In Catherine, dem neuen Spiel der Persona-Macher von Atlus, werden betrügende Männer zu Schafen, die in ihren Alpträumen von Monsterbabys über Türme aus Würfeln gejagt werden. Die bizarre Mischung aus Anime, Datingsim, Horrorspiel und Puzzlegame klingt vielversprechend. Doch Catherine polarisiert. Robert Glashüttner, einigen Lesern vielleicht noch aus unserer Adventskalender-Aktion bekannt, schreibt in seiner Spielbesprechung auf fm4, dass seine Erwartungen nicht erfüllt wurden. Grund, Robert zu einem Streitgespräch über Catherine einzuladen.
Manu: Robert, ich habe deinen Text zu Catherine gelesen und bin in einigen Punkten nicht ganz deiner Meinung. Darf ich dich zum Einstieg gleich mal zitieren?
“Catherine ist auf den ersten Blick eine großartige Mischung aus Puzzlegame, surrealer Horrorgeschichte und moralischen Dilemmata. Leider vermischen sich Story und Spiel nie so richtig miteinander.”
Ja, Catherine ist in erster Linie ein Puzzlespiel. Den Großteil der ca. 15-20 Stunden Spielzeit wird man mit dem hin- und herschieben von Blöcken verbringen. An diesem Punkt hat Atlus meiner Meinung nach mit dem Marketing die falschen Erwartungen an das Spiel geweckt. Es ist kein “Genre-Mix” sondern ein knallharter Puzzler mit etwas Geschichte. Der Story-Part trägt an der ca. 15-20 stündigen Spielzeit kaum mehr als ein Viertel. Dennoch: Dass sich die beiden Parts deiner Aussage nicht, bzw. wenig vermischen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe selten eine so gute Einbindung und vor allem Begründung der Puzzle-Elemente in eine Story gesehen. Die nächtlichen Horror-Sequenzen mit den Blöcken sind ja die Albträume der von dem Dämon verfolgten Männer. Die Charaktere unterhalten sich ja auch so gut wie jeden Abend in der Bar darüber und auch in den Medien sind diese Träume das Gesprächsthema Nummer 1. Auch erkennen sich die Charaktere ja zum Teil auch in den Träumen als Schafe wieder. Noch dazu lassen sich diese Puzzleparts ganz wunderbar als Hürden, innere Blockaden und als Verbildlichung des Überwindens der eigenen Ängste interpretieren. Du schreibst es ja sogar selber in deinem Artikel:
“Das ist immer eine Manifestation von Vincents Ängsten, etwa die im Diesseits schwangere Freundin, die hier als überdimensionaler Zombie erscheint und Vincent mit einer Tischgabel aufspießen möchte oder ein Riesenbaby mit Kettensäge, das “Daddy!!” ruft.”
Dass man im Schlaf Probleme und Ängste aus dem Alltag skurril verarbeitet und auch übertrieben oder entzerrt wahrnimmt, finde ich gut getroffen. Selbst die Mechanik des Blöcke-schiebens an sich findet als liebevolles Detail durch den Spielautomaten Rapunzel in der Bar seine Begründung. Vor allem gegen Ende vermischen sich die zwei Ebenen auch deutlich und finden eine, wie ich finde, sehr gute Erklärung für das ganze Phänomen. Vorausgesetzt, man stellt sich von Anfang an darauf ein, dass die Geschichte ein Anime ist und auch so erzählt wird.
Robert: Genau das von dir beschriebene (Un-)Verhältnis zwischen Tag- und Nachtwelt zerstört mir die Dramaturgie des Spieles. Die ersten zwei, drei Nächte hat das für mich noch alles gut funktioniert, und ja, natürlich wird das Gepuzzle von der Geschichte umrahmt bzw. so ausgeschmückt, dass sich das – trotz des bizarren Settings – alles gut ineinander fügt. Nur leider ist mir das irgendwann egal, weil ich nur noch damit beschäftigt bin, die Rätsel zu lösen bzw. endlich das jeweilige Level zu schaffen. Im Gegenteil, wenn ich angestrengt dem Bestehen des nächsten Turmes entgegenfiebere, will ich nicht dauernd daran erinnert werden, dass es hier ja angeblich nicht bloß um ein nerviges Puzzlegame ginge, sondern um das Überwinden der eigenen Ängste, usw. Nach über einer Stunde Klettern wäre es mir lieber, ich bräuchte nicht zum x-ten Mal diese doofen Schafdialoge führen, die immer gleich aussehenden Zwischenplattformen besuchen und mir immer und immer wieder “EDGE!” und “Alright, I got it!” in die Ohren jagen lassen müssen. Kann das Spiel nicht nach dem 15. Versuch sein Drumrum sein lassen und einfach nur noch in eine Art Minimalmodus schalten, wo es dann nur noch um das Puzzle geht, bis ich es gemeistert habe?
