Es war letzten November, als ich das erste Mal auf Enslaved: Odyssey to the West aufmerksam wurde. In einem Interview sprach ein Entwickler von Ninja Theory über ihr neues Spiel für PS3 und Xbox 360. Es sollte um zwei Menschen in einer post-apokalyptische Zukunft gehen, die gegen Roboter kämpften. Das klang im ersten Moment nicht besonders interessant, aber die Screenshots zeigten eine andere Spielwelt als ich von der Beschreibung erwartet hatte. Es gab keine grau-braune Matsche zu sehen, sondern ein von der Flora zurückerobertes New York. Häuser waren zerstört, aber von einem blühenden Pflanzenteppich überzogen. Der Himmel war klar und blau und wenn nicht überall bösartige Mechs herumständen, dann wäre die Stadt kein schlechter Ort zum Verweilen gewesen. Ich speicherte das Spiel also unter der Kategorie “Schau’n mer mal” ab und beachtete es nicht weiter.
Jetzt ist das Action-Adventure erschienen und innerhalb von wenigen Tagen entwickelte sich beinah ein kleiner Hype um Enslaved. Haben wir es hier mit einem waschechten Überraschungshit zu tun?
Die Geschichte basiert lose auf einer chinesischen Sage aus dem 16. Jahrhundert. Nachdem ich mir den Wikipedia-Artikel dazu durchgelesen habe, muss ich jedoch sagen, dass außer den drei Hauptfiguren kein großer Zusammenhang zum Videospiel zu erkennen ist. Im Gegensatz zur chinesischen Vorlage spielt Enslaved in der Zukunft. Wir spielen Monkey, einen muskulösen und, wie der Name vermuten lässt, behänden Menschen, der auf einem Sklavenraumschiff gemeinsam mit dem rothaarigen Mädchen Trip gefangen ist. Trip ist Expertin für alles Technische und schafft es, aus ihrer Zelle zu entkommen und das Raumschiff zum Absturz zu bringen.
Ninja Theory versteht es, gleich im ersten Level ordentlich auf die Tube zu drücken und das Spiel mit einem großen Knall zu eröffnen. Während um einen herum das Schiff in seine Einzelteile zerlegt wird, versuchen wir, Monkey zu einer der Rettungskapseln zu steuern. Nach einer mehr oder weniger gelungenen Landung erwacht dieser mit einem neuen Stirnband. Die süße Trip hat es ihm angelegt und ihn versklavt. Monkey muss auf ihre Befehle reagieren oder er erleidet heftige Schmerzen. Doch die Verbindung geht noch weiter. Stirbt Trip, so stirbt auch er. Als Bodyguard soll er sie zu ihrem Heimatdorf im Westen begleiten. Danach will sie ihn wieder befreien.
Als ungleiches Pärchen kämpft man sich nun durch ein zerstörtes Land. Ein Krieg mit den Robotern hat für eine fast vollständige Auslöschung der Menschheit gesorgt. Die mechanischen Sieger wandern jedoch noch immer umher und suchen nach den wenigen Überlebenden. Moment mal, werdet ihr jetzt sagen, das kenne ich doch irgendwo her und ich kann euch nur zustimmen. Dieses Zukunftsszenario ist nicht sonderlich neu. Wo beim Terminator aber eine düstere Welt auf uns wartet, präsentiert Enslaved zunächst blühende Landschaften. Die ersten Level in New York sind für das von grau-braunen Videospielen geplagte Auge eine wahre Reizüberflutung. Strahlend grünes Gras hat sich durch den Asphalt gefressen und dicker Efeu schlängelt sich an den Ruinen empor. Es fliegen Tauben umher und ein Reh grast zwischen einem Meer aus roten Blumen. In diesen Momenten ist Enslaved ein Fest für die Sinne.
