Vor vielen, vielen Monaten in einem Büro der Starbreeze-Zentrale:
Chef: „So, meine Herren. Es ist beschlossen: Unser nächstes Projekt für EA wird ein Remake vom legendären Syndicate!“
Designer 1: „Whoa! Wie cool ist das denn?! Syndicate ist wirklich ein Klassiker!“
Chef: „Das will ich meinen.“
Designer 1: „Aber mit Strategiespielen haben wir doch keinerlei Erfahrung. Da bräuchten wir ja ein völlig neues Team…“
Chef: „Stimmt. Darum wird es ja auch ein FPS. Damit kennen wir uns bestens aus. Außerdem sagen die Jungs vom Marketing, dass sich Shooter einfach viel besser verkaufen als Strategiespiele. Wer in dieser Runde hat denn überhaupt das Original von 1993 gespielt?“
Designer 2: „1993? Da kam ich gerade in die Grundschule…“
Designer 1: „Echtzeitstrategie war nie so wirklich Meins…“
Designer 3: „Ich hätte damals schon gewollt, aber meine Eltern haben’s mir verboten. Das war ja total brutal und ich erst 13…“
Designer 4: „Ich! Ich! Ich! Ich habe damals einem Freund meines älteren Bruders beim Spielen über die Schulter geschaut. Ganze 15 Minuten! Ich weiß quasi alles, was es über das Original zu wissen gibt.“
Chef: „Tja, ich sehe schon, so kommen wir nicht richtig weiter. Wir vertagen die Sitzung und treffen uns morgen um die gleiche Zeit wieder. Bis dahin hat jeder mindestens das Original durchgespielt. Am besten auch noch den zweiten Teil.“
Designer 2: „Bis morgen? Wie soll das gehen? Ich habe heute noch einen Friseurtermin…!“
Chef: „Na gut. Dann hat bis morgen wenigstens jeder diesen brillanten Artikel gelesen und ein paar Gameplay-Videos auf YouTube gesehen. Das ist aber mein letztes Wort.“
Am nächsten Tag um die gleiche Zeit:
Chef: „Ich hoffe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, meine Herren. Lassen Sie mal hören, wo wir stehen.“
Designer 2: „Ich habe mich gestern noch mit meinem Friseur über das Spiel unterhalten…“
Chef: „Was? Ich hoffe, sie sind nicht zu konkret geworden! Das Projekt ist streng geheim und soll erst sehr spät angekündigt werden. Guter Haarschnitt, übrigens.“
Designer 2: „Danke. Selbstverständlich fand das ganze Gespräch im Konjunktiv II statt. Auf jeden Fall sagte mein Friseur, dass ihm Syndicate vor Allem als brutal und extrem menschenverachtend in Erinnerung geblieben ist. Das sollten wir definitiv übernehmen. Ich stelle mir da vor, dass die Agenten jederzeit auch beliebige Passanten erschießen können.“
Designer 3: „Um uns von all den anderen Dystopien abzuheben, sollten wir einen relativ sauberen, ja vielleicht sogar klinischen Look wählen. Ich habe schon mit den Jungs aus der Coder-Abteilung gesprochen und sie sagen, dass es überhaupt kein Problem ist, die Texturen und Bloom-Effekte aus Mirror’s Edge in unsere Riddick-Engine zu importieren. Das würde auch gut die Unmenschlichkeit dieser Zukunft unterstreichen. Musikalisch sollten wir uns auf jeden Fall eng am Original orientieren. Der Titeltrack ist der Hammer.“
Designer 4: „Die Nichte meines Schwagers ist die Vorsitzende des Schwedischen Skrillex-Fanclubs. Dieser Dubstep-Quatsch ist ja gerade voll in. Vielleicht können wir Skrillex für einen Remix der Originalmusik gewinnen. Das würde auch gut zum Cyberpunk-Setting passen.“
Chef: „Klingt gut. Hat sich auch schon jemand Gedanken über die Handlung gemacht?“
Designer 1: „Das Original hatte ja keine Story im eigentlichen Sinne. Da sind wir relativ frei. Die konkurrierende Syndikate sind als Szenario schön und gut, aber wir brauchen eine Geschichte, die auch dem einzelnen FPS-Protagonisten Rechnung trägt. Wie wäre es also mit einem Agenten, der im Laufe der Ereignisse seine menschliche Seite entdeckt, die Seiten wechselt und sich gegen die Machenschaften seines eigenen Syndikates wendet?“