Okay, ich gehe mit dem Game vielleicht ein bisschen zu streng ins Gericht. Aber ich verzeihe den Catherine-Designern manche Dinge eben nicht. Was den Nachtmodus betrifft, sind die drei Hauptpatzer, dass a) auch der leichte Modus noch nervig schwer, b) die Kamera total vermurkst (Hallo, ich würde meinen Avatar auch gerne sehen, wenn ich hinten klettere!) und c) die Steuerung des Hin- und Herhopsens im Blockhängemodus absolut unlogisch ist.
Was die Geschichte anbelangt – das habe ich auch im FM4-Text angedeutet – empfinde ich Catherine als Mogelpackung. Das beginnt anfangs alles sehr interessant und tiefgründig, flacht aber bald ab und es kommen kaum noch neue Themen, Charaktere, Plätze, Dialoge mehr hinzu. Immer das selbe Gelaber über Zweifel bezüglich der eigenen Lebens- und Liebesführung, Freundin hier, Abenteuer dort, oberflächliches Philosophieren über Liebe, Sex und die angeblichen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Schon klar: Das ist alles geprägt durch japanische Pop-Traditionen, Anime-Ästhetik und den Backkatalog von Atlus. Trotzdem hätte man hier in der zweiten Hälfte des Spieles mehr Abwechlsung rein bringen können.
Manu: Ja, der Schwierigkeitsgrad ist völlig vermurkst. Auf “Normal” bin fast verzweifelt und habe dann nach einem Drittel des Spiels einen Frust-Moment nach dem anderen gehabt. Auf “easy” war es dann fast schon zu einfach, aber das ist ja auch immer sehr subjektiv . Schlimmer fand ich den “und noch ein Rätsel”-Wahn in den letzten 2-3 Stunden der Kampagne. Natürlich ist das Ende des Turmes nicht das wirkliche Ende. Das wird ja schier unerträglich lange gezerrt und rausgeschoben und hat mich ziemlich angenervt, vor allem, weil man an dem Punkt eigentlich nur noch das Ende der Story erfahren möchte und auf das eigentliche puzzlen gar keine Lust mehr hat.
Aber zurück zu deinem Vorwurf, das Spiel wäre eine Mogelpackung. Ich zitiere noch mal aus deinem Text:
“Es ist schon ärgerlich: Videospiele trauen sich selten, komplexe zwischenmenschliche Zustände zu thematisieren und in ein Spielerlebnis zu verweben. “Catherine” punktet zwar mit einem unorthodoxen Setting und einer stilsicheren Darbietung des Geschehens, die von den Normalos in der Bar bis zu bizarren Schafmetaphern eine breite kreative Palette an Ideen abliefert. Übrig bleibt davon aber nicht mehr als ein interaktiver Anime-Film, der mit einem Blockschiebepuzzlespiel verzahnt ist.”
Ich gebe Dir in so weit Recht, dass es viele komplexe Beziehungsthemen wie Treue, Bindungs- und Verlustängste anschneidet, dann aber leider doch etwas oberflächlich bleibt. Da wäre in den Dialogen in der Bar noch deutlich mehr drin gewesen. Und warum ist Vincent so ein furchtbarer Jammerlappen, der dann im direkten Gespräch mit den Damen nie den Mund aufbekommt? Aber gut, im Kontext des Mediums der Computerspiele kann das Spiel meiner Meinung nach dennoch deutlich punkten. Zwar wirkt die ganze Machart durch den übertriebenen Anime-Stil und der sehr aufreizenden Darstellung der Catherine auf den ersten Blick sehr pubertär und infantil, aber die Themen, die sich dadurch öffnen, sind deutlich komplexer, als alles, was ich bisher von Computerspielen gewohnt war. Es geht hier nie um die sekundären Geschlechtsmerkmale der beiden Damen, sondern stets um die emotionale Gefühlslage, in der sich unser Protagonist durch das Auftauchen der nackten Catherine in seinem Bett wiederfindet. Es geht um die Frage, ob er reif genug ist für eine Familengründung, ob er sich sicher genug in seiner Liebe ist für eine feste Bindung oder ob ihm die eigene, persönliche Freiheit wichtiger ist. Das sind Themen, die ganz klar keine pubertierenden 16jährigen ansprechen (auch beim Cover weckt das Marketing leider wieder völlig falsche Erwartungen).