Technisch ist die Optik dabei aber nicht überragend. Unter der Haube werkelt die Unreal Engine 3, was man dem Spiel so lange nicht anmerkt, bis es am Anfang einiger Abschnitte langsam und sichtbar verschiedene Texturen nachlädt. Das Screen-Tearing ist in der PS3 Version recht heftig und bei größeren Kämpfen geht auch die Spielgeschwindigkeit stark in die Knie. Dafür können Design und Levelgestaltung zu Beginn auf voller Linie überzeugen. Selten hat mir das Durchwandern einer zerstörten Stadt so viel Spaß gemacht. Das Spiel nimmt einen dabei stark an die Hand. Die Sprungpassagen laufen fast von alleine ab. Es ist unmöglich, durch falsche Tasteneingaben in den Tod zu stürzen. Objekte, an denen sich Monkey festhalten kann, werden deutlich hervorgehoben und nur dort lässt einen das Spiel auch hinspringen. Ist der Sprung nicht möglich, dann hilft es auch nicht, wie wild auf die Buttons zu hämmern, Monkey wird sich keinen Zentimeter bewegen. So geht man nervigem Trail-and-Error komplett aus dem Weg, entzieht dem Spieler aber auch jegliche Freiheit und stellt ihn faktisch auf Schienen. Mir ist dieses Vorgehen total recht, denn nichts ist schlimmer als ein letzter verpasster Sprung, nur weil ein Charakter plötzlich meint, es wäre eine gute Idee einfach so in die tödliche Tiefe zu springen, obwohl der rettende Vorsprung nur einen Meter entfernt ist. Ich schaue euch an, Assassin’s Creed, Tomb Raider und Kumpanen.
Womit wir beim zweiten Spielelement, den Kämpfen, wären. Meine Kämpfe mit den angeblich total bösen Robotern, die für meinen Geschmack etwas zu unspektakulär und freundlich aussehen, liefen etwa so ab: Power-Schlag aufladen, mit dem ich die gegnerische Deckung durchbrechen und mehrere Feinde gleichzeitig betäuben kann, warten, bis die Roboter angerannt kommen, Power-Schlag ausführen, Gegner betäuben, den Rest mit normalen Attacken erledigen und alles von vorne wiederholen. So kann man auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad alle normalen Kämpfe ohne Probleme gewinnen. Komplizierter wird es bei den Boss-Gegnern, die ein wenig mehr Grips und Fingerfertigkeit am Controller verlangen. Das gesamte Kampfsystem ist allerdings als mittelmäßig zu bezeichnen. Das Ausweichmanöver ist zu kurz, Blocken mit anschließendem Konter funktioniert nur selten und eigentlich muss man nie tief in die Palette an Fähigkeiten eintauchen, weil einfaches Button Mashing in Verbindung mit dem aufladbaren Schlag immer zum Erfolg führt.
Wir haben also risikoloses Rumgehüpfe und ein simples Kampfsystem. Es müsste eigentlich schrecklich langweilig sein, Enslaved zu spielen. Ist es aber überraschenderweise nicht. Diese beiden Hauptelemente werden immer wieder von kleineren Rätseln und Spielereien durchbrochen, sodass ein angenehmer Spielfluss entsteht. Wichtiger Punkt ist dabei Trip als Partnerin. Sie kann Roboter ablenken, sodass ihr als Monkey an ihnen vorbeischleichen könnt, oder sie betätigt Schalter, damit euch eine verschiebbare Plattform den nächsten Sprung ermöglicht. Dabei steuert ihr Trip nicht direkt, sondern könnt ihr über ein zusätzliches Radialmenü Befehle geben, was die ganze Sklave-Herrscher-Dynamik auf den Kopf stellt.
Neben dem guten Spielfluss, der einem immer wieder neue Momente vorsetzt, sind es die Figuren und ihre Dialoge, die Enslaved als ein Konstrukt durchschnittlicher Spielelemente zusammenhalten und vor dem Einsturz retten. Kein geringerer als Gollum-Darsteller Andy Serkis war für die Motion-Capture Aufnahmen von Monkey zuständig, lieh ihm seine Stimme und kümmerte sich außerdem als Regisseur um die Zwischensequenzen. Die Gespräche sind subtil und werden durch die exzellenten Animationen hervorragend unterstützt. Wo andere Videospiele ihre Geschichten mit dem Holzhammer erzählen, lässt Enslaved seine beiden Hauptcharaktere einsam um ein flackerndes Lagerfeuer sitzen und zögernde, menschliche Gespräche führen. Manchmal wird die vielschichtige Beziehung des gefangenen, aber starken Monkey und der über ihn herrschenden, aber verschreckten Trip nur mit kleinen Gesten gezeigt. Im Laufe des Spiels kommt auch noch eine dritte Figur hinzu, die für einige gute Lacher zuständig ist. Auch hier schaffen es Dialoge und Animationen, die feine Linie zur typisch lächerlichen Videospielstory nicht zu überschreiten. Die Geschichte selbst ist dabei nicht sonderlich überragend und hat außer dem Ende, welches tief in die Science-Fiction-Klischeekiste greift, keine erzählerischen Höhepunkte. Das Geschehen wird fast ausschließlich durch die Interaktion zwischen Trip und Monkey vorangetrieben.
