Selbsteinschätzung des Patienten
Mein Sohn ist süchtig. Mit gerade einmal zehn Jahren hat eine Abhängigkeit von ihm Besitz ergriffen, die ihn mittlerweile vollkommen kontrolliert. Er ist süchtig nach kleinen Spielzeugfiguren und ich weiß nicht, was ich dagegen unternehmen soll.
Die Figuren sind Teil eines Videospiels namens Skylanders, das mit drei der besagten Plastikwesen ausgeliefert wird. Zusätzlich erhält man ein sogenanntes „Power Portal“, dazu aber später mehr. Als ich zum ersten Mal von Skylanders erfuhr, ahnte ich noch nicht, was diese Anschaffung in meinem Sohn anrichten würde. Aber der Reihe nach.
Ich kaufte meinem Sohn Stifti das Spiel für seinen PC. Er hat einen Rechner in seinem Zimmer stehen (man muss seine Kinder schließlich auf die heutige Medienwelt vorbereiten) und hatte mich immer und immer wieder darum gebeten, ihm das Spiel zu schenken. Zu seinem Geburtstag war es dann so weit: Die ersten Skylanders betraten unser Leben.
Das Spiel an sich ist ein Action-Rollenspiel. Man steuert einen der Skylanders durch eine hübsch anzusehende Welt bestehend aus Wiesen, Wäldern, Fabriken oder Gruften. Man bezeichnet die Welt als die „Skylands“, da es sich hierbei um eine Ansammlung fliegender Inseln handelt, die nach und nach bereist werden. Typisch für ein Action-Rollenspiel bewegt man sich kämpfend durch die Gegend. Jeder Skylander hat unterschiedliche Angriffsarten und Besonderheiten, die es in den verschiedenen Regionen sinnvoll zu nutzen gilt. Erledigte Gegner lassen Erfahrungspunkte und Geld zurück und so entwickelt man seinen Skylander weiter, bis er irgendwann die höchste, zehnte Stufe erreicht hat.
Insgesamt hinterlässt das Spiel einen sehr guten Eindruck. Es gibt viele Gebiete zu erkunden und das Entwickeln der Skylanders macht Spaß und ist komplexer, als ich zunächst vermutet hatte. Mal ein Beispiel: Der Skylander Trigger Happy trägt zwei goldene Pistolen in Händen, mit denen er auf seine Gegner schießt. Seine Munition besteht aus Geldmünzen. Ich mag Trigger Happy. Er ist wie mein Sohn: Er steht mit Skylanders in Verbindung und schießt mit Geld um sich. Nur nutzt mein Sohn keine Pistolen, sondern seine Geldböre. Der Effekt ist der Gleiche. Egal. Man hämmert jedenfalls auf die Schusstaste und gibt so in schneller Abfolge Schüsse ab.
Neben dieser Attacke gibt es noch eine zweite: Hier wirft Trigger Happy einen Tresor auf seine Gegner. Das sollte ich vielleicht auch mal ausprobieren. In ein Spielzeuggeschäft gehen und mit Tresoren auf die Mitarbeiter werfen, die meinem Sohn Skylanders verkaufen wollen. Vielleicht würde das sein Konsumverhalten einschränken. Oh, beim Skylanders-Kaufen war ich ja noch gar nicht. Trigger Happy kann nur alle paar Sekunden einen Safe werfen, dieser fügt dafür getroffenen Gegnern mehr Schaden zu als einfache Schüsse. Man hat also einen schnellen und einen langsamen Angriff.
Zuletzt gibt es noch eine Spazialattacke bei der Trigger Happy seine zwei Pistolen in ein stationäres Maschinengewehr verwandelt und so eine extrem schnelle Salve abfeuert, sich währenddessen aber nicht mehr bewegen kann.
Im Laufe des Spiels kauft man seinen Skylanders mit gefundenem Geld neue Fähigkeiten. Man kann zum Beispiel dafür sorgen, dass Trigger Happys Schüsse an Wänden abprallen und dort nicht mehr zerschellen. Oder man rüstet den Tresor auf, damit dieser mehr Schaden anrichtet. Nach ein paar Verbesserungen wird man dann vor die Wahl gestellt und muss sich entscheiden, welche von zwei Richtungen man von nun an einschlagen will: Pistolen oder Tresor? Wählt man einen Weg, schaltet man für diesen weitere Fähigkeiten frei, kann den anderen dafür aber nicht weiter ausbauen.