Dass das Spiel diese Themenkomplexe nicht komplett ausformuliert, finde ich absolut in Ordnung. Auch die Fragen im Beichtstuhl in der Nacht empfand ich eher als Denkanstoß. (“Ist es schwerer zu lieben oder geliebt zu werden?”, “Würdest du einen Roboter lieben können, wenn dieser alle Eigenschaften aufweist, die du in einem Menschen suchst?”) Ich fühlte mich einfach wohl dabei, dass ein Spiel solche Ü30-Themen überhaupt thematisiert und ich mich als erwachsener Spieler nicht wie sonst ausschließlich mit dem wildgewordenen Testosteron der Spielfigur identifizieren muss. Gepaart mit dieser relaxten Stimmung in der Bar fühlte ich mich fast, als würde ich selber dort in der “Stray Sheep”-Bar bei den Jungs sitzen und Beziehungsprobleme mit heißem Sake besprechen. (Und ich habe nebenbei viel über die Geschichte des Sakes gelernt!)
Robert: Jetzt haben wir beide hier beinahe schon unseren Konflikt vergessen. Ich bin ganz bei dir, wenn es um die durchaus ansprechende Darstellung komplexer Themen wie Beziehung, Sexualität, Verantwortung übernehmen, usw. geht. Doch mir ist es ebenso ergangen wie dir, ich war gegen Schluss nur noch ungeduldig, weil sich die langwierigen Puzzles immer mehr in die Länge gezogen haben und ich doch bloß wissen wollte, wie die Geschichte weitergeht. Ja, und ich gestehe: Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr. Ich habe aufgehört und mir den Ausgang der Story bzw. die unterschiedlichen Enden auf YouTube angesehen. Danach stellte ich mir die Frage: Was ist geblieben von der Begeisterung, mit der ich ins Spiel gegangen und die in den ersten paar Spielstunden noch vorhanden war? Leider nicht viel. Der von dir in unserem Dialog anfangs angesprochene Guss aus Story und Spiel hat sich immer mehr zersetzt und getrennt, so, dass am Schluss nur noch eine gute interaktive Geschichte mit einem durchschnittlichen Puzzlegame übrig geblieben ist. Vermutlich hätte ich Catherine gemocht, wenn sich jede Alptraum-Nacht durch ein anderes Game manifestiert hätte. Zum Beispiel durch Remixes oder Abwandlungen alter Arcade-Spielideen. So wie bei Retro Game Challenge! Dann wäre ich bis zum Schluss Fan geblieben.
Manu: Retro Game Challenge ist toll, ja. Aber die Rätselmechanik wurde ja durchaus ständig um neue Elemente erweitert: Eisblöcke, monströse Endbosse, sich auflösende Plattformen, fixe Blöcke, Trampolin-Felder und Items – spielerische Abwechslung kann man dem reinen Puzzle-Teil wirklich nicht vorwerfen. Hilft natürlich alles nichts, wenn einen die Rätselmechanik nach 10-12 Stunden anödet, klar. Mir fehlte die Abwechslung eher in den Dialogen und Orten außerhalb der Träume. Im Übigen, lieber Robert, ist das hier ja kein Wunschkonzert – sonst hätte ich mir zum Beispiel noch gewünscht, dass das Spiel nicht zwischen gezeichnetem und gerendertem Anime-Stil wechseln würde. Die Trickfilm-Sequenzen waren für mich ein klarer, unnötiger Stilbruch, die Cellshading-Sequenzen waren viel passender.
In deinem Artikel bin ich aber noch an einer besonderen Stelle hängen geblieben, die ich zum Ende klären möchte:
“Abseits von spielerischen und narrativen Enttäuschungen, stößt der religiöse Moralkontext auf, mit dem Catherine durchsetzt ist. Das fällt zuerst nicht ins Gewicht, weil die Charaktere und das audiovisuelle Design Coolness und Verrücktheit verströmen. Aber was soll man von einer wie auch immer gearteten Entität halten, die Männer (warum nur die?) für freie Entscheidungen bestraft und tötet, nur, weil diese nicht der traditionellen Idee von Treue, Ehe und Familie entsprechen?”
