Die Yakuza-Reihe ist geil. Wer das noch nicht gemerkt hat, kommt von einem anderen Stern bzw. Planeten, denn auf Sternen kann man ja gar nicht wohnen. Ryu Ga Gotoku (Like a dragon), wie die Reihe in Japan heißt, wurde im Westen bis vor wenigen Jahren recht stiefmütterlich behandelt. Aber offensichtlich hatte Sega nicht zuletzt wegen der riesigen Nutzerbasis der PS4 ein Einsehen und plötzlich bekommen wir in kurzen Abständen mehrere Vertreter der Quasi-Playstation-Exklusivserie serviert. Nach dem Anfang 2017 veröffentlichen famosen Prequel Yakuza Zero, erwartet uns bereits im April 2018 der sechste Teil, der erstmalig ausschließlich für Konsolen der Current Gen entwickelt wurde.
Als Appetithäppchen für zwischendurch hat Sega nun Yakuza Kiwami, das Remake des ersten Teils zum Mid-Price veröffentlicht. Das ist besonders für Späteinsteiger in die Reihe hocherfreulich. Zwar gab es in Japan bereits vor einigen Jahren eine überarbeitete Version des Spiels für die Wii U, die auch den zweiten Teil beinhaltete. Diese verkaufte sich jedoch schlecht, wurde dementsprechend nicht lokalisiert und ist damit durch Sprachbarriere und Wii-U-Region-Lock kaum zu gebrauchen. Die längere Wartezeit ist allerdings zu verschmerzen, denn da Yakuza seinen Anfang vor zehn Jahren auf der PS2 nahm, handelt es sich bei der PS4-Version um mehr als eine der beliebten, flott hochskalierten „HD-Versionen“. Das Spiel wurde vollständig in die von Yakuza Zero bekannte Engine übertragen, umfangreich neuvertont und inhaltlich erweitert. Wo die Wii-U-Fassung ein halbgarer Zwischenschritt war, werden wir nun mit einem vollumfänglichen Remake beglückt.
Durch die Anpassung der Technik wirkt Kiwami für Zero-Kenner von der ersten Minute an sehr vertraut, da es wie das Prequel aussieht und sich auch so spielt. Doch während das Prequel die typische Mischung aus Kämpfen, Storyelementen und einer Fülle aus Minigames als moderner Vertreter der Reihe auf die Spitze treibt, merkt man Kiwami sein PS2-Erbe an. Zwar sind zahlreiche bekannte Elemente vorhanden, insgesamt spielt sich das Ganze aber deutlich gradliniger. So übernehmen wir hier ausschließlich die Rolle des Titelhelden Kazuma Kiryu, des „Dragon of Dojima“. In Zero konnten wir hingegen in zwei verschiedene Charaktere schlüpfen, in Yakuza 4 sogar in drei. Zudem findet das Geschehen in Kiwami fast ausschließlich in Kamurocho, dem in jedem Yakuza zentralen fiktiven tokyoter Stadtteil statt. Yakuza-Veteranen werden sich auf der Karte sofort zurecht finden, denn die ist wie immer gleich aufgebaut.
In seinem spielmechanischen Kern ist Kiwami wie alle Teile der Serie ein Brawler, der Spieler_innen mit einer Horde von Standardgegnern in Zufallsbegegnungen konfrontiert. Im Laufe der Geschichte finden zudem herausfordernde Auseinandersetzungen mit den storyrelevanten Bossgegnern und deren Handlangern statt. Das Kampfsystem ist ebenfalls altbekannt, fällt aber schlichter als in den modernen Teilen aus. Es beschränkt sich auf vier Standardkampfstile, die individuell mit Erfahrungspunkten hochgelevelt werden können. Zwar ist das Geploppe und Gebolze vor allem in den ersten Stunden sehr unterhaltsam, verliert aber etwas rascher an Reiz, als es bei „echten“ neuen Teilen der Fall ist. Dieses liegt zum einen daran, dass sich Bosse zwischendurch selbst heilen, was diese ohnehin zähen Auseinandersetzungen weiter streckt. Auch wirken die Kämpfe gegen starke Gegner streckenweise unangenehm eckig. So können zahlreiche Attacken nicht geblockt werden, währen die Kontrahenten wiederum fast alles abwehren. Wie üblich entschädigen die formidablen Cutscenes aber für alle Strapazen. Allein durch die Yakuza-typisch großartigen Gesichtsanimationen, die den Charakteren zusätzliche Tiefe verleihen, sind diese ein Feuerwerk der guten Laune.