Chef: „Ist das als Geschichte nicht viel zu abgedroschen? Das gab’s doch schon tausendmal.“
Designer 1: „Ähm, Chef, wir reden hier von der Story eines Egoshooters…!“
Chef: „Stimmt auch wieder.“
Designer 3: „Auf jeden Fall müssen auch irgendwelche Widerstandskämpfer mit rein. Da gab’s damals ja auch dieses kack-schwere AddOn „American Revolt“ …“
Designer 1: „Genau! Von „kack-schwer“ hat mein Friseur auch noch gesprochen.“
Designer 4: „Dann bauen wir doch am besten kack-schwere Bossgegner ein, bei denen der Spieler erst beim x-ten Anlauf herausbekommt, was überhaupt zu tun ist.“
Designer 3: „Ich habe mir noch überlegt, dass ein Coop-Multiplayer-Modus doch auch ganz nett wäre, weil man im Original ja immer einen Trupp von 4 Agenten befehligte. Auf so was stehen die Shooter-Fans ja besonders.“
Designer 2: „Cool. Damit hätten wir ja quasi schon das ganze Konzept im Kasten.“
Chef: „Und Sie? Ich habe Sie gar nicht bei der gestrigen Sitzung gesehen.“
Hausmeister: „Wer? Ich? Ähm, ja also, ich habe Syndicate damals sehr gerne gespielt. Mehrfach sogar. War ein tolles Game!“
Chef: „Ah! Guter Mann. Sie sind von nun an der Leiter des Projekts.“
Hausmeister: „Oh… Danke.“
Designer 1-4: „WTF?!“
Chef: „Nun gut. Dann mal an die Arbeit, meine Herren!“
Ja, so war das damals in Uppsala. Oder so ähnlich. Vermute ich zumindest. Um ehrlich zu sein, bin ich mir bei der Hausmeister-Geschichte nicht ganz sicher… Aber egal. Auf jeden Fall hat man nach dem Spielen des FPS-Remakes den Eindruck, dass die Herren von Starbreeze nicht so recht wussten, was sie mit der Syndicate-Lizenz anfangen sollten bzw. schien sich niemand außer dem Hausmeister, und auch für ihn lege ich meine Hand nicht ins Feuer, wirklich ernsthaft mit dem Original beschäftigt zu haben. Der helle, aufgeräumte Mirror’s Edge-Look des Spiels ist ja eigentlich ganz gefällig, hat aber nicht besonders viel mit der schmuddeligen Konzern-Dystopie zu tun, die uns Molyneux’s Firma Bullfrog Anno 1993 kredenzte. Augmentierte Agenten in langen Ledermänteln reichen da als einziges Wiedererkennungsmerkmal einfach nicht aus, zumal sie bei der heutigen Hauptzielgruppe, die das Original mehrheitlich nicht selbst gespielt haben dürfte, derzeit wohl eher Assoziationen mit Deus Ex hervorrufen.
Und genau so könnte man das neue Syndicate auch gut beschreiben: „Stell Dir Deus Ex vor. Nimm alle Spielmechaniken bis auf die Augmentierungen und das eigentliche FPS-Gameplay heraus und ersetze den Blade-Runner-Schmuddel-Look durch glattgeleckte, helle Texturen. Außerdem streichst Du noch jedwede Form von Charakterzeichnung und -entwicklung sowie die Story. Letztere ersetzt Du durch die abgedroschenste Klischee-Twist-Geschichte, die Dir einfällt, wobei man in der ersten Hälfte des Spiels vor dem Story-Twist nicht einmal auf die Idee kommt, dass es überhaupt nur den Hauch einer Geschichte gibt. Voilà: Syndicate 2012!“
Um fair zu bleiben, muss man jedoch sagen, dass das Spiel als reiner Egoshooter mit Perks ganz ok ist. Kein Überflieger, aber für FPS-Freunde durchaus brauchbar. Auch der Coop-Modus funktioniert ganz gut, wobei allerdings der Fehler gemacht wurde, dass die Multiplayer-Missionen an keiner Stelle irgendeine Form von echter Kooperation erfordern. Man ballert sich halt einfach zu viert durch die entsprechenden Maps.