Da muss ich noch mal nachfragen: Du projizierst die Moral des Bösewichts auf das ganze Spiel? Aber es ist doch genau diese Entität und seine verqueren Moralvorstellungen, gegen die man die ganze Zeit ankämpft. Genau an diesem Punkt hat mir Catherine als Spiel ja so gut gefallen, weil mich die Entwickler nicht werten, je nach dem für welche der beiden Frauen (oder eben auch keine) ich mich entscheide! Die gesellschaftliche, “moralisch” korrekte Variante, sich für die schwangere, Bereits-Freundin Katherine zu entscheiden und zu heiraten findet ebenso einen würdigen Abschluß in der Geschichte als auch die Variante, sich der wollüstigen Catherine hinzugeben und die gesellschaftlichen Normen hinter sich zu lassen. Es gibt kein Richtig oder Falsch in den Entscheidungen. Die Moralanzeige mit gutem Engelchen und Teufelchen habe ich eher symbolisch und mit ein wenig Selbstironie gelesen. Sie dient ja lediglich als Feedback für den Spieler, um auf eines der 8 verschiedenen Enden gezielt hinarbeiten zu können. Im Grunde könnte man diese Anzeige ja auch ausblenden. Dass die ganze Kirchenmythologie mit Beichtstuhl und dem (ultra-nervigen) Glockengebimmel des Nachts auftaucht, hängt ja mit der Entität zusammen, gegen die man kämpft.
Robert: Wichtiger Aspekt und guter Punkt, den du ansprichst. Ich finde aber, man kann es sich nicht so leicht machen, dass man sagt, die fragwürdige Moral und die damit zusammenhängenden Bestrafungsmethoden sind bloß der Feind, den man bekämpfen muss. Denn all das ist nicht extern und getrennt von mir als Spieler, sondern dazu da, mich selbst in Frage zu stellen. Dazu besteht ja offensichtlich Notwendigkeit, weil Vincent sich nicht entscheiden kann, was er in und mit seinem Leben eigentlich anstellen möchte. Die Maßnahmen sind in der Nacht drastisch und deshalb auch klar als Feind wahrnehmbar, führen aber untertags dazu, dass sich die Jungs und Männer mehr und mehr selbst hinterfragen. Insofern glaube ich nicht, dass die Game-Designer diese biblische Form der Bestrafung, die hier von der feindlichen Entität durchexerziert wird, bloß als Feind gedacht haben. Ich orte ein bisschen etwas von einem dramaturgisch und mythologisch überhöhten Wachrütteln, eine drastische Abwandlung des Spruches “Eine gesunde Ohrfeige hat noch niemandem geschadet”.
Was die von dir wahrgenommene Neutralität der Entscheidungen und deren Einfluss auf die Story anbelangt, tue ich mir schwer mit den plakativen Darstellungen von Teufelchen und Engelchen. Wenn es so neutral wäre, wie du meinst, und es tatsächlich nur um Freiheit versus Familie ginge, könnte man das ikonografisch auch anders (und ähnlich klar) darstellen. Die unterschiedlichen Enden empfinde ich ebenfalls nicht als neutral. Während beim “guten” Ende Vincent als verantwortungsvoller Mensch gezeichnet wird, ist er im “bösen” Ende zwar ein freier Mann, wirkt dabei aber wie eine unglückliche Witzfigur. Letzteres auch wegen der Auflösung eines grundlegenden Mysteriums im Spiel, das an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten werden darf.
4 Kommentare
Hier unten kann das Mysterium aber verraten werden, oder? Hab’ eh nicht vor, mir das Spiel zu besorgen.
Ich bin da ganz bei Robert: Catherine stinkt; zumindest als Vollpreis-Titel. Für unter 20 Ocken hätte ich das Ganze auch als “witziges Kuriosum” oder “interessante Mischung” abnicken können, aber für 50-60 Euro ist das Spiel einfach ärgerlich. Und was an Catherine’s cheesigen Adult-Relationship-Klischees erwachsen sein soll, konnte mir bisher auch noch niemand schlüssig erläutern…
Danke für den Disput. Nachdem ich neulich z.B.: eine Mass Effect Demo gesehen habe mit all den Klischees, kann ich eigentlich nur auf die Knie fallen und den Hergott dafür danken, dass es frische und unverbrauchte Ideen wie bei Catherine auch noch gibt. Die Präsentation finde ich super. Aber, habe ich das richtig verstanden? Das gesamte Spiel besteht im Prinzip nur aus den Klötzchenschiebe-Levels mit ein paar Anime-Stil Filmsequenzen dazwischen?
@Fission Mailed:
Es gibt zwischen den Puzzle-Levels immer die Bar, in der man sich mit den Kumpels trifft und frei rumlaufen kann. Dort kannst du Dialoge führen, SMS schreiben an die zwei C/Katherines und Alkohol konsumieren. Fühlt sich so ein bisschen wie ein Adventure an, aber ohne Items und Rätsel zu lösen. Die Dialoge sind rein optional, das einzige, was was bringt, ist der Alkohol. Je mehr du davon konsumierst, desto schneller ist die Figur in den Puzzle-Leveln :)