Wenn wir uns auf dem vielbeschworenen Abstieg nach dem Zenith der Live-Service-Games befinden, dann ist Skull & Bones wohl eines der besten Beispiele dafür. Seine problemgeplagte, ziellose und von vornherein in der öffentlichen Wahrnehmung zur Erfolglosigkeit verdammte Entwicklungsgeschichte muss ich hier nicht mehr abrollen, das haben andere besser getan. Skull & Bones unternimmt die beeindruckende Gratwanderung, diesen Pessimist:innen absolut rechtzugeben und sie gleichzeitig irgendwie zu widerlegen. Denn immerhin steck in Skull & Bones ein, nach allen Metriken der Geschäftswelt, passables Spiel. Die Kernmechanik funktioniert, es gibt eine Art von Progression, es sieht okay aus. Und dennoch ist Skull & Bones ein Paradebeispiel dafür, wie das Etikett Live-Service jede Art von Spielkonzept und -freude zerstören kann, weil selbst grundlegend gute Mechaniken in so viele von zeitintensiven oder monetären Hürden abgetrennte Teile zerhackt werden, dass am Ende kaum noch ein kohärentes Spiel übrig bleibt.
Jedes Element in Skull & Bones arbeitet aktiv gegen die Spielfantasie, die Black Flag, Rogue und sogar die weniger auf Piraten fokussierten, aber mit Schiffskampf versehenen Assassin’s-Creed-Titel aufgebaut haben. Unendliche Freiheit auf offenen Meeren, die ich erobern kann, indem ich Festungen einnehme, Siedlungen plündere und Elite-Kapitäne besiege, um ihre Schiffe zu entern und an ihrer Ausrüstung Stück für Stück zu wachsen. Auf dem Papier hat all das in Skull & Bones Platz gefunden. In der Umsetzung schieße ich auf Wachtürme mit viel zu langen Lebensbalken, plündere Festungen danach mit dem Druck einer Taste und indem ich kleine Wave-Survival-Passagen überlebe und entere Schiffe auf simplen Knopfdruck für minimalen Bonusloot. Die Schiffsnavigation ist so stark gestreamlined, dass ich auch ein Hotwheelsauto fahren könnte: Egal ob ich ein Rettungsboot steuere oder ein eigentlich schwerfällig gepanzertes Kanonenschiff, ich slide durch die Wellen wie in einem Driftrennen und beschleunige für eine Rammattacke in Sekundenschnelle gegen den Wind auf Maximaltempo. Der Landgang stört nur, und es wirkt, als wisse Ubisoft das sogar. Flüssige Übergänge in den vorangegangenen Singleplayer-Titeln werden hier durch Schwarzblenden ersetzt, schließlich muss jedes Camp instanziert sein, um die Serverlast zu kontrollieren. Auf Land schickt mich das Spiel viel zu oft zu Schatzjagden oder durch vertrackte Basenarchitekturen, denen man ansieht, dass eigentlich mal viel mehr geplant war. Teilweise stehen die bekletterbaren Gerüste samt mit weißem Segeltuch markierten Griffpunkte a la Assassin’s Creed noch herum, doch statt Akrobatik kann ich nur laufen, und muss mich Serpentine um Serpentine, Treppe um Treppe durch viel zu große, völlig leere Burgruinen zu einem einsamen Questgeber vorkämpfen. In den ersten ca. sechs Spielstunden von Skull & Bones bin ich gut die Hälfte auf Land unterwegs, weil das Spiel nicht aufhören kann, mir Quest-Arten vorzustellen, obwohl sie alle gleich sind: Egal ob ich eine Ressource plündern, eine Schatztruhe ausgraben, eine Lieferung ausführen oder einen Händler bestechen soll, am Ende laufe ich an Land immer nur an Ort Y und drücke X. Skull & Bones wäre ein viel besseres Spiel, wenn es immer noch Assassin’s Creed wäre, aber es hätte auch ein zumindest deutlich besserer Titel werden können, wenn man auf den Landgang ganz verzichtet hätte. Doch dann gäbe es ja einen Avatar weniger, für den man Cosmetics verkaufen kann.
Die Kommodifizierung und gleichzeitige Seelenlosigkeit von Skull & Bones wird wahrscheinlich von nichts so gut symbolisiert wie vom Shanty-Button im Schnellauswahlrad: Ja, die Gesänge der Seeleute sind mit das Atmosphärischste, was Black Flag und Rogue zur Erzeugung ihrer Fantasien zu bieten haben. Dass mir Skull & Bones nun einen Button gibt, mit dem ich jederzeit ein Seemannslied auslösen kann, knüpft daran aber so gar nicht an. Gerade weil ich keine Kontrolle über die Shantys hatte, gab mir das immer ein Gefühl der Freiheit, der Selbstbestimmung meiner ansonsten quasi völlig charakterlosen NPC-Crew. Shantys begannen, wenn ich auf hoher See einige Zeit lang in völliger Ruhe dahinsegelte. Wenn ich einem Sturm getrotzt hatte und meine Anspannung sich ebenso löste wie der Druck auf meinen Segeln. Skull & Bones ist zwischendurch ganz nah dran, solche Momente zu erzeugen: Etwa wenn ich das erste Mal nach dem Tutorial aus dem Piratenhafen Sainte-Anne auslaufe und meine Crew das gleichnamige, fürs Spiel komponierte Skull & Bones anstimmt. Im weiteren Spielverlauf muss ich aber in viel zu großer Regelmäßigkeit meine Segeltörns unterbrechen, um an Land zu gehen und dort effektiv nichts zu tun, oder ich schippere absurd lange Zeiten durch ein Nichts, das von so hochleveligen Schiffen bevölkert wird, dass ich keine Konfrontation auslösen kann, sodass selbst ein oder zwei der ständig abbrechenden Shantys keine Stimmung aufkommen lassen.
