Zwischen 2005 und 2010 erlebte die Videospielwelt den Aufstieg und Untergang eines ganz besonderen Genres: Die Musik- und Rhythmusspiele. Klar, selbstverständlich gab es solche Spiele auch schon vorher (mit und ohne spezielle Controller) und auch nach 2010 kamen noch einige Nachzügler heraus, wie z.B. Rock Band 4 (2015), aber einen solchen Boom, inklusive multimedialer Omnipräsenz und der damit verbundenen Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit, wie wir ihn in diesen Jahren erlebt haben, gab es nie wieder. Activision (Guitar Hero-Reihe) und EA (Rock Band-Reihe), die beiden Hauptakteure dieses Booms, machten erst sensationelle Umsätze mit diesen Spielen und ermordeten dann eigenhändig ihren Goldesel. Die Mordwaffe: Gnadenlos kurzsichtige Überfütterung des Marktes.
Dieser Tage haben Harmonix, die nicht nur die Erfinder von Guitar Hero und Rock Band sind, sondern schon 2001 mit Frequency den Grundstein des ganzen Genres gelegt haben, mit Fuser wieder ein neues Musikspiel herausgebracht. Aber anstatt nur eine weitere Variation ihrer alten Spiele abzuliefern, wie sie es in den letzten Jahren mit RB, Dance Central und Amplitude immer wieder gemacht haben, ist Fuser wirklich etwas Neues. Zumindest als reines Videospiel, denn eigentlich basiert das Spielprinzip auf ihrem kommerziell gefloppten, aber technisch sehr innovativen „NFC-Karten-Brettspiel“ Dropmix, das sie 2017 zusammen mit Hasbro herausgebracht haben.
Es geht um Deejaying. Aber wer jetzt spontan an DJ Hero von 2009 denkt, liegt falsch, denn das war ja eigentlich auch nur eine Variation der bewährten GH–RB-Mechanik (mit einem echt albernen Controller). Vielmehr geht es bei Fuser um echtes Track-Mixing bzw. das Erstellen von Mash-Ups. Das Prinzip lässt sich am besten erklären, wenn man die Kampagne des Spiels beschreibt:
Man ist ein aufstrebender DJ, der es vom Vormittags-WarmUp-Act bis zum gefeierten Festival-Headliner bringen will. Zu jedem Auftritt gehört die Vorbereitung, die neben dem Packen des Platter-Koffers auch die Gestaltung der Bühnenshow umfasst. Hat man seinen Koffer mit Schallplatten bestückt, geht es auf die Bühne, wo man hinter einem DJ-Pult mit vier Plattentellern loslegen kann. Jede des ausgewählten Platten besteht in der Regel aus vier verschiedenen Spuren: Drums, Bass, Vocals und Begleitung. Daher legt man eigentlich nicht ganze Platten, sondern die gewünschte Spur auf die vier Plattenteller. Vom Festival-Promoter bekommt man nun Aufgaben, die anfangs sehr simpel sind und meist in bestimmten Zeitfenstern erledigt werden sollen: Lege den Drum-Track von „Push It!“ auf, nun die Bass-Spur von „Killing In The Name Of“, füge eine beliebige Gitarren-Spur hinzu, lege Rap-Vocals drüber, nun wechsle zu einem Dance-Rhythmus, usw. Um beim Publikum Erfolg zu haben und am Ende möglichst viele Punkte sowie Ingame-Kohle zu bekommen, sollte dies selbstverständlich alles im Takt geschehen. Zu den Promoter-Ansagen kommen noch Wünsche aus dem Publikum („Ich will mal wieder die PIXIES hören!“, „Ein Pop-Song aus den 80er wäre jetzt super!“), für die man bei Erfüllung Zusatzpunkte bekommt.
So weit, so gut, so einfach. Und irgendwie erinnert das jetzt vermutlich doch noch etwas an die GH– und RB-Spiele, nur ohne Plastikinstrumente. Doch das Beschriebene war quasi nur der erste Auftritt auf dem ersten Festival und mit jedem weiteren werden immer neue Mechaniken eingeführt. Die aus insgesamt sechs Festivals (mit jeweils sechs Auftritten) bestehende Kampagne ist in Wahrheit ein einziges, langes Tutorial mit extrem steil ansteigender Lernkurve. Und wer denkt, dass nach Record-Drop, Fade-In, Fade-Out, Cross-Fade und etwas Herumspielen am Tempo alles Wichtige gelernt wäre, wird jetzt ausgelacht. Nachdem man in all die Mechaniken mit den vier Plattentellern eingeführt wurde, die u.a. auch das Wechseln der Tonhöhe oder der kompletten Tonart (Dur/Moll) umfassen, geht es mit einsetzbaren Filtern, wie z.B. Distortion, Flanger oder Stutter, und selbsterstellten Sequenzer-Loops aus unzähligen Synth-Banken weiter…
Das Ganze ist später dermaßen komplex (und anstrengend), dass es mir schon auf dem dritten Festival eigentlich keinen richtigen Spaß mehr gemacht hat. Nicht weil ich beim Publikum immer öfter verkackt habe (man kann optional auswählen, dass man bei Auftritten gar nicht verkacken kann, egal wie schlecht man ist), sondern weil sich der Mix beim Erfüllen der ganzen Aufgaben oft nicht wirklich cool anhört. Und noch schlimmer: Man hört irgendwann gar nicht mehr richtig hin, weil es nur noch um die komplexen Mechaniken und das hektische Erfüllen der Aufgaben geht. Das, was ich an den GH– und RB-Spielen am meisten geliebt habe, der Spaß an der Musik selbst, bleibt irgendwann auf der Strecke.