Das sorgt dafür, dass man mit der Zeit ein Skylanders-Team zusammengestellt hat, dessen Fähigkeiten sich ergänzen. Trigger Happy zum Beispiel ist für schnelle Angriffe vorgesehen. Gill Grunt kommt gegen Gegnermassen zum Einsatz, da er einen Wasserstrahl nutzt, der eine hohe Reichweite besitzt und Gegnern flächendeckend Schaden zufügt. Spyro wiederum fügt auf einmal sehr viel Schaden zu. Hex kann eine Knochenwand errichten, die sie vor Gegnern schützt. Sie hat zudem einen sehr starken Angriff, bei dem sie vier Schüsse abgibt, die garantiert einen Gegner treffen. Dieser Angriff muss jedoch erst einmal aufgeladen werden und das benötigt Zeit, die einem die Gegner nicht immer gewähren. Dino-Rangs Bumerang kann man selbst lenken und so Gegner angreifen, bevor diese einen überhaupt sehen. Und Zap kann sich rutschend fortbewegen und hinterlässt dabei eine elektrisch geladene Schleimspur, die Gegnern Schaden zufügt. Taktisches Einkreisen ist hier angesagt.
Oh je. Ich weiche ja vollkommen vom eigentlichen Thema ab. Tut mir leid. Mein Sohn erzählt mir immer voller Begeisterung von seinen Taktiken. Das bleibt natürlich hängen. Ich wollte auf die Sucht meines Sohnes zu sprechen kommen. Aber die Fähigkeiten der Skylanders sind schon ungemein faszinierend. Ich finde es toll, dass man sich hier so viel Mühe gegeben hat und die Angriffe so unterschiedlich ausgefallen sind. Wirklich jeder Skylander hat seinen eigenen Stil. Selbstverständlich kann man die Angriffe auf einfache Dinge wie „schneller Angriff“, „Flächenangriff“ und so weiter reduzieren, trotzdem hat man sich viel Mühe gegeben, sie optisch abwechslungsreich in Szene zu setzen. Und auf ein Grundgerüst kann man alles reduzieren. Das ist langweilig und unangebracht. Aber das ist ein anderes Thema.
Jetzt möchte ich endlich zum Problem meines Sohnes kommen. Eines habe ich hier nämlich noch gar nicht angesprochen: Es gibt über 30 Skylanders aber dem Spiel liegen lediglich drei von ihnen bei. Ja, sie „liegen bei“. Skylanders basiert auf einer Idee, die in meinen Augen das genialste Spielzeug der heutigen Zeit hervorgebracht hat: Die Skylanders sind reale Plastikfiguren, in die man einen kleinen Chip eingebaut hat, auf dem die Charakterwerte gespeichert werden. Stellt man die Figur auf das zu Beginn angesprochene „Power Portal“, beginnt dies zu blinken und die Figur erscheint als virtuelles Abbild im Spiel. Man holt die Realität in ein Videospiel.
Dies ist die einzige Möglichkeit, die Skylanders in sein Spiel zu bekommen. Sie müssen auf dem Portal stehen. Keine Figuren, kein Spiel. Möchte man nicht mehr mit Trigger Happy sondern mit Spyro spielen, nimmt man die eine Figur vom Portal und stellt die andere drauf. So einfach ist das. Und so gemein. Denn was das bedeutet, ist offensichtlich: Möchte man mit allen Skylanders spielen, muss man alle Figuren besitzen. „Muss“ ist hier natürlich relativ. Realistisch betrachtet benötigt man lediglich acht Skylanders und zwar von jedem Element einen. Es gibt Skylanders folgender Elemente: Erde, Feuer, Luft, Wasser, Geist, Magie, Technik und Natur. Für Liebe war leider kein Platz mehr. In den verschiedenen Regionen des Spiels gibt es nun Orte, die nur von Skylanders eines bestimmten Elements betreten werden können. Hier spielen Forscherdrang und Kaufzwang Ringelpiez mit Anfassen.
