Es begann in New York. Der genaue Ursprung des Angriffs ist bis heute ungeklärt. Zunächst hielt man sie noch für eine sich schnell bewegende Wolke, doch kurze Zeit später stellte sich heraus, dass es sich hier nicht um ein Wetterphänomen handelte. Es waren Pixel. Und sie kamen aus dem Computer.
Der Angriff traf die Menschheit vollkommen unvorbereitet und er dauerte nur wenige Minuten. Sie drangen in die U-Bahnstationen New Yorks ein, verteilten sich von dort aus in PacMan-Form in der ganzen Stadt und begannen die Transformation. Sie verwandelten alles und jeden in Pixel. Nichts konnte sie stoppen.
Ich und ein paar andere Menschen entkamen dem Angriff. Wir wissen selbst nicht, wie es uns gelang. Wir versteckten uns und beobachteten. Mittlerweile hat sich die Erde in einen einzigen, großen Pixel verwandelt und die Angreifer sind weitergezogen. Vermutlich suchen sie sich einen neuen Planeten, den sie verwandeln können. Sie rechneten wohl nicht damit, dass es Überlebende gab. Nun liegt es an uns, die Verpixelung der Erde wieder rückgängig zu machen.
Tag 0
Es kann losgehen. Unsere Wissenschaftler sind fertig. In einem Bunker unter dem Weißen Haus stießen wir nach dem Angriff auf ein unverpixeltes Labor. Dort entwickelten wir die Kugel. Die perfekte Kugel. Die einzige Waffe gegen die Pixel. Das Runde gegen das Eckige.
Wie genau die Wissenschaftler die Kugel konstruierten, weiß ich nicht. Das geht mich aber auch gar nichts an. Ich muss sie nur steuern. Ich bin der Fahrer. Der Beste. In der Zeit vor dem Krieg arbeitete ich als Küchenchef auf einer Bohrplattform. Dort lernte ich nicht nur, Knödel zu formen, sondern auch mit ihnen umzugehen. Sie zu lenken. Eins mit ihnen zu werden. Nach dem Angriff bin ich vermutlich der Einzige, der die Kugel steuern kann. Ich bin die letzte Hoffnung der Menschheit.
Das Ziel ist klar: Unser Planet muss runder werden. Die Kugel ist nur das Werkzeug, um dieses Ziel umzusetzen. Ihrer perfekten Rundung kann kein Pixel widerstehen. Befindet sich ein Pixel in ihrer Nähe, löst er sich auf und gibt das frei, was er verpixelt hatte. Und so werde ich die Welt retten. Ich werde Orte besuchen, die nur noch aus Ecken und Kanten bestehen, um sie wieder abzurunden.
Aber die Pixel sind nur mein sekundäres Ziel. Primär muss ich mich um die Pflanzen der Erde kümmern. Ich muss die Lebensmittelversorgung der Überlebenden sicherstellen. Und dafür benötige ich alle Sonnenblumen, die ich finden kann. Sie muss ich einsammeln.
Die Steuerung meiner Kugel ist simpel. Ich kann sie in alle vier Himmelsrichtungen bewegen. Immer um einen Meter vorwärts. Alternativ kann ich auch zwei Meter weit springen, um kleinere Abgründe zu überwinden. Durch die Gravitationsbeschichtung der Außenhaut bleibt meine Kugel zudem immer an festen Untergründen kleben. So komme ich Wände hinauf und kann sogar kopfüber an der Decke entlangrollen. Für weitere Funktionen blieb leider keine Zeit. Aber ich brauche auch nicht mehr. Ich bin schließlich der Beste.
Um mir meinen Aufenthalt in der Kugel angenehmer zu gestalten, durfte ich das Muster der Außenhaut selbst bestimmen. Ich wählte ein Brezeldesign. Denn ich mag Brezeln. Außerdem hat mir ein zu den Überlebenden zählender Musiker eine seiner CDs geschenkt. Er redete etwas von „Retromukke“ und „Chiptunes“ oder so. Ich habe kein Wort verstanden aber für die Musik bin ich dankbar. Irgendetwas Positives muss ich schließlich um mich herum haben. Ich weiß nicht, ob ich die Mission überleben werde. Ich weiß nicht einmal, was auf mich zu kommt.
Tag 4
Die ersten Gegenden sind sauber. Bisher verläuft alles leichter, als wir es uns vorgestellt hatten. Hier und da musste ich über ein Loch springen, hin und wieder stieß ich auf eine Plattform, die unter dem Gewicht der Kugel zusammenbrach, sobald ich sie verließ. Doch ansonsten gab es keine nennenswerten Probleme. Die ersten Sonnenblumen befinden sich in meinem Besitz. Ich bin optimistisch was meine Weiterreise anbelangt.
Leider hakt die CD. Es gibt immer wieder Tonaussetzer und die Übergänge zwischen den einzelnen Liedern sind ein wenig unsauber. Schade, denn ansonsten gefällt mir die Musik sehr gut.
Tag 8
Es wird kniffliger. Ich bin auf die ersten Eisflächen gestoßen. Auf diesen kann ich meine Kugel nicht mehr kontrollieren und sie rollt so lange in eine Richtung, bis sie auf eine gewöhnliche Bodenplatte oder einen Abgrund stößt. Von nun an muss ich meine Wege zwei Schritte im Voraus planen. Ich will schließlich nicht abstürzen.