Aber mit dem originalen Syndicate hat das freilich, außer den Ledermänteln und dem Grundsetting der rivalisierenden Konzern-Syndikate, rein gar nichts zu tun und könnte genau so gut „Leather Coat Shooter 2069“ heißen. Da man sich aber nun mal entschieden hat, unbedingt die kultige Syndicate-Lizenz für dieses Spiel auszugraben, muss man einfach konsterniert feststellen: Mission komplett gescheitert!
Das Problem des Remakes ist nicht die Entscheidung, einen geradlinigen First-Person-Shooter daraus zu machen. Das hätte durchaus funktionieren können, wie man beispielsweise am Deus Ex-SpinOff Project: Snowblind sehen kann, welches seinerzeit ein ganz großartiges Spiel war. Aber P:SB hatte auch eine clevere, spannende Geschichte und gute Charaktere, die es getragen haben. Dinge, mit denen das neue Syndicate leider überhaupt nicht dienen kann. Und selbst wenn einem der Name Syndicate überhaupt nichts sagt und man den vergleichenden Blick auf das Original komplett außer Acht lässt, werden Spieler, die in ihren Spielen gerne mehr Handlungsmotivation haben als „Geh dahin, knall den Typen ab und komm dann wieder!“, nach kurzer Zeit den Kaffee auf haben. Dass dann erst nach etwa der Hälfte der Spielzeit plötzlich eine 08/15-Story mit einem Twist aus dem Zylinder gezogen wird, der eigentlich gar keiner sein kann, weil ein Twist ja voraussetzt, dass es davor schon eine nachvollziehbare Handlung gab, macht alles nur noch schlimmer. Von dem Protagonisten, der bis kurz vorm Ende null Profil und damit auch keinerlei Identifikationspotenzial für den Spieler besitzt, will ich hier gar nicht mehr anfangen…
Nun gut, meckern kann ja jeder. Ob ich eine bessere Idee gehabt hätte, fragt Ihr? Aber sicher! Wenn der Chef mich anstelle des armen Hausmeisters zum Projektleiter gemacht hätte, hätte ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht, mir irgendeine beknackte Story aus dem Hintern zu ziehen, denn die hatte das Original ja auch nicht. Ich hätte einfach ein echtes FPS-Remake des Originals gemacht: Zu Beginn entscheidet man sich für eines von, sagen wir mal drei oder vier Syndikaten, für das man als Agent tätig wird. Die daraus resultierenden Missionen unterscheiden sich, so dass schon einmal ein gewisser Wiederspielwert gegeben ist. Es gibt eine strategische Gebietskarte auf der man die nächste Mission wählen kann. Das Ziel ist es, dass Einflussgebiet des eigenen Syndikats zu vergrößern bis die Konkurrenz am Ende komplett von der Landkarte gefegt ist. Die eigentlichen Missionen laufen dann als (Coop-)FPS ab. Eventuell wäre das Ganze sogar eine schöne Idee für ein MMO-Strategie-FPS-Game…
Aber da ich damals bei der Hausmeisterprüfung leider durchgefallen bin und daher gezwungen war, eine wesentlich weniger prestigeträchtige Karriere einzuschlagen, haben wir halt nur diesen okayen Perk-Shooter bekommen, der sich gänzlich zu Unrecht den großen Namen Syndicate auf die Fahnen geschrieben hat. Shit happens.
10 Kommentare
Das würde zumindest so einiges erklären ….
Du sprichst mir aus der Seele. Schuld hat immer der Hausmeister.
Auch wenn ich “Syndicate” für einen technisch grundsoliden Shooter halte, der mir im Co-Op Modus sehr zu gefallen weiß, ist die Singleplayer Kampagne der blanke Hohn. Habe mich durch etwa 3/4 der “Story” geschossen/gebreacht und dann entnervt aufgegeben.