Ich kann übrigens durchaus respektieren, dass mir das Spiel schon früh Schiffe der französischen Compagnie Royale oder der niederländischen Dutch Merchant Company vorsetzt, die ich nicht klein bekomme, um die erdrückende Übermacht der Kolonialmächte über die nativen Stämme zu symbolisieren, mit denen ich mich in Ufernähe kabbele. Die Spielstruktur geht darauf aber nicht im geringsten ein, denn wenn ich nicht schieße, lassen mich alle Schiffe in Ruhe, und Entscheidungen treffen, um beispielsweise einen schwachen Händler zwischen starken Begleitschiffen herauszulocken und dann schnell zu fliehen kann ich ebenfalls nicht, weil solche taktischen Szenarien nicht existieren. Noch nicht, denn Faction Convoys sollen in Season 1 nachgepatcht werden: Grundlegende Inhalte, die selbst 1987 in Sid Meier’s Pirates! zum absoluten Standard einer Piratenfantasie gehörten, fehlen hier einfach und kommen später. Live Service, Ahoy.
Uns gehört nix Mehr
Und schlussendlich gibt mir Skull & Bones nicht die geringste selbstbestimmte Kontrolle über meinen Spielfortschritt. Vorbei die Zeit, in der ich mit Plünderungen und Quests Geld und Rohstoffe verdiene, mit denen ich dann mein Schiff rüste, meine Flott ausbaue und meine Crew ausbilde – Also eigentlich nicht, denn auf dem Papier mache ich genau dasselbe immer noch, nur eben im Live-Service-Korsett. Und wie eng das geschnürt ist: Alles in Skull & Bones ist an Blueprints gebunden – Bauanleitungen, ohne die ich weder eine andere Kanonenart, geschweige denn ein besseres Modell meiner Startkanone bauen kann, noch ein besseres Schiff. Sogar alle Munitionsarten abgesehen von der gewöhnlichsten kann ich nicht craften, wenn ich nicht zuvor die Baupläne gekauft oder gelootet habe. Die sind teilweise nur an Orten zu finden, an die ich erst nach mehreren Stunden Hauptquest gelange, oft nachdem ich die eigentliche Waffe schon hätte, aber dank Munitionsmangel eben nicht nutzen kann. Und wenn diese Baupläne, die offensichtlich dazu da sind, mich in Daily und Weekly Quests, Gruppenraids und Schatzjagden mit wechselnden, zufälligen Belohnungen zu zwingen, doch alles wären. Aber wenn ich eine Blueprint habe, brauche ich natürlich noch die entsprechenden Materialien. Die muss ich bei einem Refiner craften, indem ich Rohmaterial wie Erze, Baumstämme und Fasern zu Barren, Planken und Seilen mache. Das kostet echte Lebenszeit: Anfangs nur eine Sekunde pro Planke, später vier, dann acht und so weiter. Und irgendwann steht der Timer dann für einige Ressourcen auf über einer Stunde.
Und die rohen Ressourcen materialisieren sich ja auch nicht einfach in meinem Frachtraum. Die baue ich stattdessen direkt vom Schiff aus am Ufer in einem lästigen, aber okayen Timing-Minigame ab – Wenn ich die richtigen Werkzeuge habe. Denn Sichel, Axt, Spitzhacke, Brecheisen und co. gibt es natürlich in fünf Stufen, von denen ich die erste im Tutorial bekomme und von denen ich die weiteren selbst craften muss. Und womit? Mit Blueprints. Ein niemals enden wollender Kreislauf an Content, der mich immer wieder von einem Ende der Karte ans andere jagt. Erträglich machen kann ich mir den aber natürlich jederzeit, indem ich mir einen schicken Hut kaufe.
Skull & Bones verkauft mir an jeder Ecke die Fantasie, dass die romantisierte, gut durchdachte Spielerfahrung von Black Flag oder Rogue nur noch eine Craftingstufe, nur noch eine Daily Quest, nur noch einen Echtgeldkauf entfernt liegt. Hinterm Horizont gibt es immer irgendwas zu tun – aber das, was es zu tun gibt, hat mehr von Excel-Sheets und Baumaterialeinkauf als von Videospiel oder gar von Piratenfantasie.
Übrigens hat Skull & Bones auf jeder Plattform eine achtstündige Testversion, was bei der Spielstruktur dieses Titels wohl die ungewollt lustigste Unternehmensentscheidung ist, die man sich vorstellen kann. Wenn ihr also wirklich Lust habt, Skull & Bones auszuprobieren, findet ihr darin kostenlos alles, was euch das Spiel bieten kann, und dann noch ein bis zwei Stunden, in denen ihr nicht so recht wisst, wohin ihr euch von den Wellen der contentgefüllten, inhaltsleeren East Indies tragen lassen sollt.
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