An dieser Stelle könnte ich eigentlich Schluss machen und festhalten, dass ich Fuser als Videospiel aufgrund seiner übertriebenen Komplexität und Schwierigkeit für weitestgehend misslungen halte. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit, denn wie schon erwähnt, ist die Kampagne nur ein schlecht getarntes Tutorial, das man als Spiel nicht zu ernst nehmen sollte. Man muss da zwar durch, weil man nur so alle Mechaniken freischalten kann, aber man muss darin nicht gut sein oder sich gar an einzelnen Auftritten festbeißen. Im Zweifel kann man immer die „Lass mich nicht verkacken“-Option anwählen und das Ganze einfach als grauenhafter DJ-Honk hinter sich bringen. Die wahre Stärke von Fuser ist nicht, ein Musikspiel zu sein. Das macht es in meinen Augen nicht so toll. Seine wahre Stärke ist, ein sensationelles Musikspielzeug zu sein, das es so noch nicht gegeben hat. All seine Mechaniken eröffnen so viele Möglichkeiten, dass das Limit eigentlich nur die eigene Kreativität ist. Naja, das und vielleicht der zukünftige Nachschub an DLC-Songs und –Filtern und -Synths und –Sequenzern. Aber bis man die mitgelieferten Inhalte des Hauptspiels leid ist, wird man ziemlich lange brauchen, denn da reden wir schon von gut 100 Songs. Die ersten 25 DLC-Songs sind auch schon erhältlich und wenn Harmonix Fuser so gut pflegt, wie seinerzeit Rock Band, dann werden noch viele, viele weitere folgen.
„Aber, aber, aber… …wenn die Kampagne so stressig und anstrengend ist, wo soll ich denn da meiner Kreativität freien Lauf lassen, Herr Zwei?!? Naaaa?!“ – Na, zum Beispiel im Freestyle-Modus. Den finde ich absolut super! Da kann man ohne Aufgaben und ohne Zeitdruck mixen und mashen und filtern und loopen. Und zwar so, wie man es selber geil findet, und nicht auf der Hatz nach irgendwelchen High Scores. (Nach der Pandemie) gerne auch als Party-Unterhaltung oder Sofa-Chillout mit ein paar Freunden. Einfach alle paar Minuten mal den Controller weiterreichen und den Nächsten den Mix übernehmen lassen. Sooo gut!
Leider gibt es keinen richtigen lokalen Mehrspieler-Modus, aber dafür diverse Online-Modi: Wer doch auf Punkte-Jagd steht, findet online regelmäßig wechselnde Challenges, kann sich in DJ-Battles stürzen oder mit anderen zusammen Koop-Mixe erstellen. Ganz ambitionierte DJs werden sich über die diversen Community-Features freuen und ihre Mixes und MashUps aufzeichnen und anderen zur Verfügung stellen. Da steckt wirklich unheimlich viel Potenzial drin.
So sehr mich die vielen, vielen Möglichkeiten von Fuser als Spielmechanik in der Kampagne irgendwann genervt und teilweise auch überfordert haben, so beeindruckend finde ich sie aus technischer Sicht. Da sind ja nicht nur die vier einzelnen Spuren aus jedem Song, das kennt man schon seit Frequency. Und mit Timestretching (stufenlose Tempoveränderungen ohne Änderung der Tonhöhe) in Echtzeit oder dem Darüberlegen von Effekten und Filtern beeindruckt man 2020 eigentlich auch niemanden mehr, aber wenn dann noch so Dinge wie die individuell editierbaren Software-Synths und Sequencer oder der komplette Tonartwechsel von Dur zu Moll per Knopfdruck dazu kommen, dann ist das als Gesamtpaket (gerade auf den Konsolen) schon ziemlich einzigartig und nur noch einen kleinen Schritt von professionellen Lösungen wie beispielsweise Cubase entfernt. Da ziehe ich als langjähriger Musikenthusiast und Ex-DJ wirklich meinen Hut!
Apropos Musikenthusiast: Wenn ihr so etwas wie das nächste Rock Band sucht, seid ihr bei Fuser höchstwahrscheinlich falsch, weil es ganz anders funktioniert und in meinen Augen als reines Spiel eher weniger taugt. Aber wenn ihr Musik liebt, schon immer mal Songs mixen und mit ihnen herumexperimentieren wolltet, ohne dafür gleich in ein eigenes Heimstudio zu investieren, dann ist Fuser genau das Tool, das Ihr euch schon immer gewünscht habt!
1 Kommentar
Danke für diesen Artikel, Herr Zwei! :) Hatte bereits in eurem Podcast von Fuser gehört und der Artikel hat mir jetzt auch noch den letzten Ruck gegeben, mir Fuser zuzulegen (Steam Sale kommt gerade recht).