Die gute Chemie zwischen den Figuren ist auch bitter nötig, um den etwas faden Mittelteil des Spiels zu übertünchen, bei dem leider die grau-braune Farbpalette ihr Comeback feiert. Öde Schrottplätze und Sumpfgebiete müssen durchwandert werden und doofe Sammelaufgaben reihen sich aneinander. Zum Glück sind die letzten Kapitel wieder etwas besser, obwohl auch sie nicht an die Magie der ersten Spielstunden heranreichen.
Im Weekend Confirmed Podcast wird Enslaved mit dem Satz “It’s more fun than it is good” beschrieben und besser kann man es wohl nicht ausdrücken. Bis auf die Dialoge und Charakteranimationen sind alle anderen Elemente nur durchschnittlich. Nimmt man aber den Controller einmal in die Hand und beginnt zu spielen, so verfängt man sich schnell in der hübschen Welt und will dann doch wissen, wie die Geschichte mit dem grummeligen Monkey und der süßen Trip ausgeht.
Die Kampagne hat mich auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad 8–10 Stunden beschäftigt. Eine Zahl, die bei Shootern und Action-Adventuren leider langsam Standard zu werden scheint. Aber lieber ein paar unterhaltsame Stunden als viele langweilige. Und unterhaltsam ist Enslaved allemal.
Ich muss euch auch gar nicht bitten, die Entwickler mit einem Vollpreiskauf zu unterstützen, denn deren nächstes Projekt steht schon fest. Ninja Theory entwickeln das Reboot von Devil May Cry, einer Reihe, die eher für knackige Action als feinfühlige Dialoge bekannt ist. Schau’n mer mal.
Gespielt wurde ein von Namco-Bandai zur Verfügung gestelltes Exemplar von Enslaved: Journey to the West auf der PS3.
6 Kommentare
Sehr schöner Artikel, der den nagel ziemlich auf den Kopf trifft. Enslaved ist ein positiv gelungener Einstand für Ninja Theory als Multihersteller, jedoch entpuppen sich einige technische Unzulänglichkeit und das maue Kampfsystem als ziemlich einfallslos und überschaubar.
Naja, unterhalten wurde ich die knapp 10 Stunden trotzdem, als Vollpreisspiel isses mir dann doch zu wenig. Aber die 3 Euro Verleihgebühr holts allemal wieder raus :)
Momentan hänge ich am neuen Castlevania, junge, das wäre mal nen Artikel wert, bis jetzt der Überraschungshit des Jahres für mich. Fordernder Schwierigkeitsgrad, fantastisches Kampfsystem und der typische Gothic – Horrorkitsch haben mich da richtig in ihrem Bann gezogen. Bis jetzt zählt der Counter 15 Stunden Spielzeit und 62%, an so einem Umfang sollten sich mal viele Entwickler ein Beispiel nehmen!
@Policenaut: An Castlevania sitze ich gerade ;-) Wird auf jeden Fall einen Artikel dazu geben, nur ist, wie du schon gesagt hast, die Spielzeit um einiges höher.
Sehr treffender Artikel, lieber Daniel. Ich habe Enslaved jetzt ganz frisch durchgespielt und bin im Großen und Ganzen doch recht angetan. Technisch und spielerisch zwar nicht der große Wurf, dennoch macht es einfach Spaß, die Figuren sind toll und charismatisch. Es hat gezündet und das reicht dann schon, um gut durchs Wochenende zu begleiten. Das Setting hat mir auch sehr gefallen.
Artikel trifft’s genau, lieber Daniel. Bin eben durch und landet zwar nicht in den Spielen des Jahres, war aber ein schönes Spiel. Die Charaktere sind es wirklich, wirklich wert und tragen das Spiel über weite Teile. Der Kampf hätte aber schon etwas anspruchsvoller sein können, da hatte man ja leider gar keine Möglichkeiten außer Buttons zu mashen. schade.
Das Ende… naja, war ehrlich gesagt unnötig und leider ja auch schon arg bekannt. Aber das konnte die Stimmung dann auch nicht mehr zerstören.
Und ich finde Pigsy ja geil. Auf Englisch ist der wirklich cool, musste mehrmals wirklich los lachen bei seinen Szenen.
Ein Volltreffer, dieser Artikel, lieber Daniel. Justament lief der Abspann, und weitestgehend gefiel es mir sehr gut. Die ausgearbeiten und witzigen Charaktere retten über manche Schwäche im Design hinweg.
;D
@SpielerDrei:
Nur weil ich meine Kollegen für positive Kommentare bezahle, musst du dich da nicht drüber lustig machen. Ich kann ja auch nichts dafür, dass sie voneinander abschreiben. ;)