Und jetzt erzählt einem 10-jährigen mal etwas über realistische Betrachtungen. Mein Sohn will nicht nur die acht nötigen Skylanders besitzen. Er will sie alle. Kurz nach Erhalt des Startersets kaufte sich mein Sohn das erste Figurenpaket mit drei Skylanders. Dann noch eins. Und dann noch eins. Woher er das Geld hat? Er hatte sich in den letzten Monaten Geld für ein Fahrrad zurückgelegt. So viel dazu.
Ich möchte das mal finanziell festhalten:
Starterpaket: 50 Euro
Dreierpaket 1: 25 Euro
Dreierpaket 2: 25 Euro
Dreierpaket 3: 20 Euro
Dreierpaket 4: 20 Euro
Dazu kommt noch der Soundtrack. Die Musik des Spiels hat es ihm nämlich ebenfalls angetan.
Soundtrack: 8 Euro (mp3s)
Das sind 148 Euro. Für ein Videospiel und ein paar Figuren. Das ist sehr viel Geld. Und kein Fahrrad. Aber an Ausflüge in die Natur ist momentan sowieso nicht zu denken. Mein Sohn sitzt glücklich vor seinem Portal, stellt Figuren darauf und dringt mit ihnen in eine virtuelle Welt ein, die ihm noch all sein in der Realität gespartes Geld aus der Tasche ziehen wird. Er sitzt täglich vor seinem Rechner und überprüft Figurenpreise. Er ist auf der Suche nach Schnäppchen und das ist gar nicht so einfach.
Die Genialität hinter dem Spielkonzept ist nämlich einer Horde geldgieriger Menschen nicht entgangen. Fast überall wurden sämtliche Skylanders-Bestände aufgekauft. Jetzt werden sie zu überteuerten Preisen angeboten. In diesem Moment muss man für ein bestimmtes Dreierpaket 67 Euro bezahlen. 67 Euro, statt 25 Euro. Das ist Wahnsinn. Wir reden hier von einem Kinderspiel!
Mit meinem Sohn kann ich über dieses Thema aber nicht reden. Klar, er ist noch ein Kind. Er will sein Spielzeug. Wir waren doch früher alle so. Ich habe beschlossen, ihm kein Geld mehr für Skylanders zu geben. Gleichzeitig werde ich ihm aber auch nicht in seine eigenen Geldgeschäfte reinreden. Er hat Geld gespart und darf damit machen, was er will. Schließlich muss er sich noch nicht um Essen oder ähnliche Dinge kümmern. Das sind noch meine Aufgaben. Soll er doch Spaß haben mit seinen unglaublich gut aussehenden Plastikfiguren, dem spannenden Spiel, all den darin zu entdeckenden Möglichkeiten, der tollen Musik und den verrückten und charmanten Charakteren.
Ja, mein Sohn ist süchtig. Aber er hat Spaß. Und den will und kann ich ihm einfach nicht nehmen.
Einschätzung des behandelnden Arztes
Bei Herrn Stift Nürsel handelt es sich um einen sehr schweren Fall. Er ist besessen von einem Videospiel, bei dem man sich kleine Plasikfiguren kaufen und mit diesen spielen kann. Er redet von nichts anderem mehr und gerät sofort ins Schwärmen, wenn man ihn darauf anspricht.
Vor drei Tagen hat ihn die Polizei vor einem Spielzeuggeschäft festgenommen, weil er einen Mann attackierte, der das letzte in diesem Geschäft erhältliche Levelpaket bestehend aus einer Haifigur, einem Piratenschiff und diversen Gegenständen gekauft hatte. Herr Nürsel fiel über den Mann her, schlug auf ihn ein und beleidigte ihn.