Was ich an der ganzen Sache so erstaunlich finde ist, dass Starbreeze ja eigentlich ein Studio ist, dass gerade im Bereich Story/Charaktere/Atmosphäre normalerweise immer tolle Sachen abliefert. The Darkness ist beispielsweise in Bezug auf die Spielmechanik ein Spiel mit Ecken und Kanten, aber trotzdem allein wegen der Story bzw. der Atmo absolut spielenswert. Bei Syndicate ist es merkwürdigerweise genau andersrum: Technisch absolut in Ordnung, aber das ganze Drumherum ein schlechter Witz.
Man kann nicht alles haben oder auch Chef und Designer können nicht bei jedem Spiel [b]alles[/b] versauen, selbst wenn sie sich noch so viel Mühe geben. ;)
Das neue Syndicate hatte doch einen Sinn: Es spendierte mir kurzweiliges Vergnügen, beim Lesen der kack-geilen Einleitung Deiner Rezension.
Allein das unterschwellige Bashing von Hausmeistern find ich zum Speien. Darum darfst Du nach dem Unterricht direkt mal bei mir zum Hofkehren antreten.
Da musst Du mich völlig missverstanden haben, Willie. Spätestens seit Scrubs weiß doch wirklich jeder, wie cool Hausmeister tatsächlich sind!
@SpielerZwei: Erschwerend kam hinzu dass ich mich noch von einem Interview mit Richard K. Morgan, seines Zeichens Autor von Syndicate, fehlleiten habe lassen. Zum einen sollen seine Takeshi Kovacs Romane ja echt was können, zum anderen gab der Gute ziemliche vernünftige Ansichten bzgl. gutem Storytelling zum Besten. Seit dem bin ich gebranntes Kind wenn ein Spiel es nötig hat mit seinem (Roman) Autor zu werben…
Zwar gebe ich heute überall hoffnungslos verspätete Kommentare ab, was langsam uncool wird, aber der hier muss noch, weil SYNDICATE.
Ich würde jetzt nicht so weit gehen, eine Lanze für das Spiel brechen zu wollen, zumal die Handlung die Bezeichnung wirklich kaum verdient. Trotzdem halte ich SYNDICATE für einen guten, weil technisch absolut sauber realisierten Shooter. Wenn man den Fluss erst einmal intus hatte, spielte er sich wie geschmiert. Das ging so weit, dass mir der müde Plot am Ende völlig egal war.
Was aber noch viel wichtiger ist: Letztlich hätte man sich die Kampagne glatt sparen können. Der Coop-Shooter war das eigentliche Highlight, und hat für mich vortrefflich funktioniert. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wann ich in einem 4er-Coop das letzte Mal so viel Spaß hatte. Mich haben der schnelle Spielfluss, das hervorragende Waffengefühl und die kleinen Gimmick sogar mehr gerockt als ein Left 4 Dead 2 oder ein Gears of War 3 im 4er Coop. Auf den höheren Schwierigkeitsstufen kommt man ohne Unterstützung auch nicht mehr weit.
Wo ich Dir Recht gebe ist, dass es einfach schade um die Lizenz ist. Ich war damals ein geradezu manischer Fan des Originals, habe es unzählige Male durchgespielt und abgöttisch geliebt. Trotzdem war ich bereit, mich auf einen Shooter einzulassen, und finde es schade, wie lieblos das Spiel vermarktet wurde und wie wenig Rückhalt es bekam, als deutlich wurde, dass es sich nicht gut verkaufte. Ein bis zwei kleinere Patches sowie ein paar zusätzliche Karten und der Coop-Modus hätte mich noch deutlich länger behalten.
Eine vertane Chance, da sind wir uns wohl alle einig. Doch für den Coop-Modus ist SYNDICATE definitiv den (ohnehin stark reduzierten) Preis locker wert.
Ich hoffe wirklich die Kickstarter-Kampagne zu Satellite Reign, welches ein spiritueller Nachfolger zu den alten Syndicate-Spielen werden soll, wird erfolgreich. Eben um zu zeigen, dass EA nicht Recht hatte und sich diese Spiele doch noch verkaufen können, ohne durch den modernen Fleischwolf gedreht zu werden. Und das eigentliche Spiel sieht auch noch recht gut aus.
Jup. Auf das Spiel bin ich auch gespannt. Allerdings mit Vorsicht, denn so ganz 1 zu 1 wollen sie das Original-Gameplay auch nicht umsetzen. Könnte ebenso gut komplett in die Hose gehen.