Tag 15
Die ersten Tage waren im Vergleich zu heute ein Spaziergang. Mittlerweile muss ich mich daran gewöhnen, dass ich auch mal auf der Unterseite einer Plattform herumrolle. Meine Sprungfähigkeit reicht aufgrund der komplizierteren Architektur der Gegenden auch nicht mehr aus. Darum muss ich auf Sprungplattformen ausweichen, die mich ganze drei Meter geradeaus katapultieren.
Das Schlimmste sind jedoch die „Öfen“. Betrete ich sie, stellen sie zwar noch keine Gefahr dar, aber sobald ich wieder von ihnen herunterrolle, entfache ich durch die Reibung meiner Kugel ein Feuer in ihnen. Von nun an darf ich sie nicht mehr berühren, sonst explodiert meine Kugel. Ich muss mir also ganz genau überlegen, wann ich auf sie rolle. Schließlich ist es eine einmalige Sache.
Tag 16
Ich nehme alles zurück. Die Öfen sind gar nicht so schlimm. Soeben habe ich eine Gegend entpixelt, in der sich Abwehrmaßnahmen in Form von Dornen befanden. Sollte ich jemals in Kontakt mit ihnen kommen, war es das mit meiner Kugel und der Rettung der Erde. Zum Glück sind die Dornen immer mit Schaltern verbunden, die sich irgendwo in ihrem Umkreis befinden. Drücke ich einen Schalter, werden alle ausgefahrenen Dornen eingezogen. Leider fahre ich zu diesem Zeitpunkt bereits eingezogene aber durch die gleiche Aktion wieder aus. So kann es passieren, dass ich mir durch Betätigung eines Schalters einen neuen Weg eröffne, einen alten jedoch verschließe. Langsam muss ich anfangen, mir erst einmal einen Überblick über die Gegend zu verschaffen, bevor ich meine Kugel in Bewegung setze.
Das vollständige Entpixeln meiner Umgebung habe ich mittlerweile aufgegeben. Ich konzentriere mich erst einmal nur noch auf die Sonnenblumen. Für alles Weitere sind Sonderschritte vonnöten, für deren Planung ich gerade einfach nicht die Geduld habe. Vielleicht werde ich diese Gegenden später ein zweites Mal aufsuchen und mich dann um die letzten Pixel kümmern.
Tag 23
Sand. Früher fuhr ich gerne mit meiner Familie an den Strand und verbrachte dort ein paar entspannte Urlaubstage. Heute ist das anders, denn Sand behindert meine Kugel. Rolle ich auf Sand, kann ich mich nur noch durch einen Sprung vorwärts bewegen. Und das bedeutet, dass ich zwei Meter vorwärts springe. Befindet sich dort ein Abgrund, bin ich verloren. Außerdem bin ich auf die ersten Teleporter gestoßen. Diese teleportieren mich zu anderen in der Gegend platzierten Teleportern. Das bedeutet: Noch mehr Planungszeit bevor ich mich in Bewegung setze. Was kommt als nächstes? Unsichtbare Blöcke?
Tag 42
Ich hätte ruhig sein sollen. Soeben befinde ich mich auf einem unsichtbaren Block. Na gut, wirklich unsichtbar ist er nicht. Eher schwer zu erkennen. Die Blöcke sind aus einem glasartigen Material, das das menschliche Auge nur auf wenige Meter Entfernung erkennen kann. Ich fühle mich hier nicht wohl. Von nun an kann ich die Vorbereitung vor meinem ersten „Schritt“ vergessen. Schließlich weiß ich gar nicht, wo ich alles hinrollen kann.
Gerade bin ich ratlos. Es kommt alles zusammen. Ich rollte zunächst eine Wand hinauf und hänge nun kopfüber an einer Decke. Vor mir befindet sich eine Eisfläche, die hier und da mit Löchern und Sand angereichert ist. In der Ferne kann ich ein paar Dornen erkennen. Wie ich den Schalter für diese erreichen soll, weiß ich noch nicht. Vielleicht hilft mir ja der Teleporter hinter mir weiter. Ich hoffe es. So langsam wird mir das alles nämlich fast zu viel. Und ich habe laut meiner Weltkarte noch nicht einmal die Hälfte des Weges hinter mir. 100 Stationen in 100 Tagen. Das Haken der Musik ist auch nicht gerade motivierend. Ich sollte eine kurze Pause einlegen. Eine Mütze Schlaf hilft bei Aufgaben dieser Art oft weiter. Ich habe Hunger auf Brezeln.
(Vielen Dank an Doctor Entertainment für die bereitgestellte Testverion.)
4 Kommentare
Großartig! Garantiert von dem hier inspiriert, oder?
Äh, mit “dem hier” ist das hier gemeint: http://www.youtube.com/watch?v=ou8vRWTSsJo
Vielen Dank!
Deine Vermutung ist vollkommen richtig. Passte perfekt als Einleitung.
“Von nun an darf ich sie nicht mehr berühren, sonst explodiert meine Kugel.”
Müßiger Gedanke, aber: Woher kann die erzählende Person das wissen?
Irgendwie hätte man das typische Videospiel-Try&Error umschreiben können, meinetwegen mit einem “die Wissenschaftler haben mich davor gewarnt, dass …” oder “irgendetwas in meinem Hinterkopf sagt mir, dass …”.