Weiterhin redet Herr Nürsel die ganze Zeit über seinen Sohn Stifti Nürsel. Dieser Sohn existiert nicht. Vermutlich entstand er aus der verspielten Lebensweise Herrn Nürsels, der trotz seines Alters (27) noch immer fasziniert von kindlichen Dingen ist. Das Videospiel Skylanders hat dafür gesorgt, sein erwachsenes Ich fast vollständig zu verdrängen.
Oben nachzulesender Bericht zeigt, dass Herr Nürsel den Blick für die Realität verloren hat. Es empfiehlt sich, harte Mittel einzusetzen. Um schnelle Ergebnisse zu erzielen, wird Herr Nürsel in den nächsten 14 Tagen täglich dazu gezwungen, mehrere Stunden lang „Call of Duty: Modern Warfare 3“ zu spielen. Wir hoffen, ihm so jegliche Kenntnisse über kreative, abwechslungsreiche, charmante und fröhliche Spiele auszutreiben.
10 Kommentare
Verglichen mit Rock Band ist das doch pillepalle! 200 Euro für den Satz billige Plastik-Instrumente plus 50 Euro für das eigentliche Spiel. Dann noch eine zweite (Bass-)Gitarre und mit Rock Band 3 ein Keyboard. Sonstiges Zubehör und Lieder nicht eingerechnet darf man für RB1-3 locker 400 Euro rechnen.
Etwas gemein ist natürlich, dass man mit dem Starter-Set alleine nicht weit kommt. Im besten Fall müsste man sich ja noch einmal zwei 3er-Sets für die restlichen fünf Elemente kaufen. Und bevor ich nachher CoD spielen muss, bleibe ich Skylanders lieber gleich fern. ;)
Hihi, sehr schön geschrieben. Armer Sohnemann, der Junkie. Armer Papa, der das auch noch bezahlen muss. :)
Persönlich find ich Skylanders übrigens echt ein schönes Spiel. Klar, als Erwachsener hebt mich das mit den Figuren nicht an, aber das Spiel selbst versprüht schon sehr viel Charme – und das sagt mir zu. Ich denke, Activision hat da schon einen kleinen Erfolg erschaffen, obwohl man über den Titel zumindest in “Fachkreisen” gar nicht weiter redet. Auf den Schulhöfen sieht das sicher ganz anders aus…
Hatte auf unserem Poly auch mal was zu geschrieben, aber das Verlinken spar ich mir jetzt mal. :)
Twist ending!
Besser als das Ende von Mass Effect 3!
Das dürfte wohl der effektivste Kopierschutz überhaupt sein! Man stelle sich mal vor, so etwas gäbe es für das kommende Diablo 3 oder Borderlands 2…ich wäre Ruckzuck pleite! :D
Tolle Spiele sind der beste Kopierschutz, ja. ;-)
Bei Borderlands gäbe es ja nur vier Figuren, bei Diablo 3 fünf bzw. zehn!?
Hahaha, haste deinen Balg schon zum Konsum-Zombie erzogen! hahaha, parenting-fail!
Und, wie kommste da raus? Einfach mal kreativ werden und selber Figuren basteln. Schnitzen aus Holz, aus Pappe bauen, etc. Einfach “für Dich selber” machen und diese Figur dann anmalen. Spät- nach 2 Tagen wird dir dein Sohn zugucken. Nach drei Tagen will er die Figur mal haben. Dann baust du schon die nächste, die viel “cooler” und “größer” und “stärker” ist als der Plastik China Scheiss!
Das klappt, glaube mir! Ich habe es erfolgreich mit selbstgemalten (ok, ge-photoshopten) Pokemon-Karten geschafft, mit selbstgebauten Bey-Blade-Kreiseln (schön fies mit Zacken aus Metall), mit Super-mario figuren aus Fimo, usw…
Und ich habe 4 Kinder.
Glaube mir, sei kreativ, Deine Kinder werden mehr Freude haben!
PS: Mein Mann hat die RFID Chips für die selbstgebauten figuren besorgt. Ein paar Cents.
Die Codes dazu gibt es ja überall im Netz, ask google: “Brandon Wilson” “skylanders” “RFID”
Viel Spass beim basteln!
Yay, Anleitung für Raubkopien!
Was für ein Raub lässt sich denn mit RFID-Chips kopieren?