholen. Erst im Jahre 2014 war ich wieder soweit, einen neuerlichen Versuch zu wagen. Inzwischen hatte ich erfahren, dass sich Grim Fandango mittels eines Zusatzprogramms auch per Controller würde steuern lassen. Ich speicherte einige gebrauchte Ausgaben des Spiels in meiner eBay-Beobachtungsliste, zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich längst von der uncharmanten Welt der Schwarzkopien verabschiedet, und wartete auf einen günstigen Ausgang einer der Auktionen. Doch bevor ich Grim Fandango ersteigern konnte, erreichte mich die Nachricht, dass Double Fine an einer „Remastered Version“ arbeitete. Diese sollte einerseits über eine Controller-Steuerung verfügen und zum anderen auch für die PS4 erscheinen, das System meiner Wahl. Ich jauchzte zwar nicht, war aber erfreut ob der guten Nachricht.
Ich lud es mir also für die PS4 und, Cross-Buy sei Dank, für die Vita. Ich sah mir das hübsche Intro an und begann, doch schon nach wenigen Spielstunden wurden mir zwei Dinge deutlich. Erstens: Grim Fandango ist nicht das richtige Spiel für mich, denn meine Adventure-Leidenschaft ist erloschen. Dieser Tage möchte ich lieber irgendetwas erschießen oder mit dem Schwert erschlagen. Und: Grim Fandango ist nicht das richtige Spiel für mich, denn es ist mir zu schwierig. Einen großen Teil meines Lebens verbringe ich mit Tätigkeiten, die Aufmerksamkeit und Konzentration erfordern, Videospiele und Filme nutze ich zur Entspannung. Und während ich mich bei letzteren gelegentlich zwischen Hollywood und Autorenfilm entscheiden muss, tut mir die Videospielindustrie den Gefallen, ihre Geschichten schlicht bis lächerlich zu halten und auch die Spielmechaniken weiter zu simplifizieren. Grim Fandango stammt aus einer Zeit, als Spiele weniger gnädig mit ihren Rezipienten umgingen, als sie es heute tun. Dass es eine vergleichsweise gut gelungene Geschichte erzählt, liegt weniger an der Zeit aus der es stammt, als an den Autoren und der Firma Lucas Arts, die in den 1990ern manches richtig machte.
Da ich also keine Lust habe über Spiele nachzudenken, sondern sie einfach über mich ergehen lassen möchte, habe ich fast alle Rätsel in Grim Fandango in der Komplettlösung nachgelesen. Seines Stachels beraubt, funktioniert es für mich als Erzählung wunderbar, da ich Stil, Figuren und Geschichte sehr mag. Ich bewege mich durch die Welt der Toten und höre mir die gut geschriebenen und vertonten Dialoge an, erfreue mich an Grafik und Musik. Sobald ich einmal nicht weiter weiß, lese ich nach, sodass die Eindrücke meiner Reise nicht durch Ungemütliches und Anstrengendes getrübt werden. Die Arbeit an der frischen Luft kann ich auch heute noch genießen, die Arbeit im Videospiel nur mehr selten. Ich habe mich seit 1998 verändert, Grim Fandango hat es nicht. Mein Anspruch an Videospiele ist ein anderer als vor 17 Jahren und das ist weder gut noch schlecht, es ist ein Fakt. Dennoch geht es mir gut mit Grim Fandango. Einerseits ist es ein zeitlos gutes Spiel, dessen technische Anpassung an die heutigen Standards zwar subtil, aber gelungen ist. Andererseits erhalte ich Gelegenheit, ein weiteres Kapitel der Lucas Arts-Geschichte für mich abzuschließen und mich an die schönen Zeiten zurückzuerinnern, die ich mit den Spielen dieser Firma verlebt habe. Als nächstes wünsche ich mir übrigens Remakes von Full Throttle und The Dig. Die habe ich damals ebenfalls ausgelassen.
4 Kommentare
Grim Fandango ist wirklich sehr schwer und ohne “benutze alles mit allem”, kaum mit Logik zu schaffen. Trotzdem fand ich es mit Vergleich zu Taletale-Durchklick-Adventures sehr angenehm man nachzudenken und vor allem viel lustiger. Auch heute noch.
Mehr dazu hier
Und ich freue mich auch total auf The Dig und Full Throttle, die waren auch viel einfacher ;-)
Full Trottle könnte tatsächlich auch von Double Fine umgesetzt werden, da Tim hier ja im Gegensatz zu The Dig beteiligt war.
Full Throttle und The Dig hatten schon was, wobei ja damals beide nicht ganz so toll bei den Fans ankamen. Ersteres wegen den vielen Action-Parts, Letzteres weil es mit seiner Ernsthaftigkeit komplett aus dem gewohnten Lucas Arts-“Haha!”-Schema heraus fiel. Ich fand The Dig allerdings großartig, allein schon wegen des Soundtracks und der Sprecher, aber auch weil es eben ausnahmsweise nicht lustig sein wollte.
Nachdem mir der SpielerZwei nun mehrfach darauf hingewiesen hat, wie gut das Spiel ist, habe ich mir the Dig bei ersteigert. Mal gucken wie es ist und ob ich es auf meinem (mäßig) modernen PC zum laufen bringe.
Das sollte natürlich “bei eBay” heißen.