Ein weiterer Yakuza-Standard sind die Nebenbeschäftigungen, typische Minigames wie Bowling, Baseball, Kneipensport usw. finden sich in den Amüsierbetrieben Kamurochos, in Arcades können Sega-Klassiker wie Outrun und Space Harrier können gespielt werden. Umfangreicheres wie das Führen eines Hostessenclubs oder das Betreiben einer Immobilienfirma fehlen jedoch. Dadurch büßt Kiwami einerseits ein wenig des Yakuza-Charmes ein, anderseits ist es so leichter, der zentralen Geschichte zu folgen, als es in den späteren, mit Ablenkungsmöglichkeiten vollgestopften Teilen möglich ist. Die Details der Rahmenhandlung spare ich mir, aber die Erzählung ist wie üblich voll großer Gefühle und Dramen. Brüderlichkeit, Ehre, Verrat, unvorhergesehene Wendungen; all das sind Markenzeichen der Reihe und fehlen selbstverständlich auch nicht in Kiwami. Wer keinen Schimmer hat, wovon ich hier rede, sollte sich einfach eine Art japanischer Seifenoper vorstellen. In gut. Mit Mafiosi.
Konterkariert wird die bei aller Überzeichnung immer ernste Handlung durch die zahlreichen absurden Nebengeschichten. Ob es der CEO ist, der von Durchfall und Nasenbluten geplagt auf einer öffentlichen Toilette festsitzt, der an gebrochenem Herzen leidende suizidale Salary Man oder der Leiter eines Clubs für Slot Car Racing, der dringend nach einem Nachfolger sucht. Die Welt von Yakuza Kiwami ist voller windiger Gestalten, die Kazumas Hilfe benötigen und seinen Einsatz mit Erfahrungspunkten, wertvollen Items und ihren witzigen Geschichten belohnen. Ein Absurditätshighlight sind die Begegnungen mit dem irren Yakuza-Kollegen Goro Majima, der aus anderen Teilen der Serie bekannt ist. Goro versucht ständig Kazuma in Kämpfe zu verwickeln, um in ihm den alten Kampfgeist des „Dragon of Dojima“ zu wecken. Hierfür verkleidet er sich als Polizist, Zombie oder überdimensioniertes Verkehrshütchen und springt gelegentlich sogar aus einem Gulli hervor. Trotzdem ist er auch Teil der zugrundeliegenden, ernsten Erzählung. Diese oberflächlich widersprüchliche Mischung zeichnet die Yakuza-Spiele seit jeher aus und sie funktioniert auch in Kiwami ganz hervorragend. Spieler_innen, die mit diesem speziellen Humor wenig anfangen können, dürften das anders sehen, aber sie gehören auch nicht zur Zielgruppe.
Yakuza Kiwami ist nicht frei von Kritik, aber trotzdem ein durchweg wunderbares Spiel. Knapp 50 Stunden habe ich mich durch Kamurocho geprügelt, habe abwechselnd mitgefiebert und mich schlappgelacht und dabei fast jede Minute genossen. Schließlich wurde ich mit einer in ihrem überschäumenden Pathos absolut mitreißenden Endsequenz belohnt. Denn im Gegensatz zu Zero, habe ich Kiwami tatsächlich durchgespielt. Es ist zwar mitnichten das bessere Spiel, aber während ich Kiwami aufgrund seiner Kompaktheit an einem verlängerten Wochenende durchziehen konnte, war ich mit Zero nach über 70 Stunden noch lange nicht fertig, musste aber aus Zeitnot abbrechen.
Das führt uns zu der Frage, ob sich für den Neueinstieg in Reihe eher Zero oder Kiwami eignet. Aus dem Bauch heraus möchte ich Zero empfehlen, da es das insgesamt rundere Spiel ist und es auch inhaltlich buchstäblich bei null beginnt. Wer jedoch ungeduldiger ist und sich eine gradlinigere Spielerfahrung wünscht, dem sei Kiwami ans Herz gelegt. Denn trotz altersbedingter Macken, handelt es sich hier um einen ganz formidablen Vertreter der Reihe und ein überaus gelungenes Remake, das durch seine Kompaktheit den Einstieg in die Welt von Yakuza erleichtert. Alte Fans freuen sich über die Möglichkeit, den Klassiker erneut in einer Fassung spielen zu können, die aufgrund zeitgemäßer Grafik Augenkrebs verhindert und durch die Implementierung von Komfortfunktionen Tobsuchtsanfällen vorbeugt. Und weil das alles so schön ist, schielen Yakuza-Afficionados nervös Richtung Japan und hoffen auf einen West-Release der überarbeiteten Fassung des zweiten Teils, die für Japan bereits angekündigt wurde. Wenn wir alle ganz brav sind und schön Kiwami, Zero und Yakuza 6 kaufen, dann bringt Sega diese sicherlich auch ganz bald zu uns. Nicht wahr, Sega? Hm? Ich kaufe alles!
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